Bilaterale

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Beno, allein gegen alle

Bernhard Hess Der Berner Nationalrat der Schweizer Demokraten kämpft an vorderster Front gegen die bilateralen Verträge mit der Europäischen Union.

Autor: Von Urs Zurlinden

Hurtig, mit scheinbar lockerer Armbewegung, schwingt er sich den Kittel übers blendend weisse Hemd, rückt mit geübtem Kontrollgriff die silbernschimmernde Krawatte zurecht und bittet erst jetzt, wo sein Äusseres auf adrett korrigiert ist, freundlich grüssend herein.

Bernhard Hess, Beno, ist ein Netter. So will er wirken. Als anständigen und appetitlichen Kerl soll man ihn wahrnehmen. «Ich wirke nicht extrem», sagtHess über sich selber. Ein korrekter Beamter der bernischen Kantonsverwaltung könnte er sein, Abteilung amtliche Bewertung der Grundstücke undWasserkräfte, vielleicht Vor- steher-Stellvertreter. Das könnte das 34-jährige Gesicht mit breiter Kinnlade unter gelichtetem Haaransatz ausstrahlen.Mittlere Statur, würde in einer polizeilichen Fahndungsmeldung stehen, besondere Merkmale: keine.

Das Bild des unscheinbaren Durchschnittsbürgers würde zutreffen. Wäre Bernhard Hess nicht Nationalrat, strammer Schweizer Demokrat und verbissenerGegner der EU-Verträge. Dieser andere Hess nimmts zurzeit mit den ganz grossen Figuren der nationalen Politik auf. Mit Wirtschaftsminister PascalCouchepin, mit Aussenminister Joseph Deiss, mit Politprominenz sämtlicher Regierungsparteien. Er, der Beno, allein gegen alle.

Er wird verlieren am Abstimmungs- wochenende des 24. Mai. Alle Umfragen sagen dem Referendum gegen die EU-Verträge und den SchweizerDemokraten (SD) eine bittere Niederlage voraus. Doch Hess, der Parteisekretär mit steuerbarem Einkommen von 28 000 Franken, der einzigeSD-Überlebende im Bundeshaus, der Aare-Schwimmer und Ganzjahresvelofahrer, der Mann mit dem unauffälligen Signalement wird seine grossenAuftritte gehabt haben. Der sei doch gar nicht so übel, wird das TV-Volk nach der «Arena» vom 5. Mai sagen, wo Hess gegen Deiss antritt.

«Wir sind noch nicht ganz k. o.», sagt Hess, und meint damit sowohl den Abstimmungskampf wie seine serbelnde Partei. Die Partei- undAbstimmungszentrale: ein Ein-Zimmer-Studio in einem Berner Wohn- und Gewerbequartier abseits der Altstadt und deren politischen Macht- zentren. Hierin Bümpliz hat Hess seine Hausmacht. Hier, wo früher die Sozis absolute Mehrheiten verbuchten, verfügen die «Sozialpatrioten», wie sich die SchweizerDemokraten gerne nennen, über einen Wähleranteil von 14 Prozent.

30. März. Die riesige Sporthalle im freiburgischen Giffers (1400 Einwohner) ist an diesem Abend bis auf den letzten Platz gefüllt. 600 Leute hocken anlangen Tischen bei Bier, Mineralwasser und Rivella rot. Weil Bundesrat Pascal Couchepin angesagt ist und, noch wichtiger, ein Schultheater. «So, HerrHess, jetz gäbüd Rueh», singen die Oberstufenschüler im Senseler Dialekt zur Melodie «See you later, alligator». Hess lacht. Nach dem zweistündigenUnterhaltungsblock darf er sein Zehn-Minuten-Referat halten. Darf über «die 40-Tonner-Lastwagen-Lawine» lamentieren, die «unser Land überfluten»werde, und vor der «Masseneinwanderung» warnen: «Der Vorrang der Einheimischen am Arbeitsmarkt» gehe mit den EU-Veträgen verloren.

Das ist seine Kernbotschaft. Bernhard Hess, 34, aufgewachsen in Langnau im Emmental, «sehr schöne Kindheit» und beste Erinnerungen an diePausenmilch, die früher den Schulkindern gratis verteilt wurde, kämpft gegen die Überfremdung der Heimat. Wie einst James Schwarzenbach undValentin Oehen und wie Jörg Haider in Österreich begründet Hess seine fundamentale Abwehr «gegen die anhaltende Einwanderung und gegen die immerschlimmere Asylmisere» mit der Sorge um alles Einheimische im Allgemeinen und die hiesige Arbeiterschaft im Speziellen. Als Beilage zumnational-konservativen Hauptgang kommt noch etwas Grünzeug in Form eines esoterischen Öko-Fundamentalismus hinzu. «Schutz der Umwelt und derHeimat», ist im SD-Programm nachzulesen, «wir haben ein Herz für die Schweiz.»

Entsprechend breit ist das politische Tummelfeld des Parteifunktionärs Bernhard Hess. Zurzeit aktuell: die Einbürgerungsdebatte. Die Volksabstimmungvom 12. März in Emmen, wo 19 von 23 Einbürgerungsgesuchen abgelehnt wurden, wird im SD-Parteiorgan (Chefredaktor Bernhard Hess) gefeiert als«Ansporn, in unseren Anstrengungen gegen die sehr zahlreichen Missbräuche im Einbürgerungswesen Sturm zu laufen».

Einbürgerungsmissbräuche, Asylmissbräuche, Drogenmissbräuche: Da wird der nette Hess radikal. Da fordert er eine «nächtliche Ausgangssperre fürAsylanten» (1997), eine «geschlossene Drogenklinik» in der ehemaligen Kaserne (1997), die «Internierung von kriminellen und renitentenAsylbewerbern» (1999) beziehungsweise «zwingend den Widerruf der Aufenthaltsbewilligung» (1999), falls Ausländer hiesige Beamte bedrohen. ImBerner Kantonsparlament verlangte der «elegante Rechtsausleger» («Berner Zeitung»), auf die hohen Ausländeranteile in den Klassenzimmern reagierend,«eigene Schulklassen für einheimische Kinder». Sein bisher einziger Vorstoss im Nationalrat gilt dem Schutz der Landessprachen vor englischenFremdwörtern.

«Hess hat eine extremere Haltung, als er vorgibt», sagt ein ehemaliger Weggefährte: «Er ist ein Aktivist, der sich exakt auf der Parteilinie laufendemporgedient hat.» Dass die hesssche Sorge um das Schweiztum auch in äusserst sensible Bereiche ausufert, belegt ein Vorstoss im Kantonsparlament:Die Berner Kantonalbank, forderte Hess im Januar 1999, dürfe sich «keinesfalls» am Deal der Grossbanken mit den Holocaust-Überlebenden beteiligen.Der sei durch «erpresserische Angriffe» von jüdischen Organisationen «erzwungen» worden. Der «US-Ablasshandel» der Grossbanken erinnerte Hess,den vehementen Gegner der Solidaritätsstiftung, «an mittelalterliche Tributleistungen».

Politisiert wurde Bernhard Hess zu Hause am Mittagstisch. Sein Vater, ein Dr. phil., Gymnasiallehrer (Griechisch, Latein) und später Korrektor, war inden Siebzigerjahren Schweizer Korrespondent der rechtsradikalen Publikation «Aktuell, das Magazin für denkende Deutsche» und engagierte sich für denletzten Nazi-Gefangenen in Italien. «Ich war früher faschistisch eingestellt», bekennt Vater Konrad Hess im Buch «Die unheimlichen Patrioten».

Doch darüber mag Nationalrat Hess nicht reden: «Ich möchte von dieser Vergangenheitsdiskussion wegkommen.» Auch über jenen Bubenstreich sagt ernichts, als er Kleinkaliber-Gewehre des Langnauer Kadettenkorps aus dem Schulhaus entwendete und zusammen mit zwei Gesinnungskumpeln im WaldSchiessübungen veranstaltete. Ernst Eggimann, Lehrer, Schriftsteller und ehemaliger grüner Grossrat, erinnert sich «irritiert» an seinen früheren Schüler.«Er war ein offener Mensch», sagt Eggimann über Hess, der allerdings im Geschichtsunterricht, als der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkriegdrankamen, bis ins Detail informiert war: «Der wusste alles.»

Hess selber berichtet lieber von einem anderen Schlüsselerlebnis, das ihn politisch geprägt habe. Das war 1989, als der Bankangestellte für einenSprachaufenthalt in Südfrankreich weilte. Während eines Abendspaziergangs im Hafengebiet von Toulon sah sich Hess plötzlich von vier Nordafrikanernumstellt. «Da bin ich um mein Leben gerannt und beschloss, mich aktiv gegen die Überfremdung zu wehren.» Noch im gleichen Jahr trat er derSD-Vorgängerpartei Nationalen Aktion bei.

Moderat im Ton, hart in der Gesinnung. Wenn Hess von «Problemen im multikulturellen Bereich» redet, denkt er an Bümpliz, wo in den letzten Jahren«eine regelrechte Umvolkung» stattgefunden habe. Und er denkt an den «Löwen» von Bümpliz. An jene vor Monatsfrist abgerissene Büezer-Beiz, wosich Leute aus der Rocker-, Reithallen- und Antifaschisten-Szene trafen. Auch Hess war Stammgast, ist stolz darauf: «Ich konnte mich am Schluss sogarmit den Punks arrangieren.»

Nun trifft Beno die Mächtigen des Landes, gefällt sich auch in dieser Rolle. Vor Ostern trat er vor 400 Leuten in Neuendorf SO gegen AussenministerDeiss und fünf weitere EU-Befürworter an. «Alle gegen einen», fasst Hess den Abend zusammen, «es ging tipptopp.»

Einbürgerungsmissbräuche, Asylmissbräuche, Drogenmissbräuche. Da wird der nette Bernhard Hess radikal.

Der Deal der Schweizer Grossbanken mit den Holocaust-Überlebenden ist für Hess durch erpresserische Angriffe von «jüdischen Organisationen»erzwungen worden.


Gegner

Rechte Patrioten

Dubiose Kreise haben viel zum Referendum gegen die bilateralen Verträge beigetragen.

Ohne fremde Hilfe von weit rechts aussen hätten die Schweizer Demokraten von Bernhard Hess das Referendum gegen die bilateralen Verträge kläglichverfehlt.

Von den insgesamt 64 000 eingereichten Unterschriften stammen nur rund 21 200 von den Schweizer Demokraten. Und die lautstarke Lega dei Ticinesivon Nationalrat Flavio Maspoli steuerte gar nur 9300 bei. Am fleissigsten, nämlich 22 000 Unterschriften, sammelte in aller Stille das Komitee EineSchweiz für unsere Kinder. Hinter ihm steht der umstrittene Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis (VPM).

Auch weitere dubiose Kreise haben zum Zustandekommen des Referendums beigetragen. Der Presseclub Schweiz des Holocaust-Leugners ErnstIndlekofer reichte 3200 Unterschriften ein, das Schweizer Bürgervotum aus dem Umfeld der Dozwiler Endzeitsekte Sankt Michael 3700.

Breiten publizistischen Raum erhält die Rechtsaussen-Opposition gegen die bilateralen Verträge in der VPM-nahen Wochenzeitung «Zeit-Fragen».Seitenweise wird dort mit obskuren Argumenten gegen die Abkommen gewettert. Da wird vor dem Einmarsch von «früheren Stasi- und KGB-Leuten»gewarnt, und selbst Ceausescus längst untergegangene Securitate könnte sich «ungehindert in unserem Land bewegen.»

SD-Nationalrat Bernhard Hess zuckt mit den Schultern: «Ich habe nicht gefragt, woher die Unterschriften stammen.»