«Das schadet der Region»

SolothurnerZeitung

Lotzwil Kantonspolizei Bern verteidigt ihren Einsatz am Neonazi-Konzert

Das Neonazi-Konzert in Lotzwil hätte verhindert werden sollen. Gegen diese Einschätzung des Regierungsstatthalters Martin Lerch wehrt sich die Berner Kantonspolizei.

Johannes Reichen, Christian Liechti

Gut 200 Neonazis versammeln sich am Samstagabend im Burgerwald Lotzwil zu einem der grössten Konzerte der rechtsextremen Szene in der Schweiz. Die Kantonspolizei Bern kontrolliert die aus dem In- und Ausland angereisten Personen auf verbotene Waffen und Propagandamaterial und nimmt deren Personalien auf. Die Berliner Band Legion of Thor und Spreegeschwader – beide bekannt für ihre Gewalt verherrlichende, antisemitische und rassistische Musik – werden von den Einsatzkräften nicht daran gehindert, die Bühne zu betreten und abzurocken.

Für den Einsatz am Samstagabend erntet die Einsatzleitung der Kantonspolizei Bern nun Kritik vom Aarwanger Regierungsstatthalter Martin Lerch. «Es hätte alles daran gesetzt werden müssen, dieses Konzert zu verhindern.» Für das im Internet öffentlich angekündigte Konzert sei durch die Organisatoren keine Bewilligung eingeholt und der Anlass daher illegal durchgeführt worden. Bereits im Vorfeld des Konzerts habe er, so Lerch, gegenüber der Kantonspolizei klar den Wunsch geäussert, die Auftritte zu verhindern. Der unbewilligte Anlass der rechtsextremen Szene schaffe nicht nur ein Präjudiz, sondern schade auch dem Image der Region. Lerch fürchtet, dass durch das Konzert der Oberaargau zum Treffpunkt der nationalen und internationalen Neonazi-Szene werden könnte.

«Rechtliche Grundlage hat gefehlt»

«Für uns hat sich die Frage der Verhältnismässigkeit gestellt», sagt Jürg Mosimann, Mediensprecher der Kantonspolizei Bern. Diese verzichtete darauf, Lerchs Anregung umzusetzen und den Anlass zu stoppen. «Das Polizeigesetz lässt Zwangsmassnahmen zu, wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet ist. Aus unserer Sicht war sie das nicht.» Andererseits «hätte ein Eingreifen vermutlich zu einer Eskalation geführt». Für eine Wegweisung oder Auflösung habe zudem die rechtliche Grundlage gefehlt.

Nach ersten Einschätzungen des Regierungsstatthalters hat das Konzert aber gegen mehrere Punkte des Gastgewerbegesetzes verstossen. Zudem sei davon auszugehen, dass auch die Waldgesetzgebung – Schutz von Fauna und Flora – tangiert gewesen sein dürfte. Inwiefern die Antirassismusstrafnorm betroffen gewesen sein könnte, fällt nicht in Lerchs Zuständigkeit.

Dass die Antirassismusstrafnorm verletzt wurde, erachtet Marcel Niggli, Strafrechtsprofessor an der Universität Fribourg, als wahrscheinlich. Das Spektrum der Verstösse reicht vom Hakenkreuz über den Hitlergruss bis zur rassistischen Äusserung. Sie müssen im öffentlichen Rahmen stattfinden – und dieser war für Niggli gegeben, zumal das Konzert im Internet angekündigt wurde. Privat wäre der Anlass gewesen, wenn sich die Besucher alle persönlich gekannt hätten. Aber die politische Einstellung als «einigendes Element» genüge hierfür nicht.

Von den Strafverfolgungsbehörden könne man darum erwarten, dass sie bei einer solchen Veranstaltung das Geschehen im Lokal beobachten, sagt Niggli. Das hat die Polizei gemäss Mosimann «sporadisch» getan. Und auch von draussen habe das Geschehen verfolgt werden können. Fazit: Alles ging mit rechten Dingen zu. «Wir haben keine Verstösse festgestellt.»

«Unzureichend beigezogen» Statthalter Lerch machte sich am Samstagabend vor Ort selbst ein Bild des Neonazi-Konzerts. «Ich hatte den Eindruck, dass die Einsatzleitung mit der rechtlichen Einstufung des Anlasses sowie mit der Kommunikation zeitweise etwas überfordert war.» Und weiter: «Einen derart sensiblen Anlass sollte ein erfahrener Einsatzleiter führen. Die Polizisten haben ihre Arbeit ansonsten hervorragend gemacht.» Zur Kritik will Mosimann keine Stellung nehmen.

Zudem kritisiert Lerch, dass die örtlichen Behörden, sprich der Lotzwiler Gemeinderat und der Regierungsstatthalter, unzureichend beigezogen wurden. Dabei sei er für Ruhe, Ordnung und Sicherheit von Gesetzes wegen im Amtsbezirk verantwortlich. «Wir sind durch die Einsatzleitung vor ein Fait accompli gestellt worden.»

«Um 16.15 Uhr wurden die Gemeindebehörden informiert», sagt Polizeisprecher Jürg Mosimann. «Man hätte sie einbeziehen können – aber wofür?» Das Ziel, dass der Anlass «einigermassen vernünftig und der Polizeieinsatz rechtsstaatlich korrekt» über die Bühne geht, sei erreicht worden. Der Einsatz sei gelungen, die Zusammenarbeit mit den anderen Corps und der Grenzwacht erfolgreich gewesen. «Das zeigt, dass wir den Anlass sehr ernst genommen haben.»

Pnos und Indiziert

Wie üblich rund zwei Wochen vor dem Anlass wurde die Burgergemeinde Lotzwil angefragt, ob sie die Waldhütte «für ein Familienfest» vermieten würde. «Das war ganz normal», sagt Präsident Erich Greub. Darum war er überrascht, als sich herausstellte, wer die wahren Mieter waren. «Wir vermieten die Hütte seit 60 Jahren und wollen das auch weiterhin tun.» In nächster Zeit werde man die Anfragen genauer prüfen. Unter den Organisatoren scheint auch Pnos-Grossratskandidat Dominic Lüthard gewesen zu sein. Er orderte bei einem Baugeschäft die Absperrgitter. Lüthard ist Sänger der Neonazi-Band Indiziert.