Das unheimliche Netzwerk der Schweizer Masken-Feinde

Tages-Anzeiger.

Der Widerstand gegen eine Maskenpflicht wird aufwendig orchestriert: unter anderem von einer Kesb-Gegnerin und einem Zürcher Ex-Polizisten, der Parallelen zum Holocaust zieht.

Und plötzlich sind sie da, in der ganz realen Welt. Als «digitale Krieger» machen sie im Netz Stimmung gegen die Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und verbreiten teils krude Theorien zur Entstehung des Virus. Nun ist ihnen der virtuelle Raum offenbar nicht mehr genug.

Als am vergangenen Wochenende plötzlich in vielen Schweizer Städten in grosser Zahl Flyer auftauchten, die vor einer Maskenpflicht im öffentlichen Raum warnten, zeigten sich Experten alarmiert. «Fake News!», warnte der Direktor des Bundesamtes für Gesundheit. «Äusserst verantwortungslos» seien die Botschaften, sagte Epidemiologe Marcel Tanner von der wissenschaftlichen Corona-Taskforce.

Die Flugblätter warnen, das Tragen von Masken führe zu Bewusstlosigkeit, zu Hautpilzen und zur Vermehrung von Bakterien in der Lunge. Wer den QR-Code auf dem Flugblatt scannt, landet auf bekannten Informationskanälen verschwörungstheoretischer Kreise.

Kesb-Gegnerin in Planungsgruppe

Recherchen zeigen nun, wie organisiert die Maskengegner vorgehen – und wer sie sind.

Da wäre einmal eine schweizweit bekannte Gegnerin der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb), die regelmässig in den Medien auftritt. Sie ist eines von vierzehn Mitgliedern einer Gruppe, die unter dem Namen «Motivations-Flyer für Masken-Verweigerer» die Flugblätter konzipiert hat.

Der Austausch fand über die Chat-App Telegram statt, die beliebt ist bei politischen und religiösen Randgruppen. Tagelang diskutierten die Mitglieder, wie die Flyer gestaltet werden sollen. Auch eine Zürcher Designerin wirkte mit.

Um möglichst viele Flugblätter unter die Leute zu bringen, plante die Gruppe die Verteilung minutiös: Freiwillige konnten die Flugblätter nach Vorbestellung an zahlreichen «Bezugspunkten» in verschiedenen Stadtkreisen Zürichs, in Winterthur, St. Gallen, Baden, Aarau, Olten, Solothurn, Bern, Basel, Luzern, Zug und Altdorf abholen, wie ein Screenshot aus der Telegram-Gruppe belegt. Kostenpunkt pro tausend Stück: 15 Franken. Fein säuberlich wird zwischen bestehenden und geplanten Abholstellen unterschieden.

Trump, der Erlöser

Der Administrator der Gruppe nennt sich «Q the Plan», in Anlehnung an die unter Corona-Skeptikern populäre Verschwörungsbewegung QAnon. Diese vertritt die Theorie, dass eine satanistische Elite die Welt beherrsche. In unterirdischen Tunnelsystemen sollen deren Mitglieder – ­darunter bekannte Politiker, Wirtschaftsgrössen und Schauspieler – angeblich Kinder missbrauchen und ihr Blut trinken.

Erlösung erhoffen sich die Anhänger der Theorie von US-Präsident Donald Trump, welcher mithilfe des Militärs den «Deep State» zerschlagen soll.

Was abstrus klingt, stellt eine reale Gefahr dar: In den USA stuft das FBI QAnon als potenzielle terroristische Bedrohung ein. Auch der Schweizer Nachrichtendienst (NDB) hat Kenntnis von der Gruppierung, wie Sprecherin Isabelle Graber auf Anfrage bestätigt.

Bisher sei die Gruppe in der Schweiz noch nicht mit gewalttätig-extremistischen Aktivitäten aufgefallen, so die NDB-Sprecherin. Allgemein hätten gewalttätige rechts- und linksextreme Gruppierungen in der Vergangenheit aber wiederholt versucht, «friedliche Protestbewegungen zu unterwandern, zu radikalisieren und als Plattformen für Gewaltanwendung zu missbrauchen». Teilweise mit Erfolg.

Auch im Zusammenhang mit der Coronavirus-Krise hält der Nachrichtendienst des Bundes solche Radikalisierungsszenarien für möglich. Graber bestätigt: «Der NDB steht diesbezüglich in Kontakt mit den kantonalen Sicherheitsbehörden.»

«Pizzagate» und «Adrenochrom»

Eines der vierzehn Mitglieder der Anti-Masken-Gruppe nimmt auf Facebook regelmässig Bezug auf die QAnon-Verschwörung. «Pizzagate» und «Adrenochrom» ist auf einem Plakat zu lesen, welches die junge Frau während einer Demonstration am Zürcher Sechseläutenplatz in die Kamera hielt.

Unter dem Schlagwort «Pizzagate» wurde im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 eine Fake-News-Kampagne geführt, wonach die demokratische Kandidatin Hillary Clinton in einen Kinderpornoring verwickelt sei, welcher von einer Pizzeria aus agiere.

«Adrenochrom» ist der Name einer weiteren verwandten Verschwörungstheorie: Diese besagt, dass aus dem Blut entführter Kleinkinder das Stoffwechselprodukt Adrenochrom gewonnen werde, welches Prominente als Jugendelexier einsetzten.

Die Frau mit dem Plakat schreibt in den sozialen Medien, die Bewegung habe nichts mit Rechtsextremismus oder Gewalt zu tun. Die Mitglieder seien im Gegenteil «voller Liebe».

Maskenpflicht mit Holocaust verglichen

In manchen Chats fantasieren die Maskengegner allerdings zuweilen auch von einer gewaltsamen Rebellion gegen die Corona-Massnahmen. In der Gruppe «Widerstand 2020», die auch Mitglieder aus der Maskengruppe enthält, ist etwa ein Zürcher Ex-Polizist an vorderster Front aktiv, der seinen Job nach einer Verurteilung wegen Körperverletzung verloren hatte.

Immer wieder ziehen Teilnehmer in den Chats Parallelen zum Holocaust – so auch er. Die Juden hätten sich nicht gewehrt, deshalb seien sie «vernichtet» worden, schrieb der Mann kurz vor Einführung der Maskenpflicht im ÖV. «Unsere Freiheit wird jetzt vernichtet.» Er ruft die Maskengegner auf, sich zu widersetzen. «Wenn viele nicht mitmachen, sind Kontrollen nicht durchsetzbar. Deshalb organisierter Widerstand. Lokal. Mit Nachbarn. Im Tram. Im Zug. Zusammen sind wir stark. Allein können sie uns einfach brechen.»

Später berichtet er von einer Auseinandersetzung, die er aufgrund seiner fehlenden Maske mit einer betagten Frau im ÖV hatte. Er ist sich sicher: «Der Widerstand lebt. Jugendliche werden bis spätestens Herbst rebellieren. In Europa werden soziale Unruhen eskalieren. Nur Geduld.»

«Verhältnisblödsinn»

Im Gespräch mit dieser Zeitung distanziert sich der Ex-Polizist von der QAnon-Bewegung. Diese sei nur ein Ablenkungsmanöver – «eine Operation des Pentagons, um Leute zu diffamieren, die kritisch denken». Er selber agiere faktenbasiert. So erkrankten jährlich mehr Leute am Norovirus als an Corona. «Die Maskenpflicht ist ein Verhältnisblödsinn», so der Mann, «der Staat tut dem Volk Gewalt an, indem er ihm die Freiheit nimmt.» Das Virus werde genutzt, um eine Impfpflicht einzuführen, mit dem Datenschutz aufzuräumen und das Bargeld abzuschaffen.

Die Kesb-Kritikerin, die in der Vergangenheit bereits in Videos des «alternativen» Newsportals «WakeNews» auftrat, will sich auf Anfrage nicht näher zum Sachverhalten äussern. In die Maskengruppe sei sie eher zufällig geraten, weil sie in der Szene sonst für ihre «guten Inputs» bekannt sei. Mit dem Flyer habe sie aber «nicht wirklich viel zu tun».

Häufig werden in den Chats auch Videos des rechtsextremen Pnos-Politikers Ignaz Bearth geteilt. Dieser warnt ebenfalls vor einem Impfzwang und behauptet mit Verweis auf eine Grazer Ärztin: «Die Schutzmasken haben nur den Sinn, uns zu demütigen.»

Eine Erklärung für «das Böse»

Wer hinter dem Anti-Masken-Flugblatt steht, wäre ohne die Arbeit von zwei Recherchekollektiven, die sich «Adornochrom» und «Alu TV» nennen, nicht bekannt geworden. Die Mitglieder, die nach eigenen Angaben antifaschistisch motiviert sind, haben sich unter Fake-Namen in die Chatgruppen geschlichen und über Monate Informationen gesammelt.

Marko Kovic, der an der Universität Zürich zu Verschwörungstheorien geforscht hat, beobachtet die QAnon-Bewegung schon länger. Er sagt: «So abwegig die Theorien für Aussenstehende klingen mögen, so sehr identifizieren sich die Menschen, die daran glauben, mit ihnen.» Mitglieder berichteten von einem starken Zusammenhalt in der Community.

Antisemitische Motive sind laut Kovic weit verbreitet in der Szene. Und auch die Verbindung zu Kesb-kritischen Kreisen passt laut Kovic ins Gesamtbild: «Das Narrativ, dass sich eine Elite über die Bedürfnisse der Menschen hinwegsetze und Kindern vorsätzlich schade, ist ja geradezu zentral in der Bewegung.»

Einiges deute daraufhin, dass QAnon häufig Menschen anspricht, die sozioökonomisch eher schlechtergestellt sind. Dies kommt laut Kovic nicht von ungefähr: «Die Welt, man muss es sagen, ist häufig ungerecht. Und QAnon gibt vor, eine grosse Erklärung für all das Böse zu liefern, das auf der Welt passiert.» Gerade in Krisenzeiten wie diesen sehnten sich viele Menschen nach solch einfachen Erklärungen.

Laut Kovic ist es wichtig, dass die Gesellschaft die Entwicklungen öffentlich thematisiert. «Die wissenschaftliche Evidenz ist klar: Es ist keine zielführende Strategie, solche Parallelwelten totzuschweigen und zu hoffen, dass sie in ihrem virtuellen Raum bleiben.» Vielmehr gelte es, mit den Betroffenen das Gespräch zu suchen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. «Sie auszulachen oder ihre Theorien ins Lächerliche zu ziehen, ist hingegen höchst kontraproduktiv.»