Aus Zürich in den St. Galler Kantonsrat

Zürichsee-Zeitung: KANTONSRATSWAHLEN Von den 778 Kandidaten leben einige gar nicht im Kanton. Und ein paar weitere treten in einem anderen Wahlkreis an, als sie selber wohnen. Sie müssen ihre Wählerinnen und Wähler überzeugen, dass sie sie trotzdem gut vertreten werden.

Im Herbst gewann die Zürcherin Magdalena Martullo-Blocher einen Bündner Nationalratssitz. Sie will auch weiterhin in Feldmeilen, im Kanton Zürich, wohnen: Als Nationalrätin kann sie das auch. Sie vertritt das Schweizer Volk und nicht etwa einen bestimmten Kanton. Anders ist es bei Ständeräten, die zwingend in dem Kanton leben müssen, in dem sie gewählt wurden. Bei den Kantonsratswahlen gilt: Wer kandidiert, darf zwar während des Wahlkampfs ausserhalb des Kantons wohnen, «werden ein Kandidat oder eine Kandidatin gewählt, müssen sie spätestens zum Amtsantritt aber umziehen», erklärt Stephan Ziegler, Projektleiter Wahlen und Abstimmungen beim Kanton St. Gallen. In Ausnahmefällen sei eine Verlängerung dieser Frist möglich.

Mutterpartei unterstützen

Auf den eingereichten Wahllisten für den 28. Februar stehen vier Kandidierende, die ihren Wohnsitz in einem anderen Kanton haben. Beispielsweise der Jungfreisinnige Johannes Wagner, der im Toggenburg gewählt werden will, aber in Appenzell lebt. «Ich bin erst vor eineinhalb Jahren in die Nähe meines Arbeitsplatzes gezogen», sagt der 26-jährige Betreibungsbeamte. Schafft er den Sprung in den Kantonsrat, werde er wieder nach Wattwil zügeln, wo er aufgewachsen ist. Seine Wahl wäre allerdings eine Riesenüberraschung, gibt er selbst zu, obwohl er auf dem ersten Listenplatz stehe. Die Jungpartei wolle mit ihrer eigenen Liste vor allem Stimmen für die Mutterpartei holen.

Ein Zürcher auf der Liste

Ebenfalls für die Jungfreisinnigen kandidiert die Thurgauerin Sina Rüdisüli aus Sirnach. Die 20-jährige Studentin kämpft um Stimmen im Wahlkreis Wil. «Ich schätze meine Wahlchancen gering ein. Mit meiner ersten Kandidatur möchte ich Erfahrungen sammeln», sagt die Generalsekretärin der Jungfreisinnigen St. Gallen (JFSG). Sie sei der Partei in Wil beigetreten, weil sie unmittelbar an der Kantonsgrenze lebe: «Der Grossteil der Hinterthurgauer Bevölkerung orientiert sich ohnehin nach Wil.» Ein drittes Parteimitglied der JFSG lebt in Zürich: Marc Spiess möchte im Wahlkreis See-Gaster gewählt werden.

Flavio Noto möchte für die Grünliberalen in den St. Galler Kantonsrat. Er wohnt in Zürich und arbeitet als Staatsanwalt in Basel. Ist auch er ein Listenfüller? «Ja, das bin ich. Ich habe mir den letzten Listenplatz gewünscht, mache aber aktiv im Wahlkampf mit», sagt der 33-jährige Jurist. Im sehr unwahrscheinlichen Fall einer Wahl würde er diese aber annehmen und wieder in seinen Heimatkanton ziehen.

Regionale Anliegen im Fokus

Innerhalb des Kantons dürfen sich die Kandidaten in jedem Wahlkreis aufstellen lassen, unabhängig von ihrem Wohnort. Dabei ist der schwierigste Schritt wohl die Nominierung. Sie müssen ihre Lokalparteien davon überzeugen, dass sie die Anliegen der Region vertreten werden. Das ist Fabienne Bünzli gelungen. Die 25-jährige Projektleiterin in einer Kommunikations- und Wirtschaftsberatung lebt berufsbedingt in der Stadt St. Gallen. «Ich kandidiere im Toggenburg, weil dort meine Wurzeln, meine Freunde und meine Familie sind», sagt sie. Die Vizepräsidentin der Jungfreisinnigen im Kanton St. Gallen hat die Toggenburger Sektion der Partei mitgegründet. Sie kandidiert aber auf der Hauptliste der FDP Neckertal, bei der sie ebenfalls Vorstandsmitglied ist. Noch ein Jungfreisinniger, der seine Wähler nicht im eigenen Wahlkreis sucht, ist Thomas Anderegg. Er lebt in St. Gallen, will im Kantonsrat aber Wil vertreten. Auch die BDP im Wahlkreis St. Gallen hat einen auswärtigen Kandidaten: Maurus Stucki aus Steinach. In Kürze werde er aber umziehen, deswegen habe er sich auch für die St. Galler Liste entschieden, sagt er.

Aus anderem Wahlkreis

Auch mehrere Vertreter der Direktdemokratischen Partei Schweiz (DPS) versuchen ausserhalb ihres Wohnortes den Sprung in den Kantonsrat. Präsident der Kleinpartei ist der Uzwiler Ignaz Bearth, ein ehemaliges Mitglied der rechtsextremen Pnos. Bekannt wurde er vor einem Jahr, als er einen Schweizer Ableger der Pegida-Bewegung lancieren wollte. Die DPS hat nur eine Liste für den Kantonsrat zusammengestellt, im Wahlkreis Wil. Neben Bearth leben alle anderen Kandidierenden dieser Liste ausserhalb des Wahlkreises. Es handelt sich dabei um Bearths Mutter Erika aus Sennwald und um zwei 21-jährige Toggenburger, Martin Bernet aus Dietfurt und Andreas Hauri aus Krummenau.

«Wird ein Kandidat aus einem anderen Kanton gewählt, muss er spätestens zum Amtsantritt umziehen.»

Stephan Ziegler, Projektleiter Wahlen und Abstimmungen

KANTONSRATSWAHLEN IM KANTON ST. GALLEN AM 28. FEBRUAR

Aussenseiterlisten mischen bei den Kantonsratswahlen mit

Im Kanton St. Gallen wollen 778 Kandidierende auf 72 Listen einen der 120 Sitze im Kantonsrat erobern. Neben den traditionellen Parteien treten auch neue Gruppierungen an oder kleine Parteien wie die EDU, die Piratenpartei oder die Direktdemokratische Partei Schweiz (DPS), die bisher nicht vertreten waren.

Im Wahlkreis St. Gallen wurde beispielsweise die Liste «Parteifrei SG» eingereicht. Die Kandidierenden seien «politisch interessierte Individuen, die selbstverantwortlich politisieren wollten», heisst es in der Eigendarstellung auf der Homepage. Die Gruppierung beteiligte sich bereits letzten Herbst mit einer eigenen Liste an den Nationalratswahlen und schaffte dort rund 8500 Stimmen.

Parteifrei in die Regierung

Für Parteifrei SG in den Kantonsrat will etwa Thomas Hengartner, Laienrichter im Kreisgericht St. Gallen. Er war im Jahr 2014 von der SVP nicht mehr portiert worden, schaffte dann aber als parteiloser Kandidat die Wiederwahl zum nebenamtlichen Richter. Zu Parteifrei SG zählt sich auch Andreas Graf, der als Aussenseiter an den Regierungsratswahlen teilnimmt. Graf war früher bei den Grünen aktiv, unter anderem als Präsident der Kantonalpartei.

Im Wahlkreis St. Gallen tritt weiter «Die Stadtliste» mit vier Kandidierenden an. Darunter ist Sarah Bösch, die sich im Januar 2015 noch für die Nationalratsliste der SVP beworben hatte, aber nicht nominiert wurde. Zeitweise sass sie für die gleiche Partei im Wiler Stadtparlament, bevor sie zuerst aus der Fraktion ausgeschlossen wurde und dann aus der SVP austrat.

Gegen Beamtenwillkür

Aus dem Wahlkreis Rorschach will der Zahnarzt, Ökologie- und Energieberater sowie Lehrer Marcel Eck mit einer eigenen Liste namens «Bündnis gegen Korruption und Beamtenwillkür» Stimmen sammeln. Er liegt seit Jahren mit verschiedenen Behörden und Gerichten im Clinch.

Im gleichen Wahlkreis hat Manuel Cadonau eine weitere Ein-Personen-Liste eingereicht: Sein Slogan heisst: «Mehr Familie – mehr Freiheit – mehr Sicherheit». Vor vier Jahren wollte Cadonau in Wil noch für die SVP in den Kantonsrat.

Tweet im «Blick»

Für medialen Wirbel hatte im vergangenen Jahr ein Streit zwischen ihm und dem «Blick» gesorgt. Anlass war ein Zeitungsbericht über einen Tweet, in dem Cadonau nach den Anschlägen in Paris auf «Charlie Hebdo» im Januar 2015 muslimfreie Fluglinien gefordert haben soll. Seine Beschwerde gegen den «Blick» wurde vom Presserat abgelehnt.

Neben Einzelpersonen und neuen Bewegungen auf eigenen Listen treten am 28. Februar auch Parteien an, die es bisher nicht in den Kantonsrat schafften. Im Wahlkreis Wil gilt dies etwa für die am rechten Rand angesiedelte Direktdemokratische Partei Schweiz (DPS).

In den Wahlkreisen Wil und Toggenburg tritt die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) an, im Toggenburg gemeinsam mit der EVP. Die EDU hat im Thurgauer Grossen Rat mit sechs Sitzen Fraktionsstärke, ist im St. Galler Parlament aber nicht vertreten. Ebenfalls auf einen ersten Parlamentssitz hofft die Piratenpartei, die in den Wahlkreisen St. Gallen und Wil Kandidierende aufgestellt hat.

Keine Aussenseiter

Im Wahlkreis See-Gaster gehörte vor vier Jahren die Liste 7 (ReAbility – Nicht mehr ohne uns!), mit der eine Einzelperson aus Gommiswald zu den Wahlen antrat, zu den Aussenseiterlisten. Heuer finden sich demgegenüber ausschliesslich traditionelle Parteien auf den Listen im Linthgebiet. zsz/sda