Antifaschistischer Jahresrückblick 2022

Der folgende Jahresrückblick beleuchtet das Jahr 2022 aus einer antifaschistischen Perspektive. In einem ersten Teil findest du eine chronologische Auflistung. Diese soll einen Überblick über Ereignisse und Beteiligungen mit und von Neonazis geben. Zudem wird auch auf Erfreuliches aus antifaschistischer Sicht aus dem vergangenen Jahr eingegangen.

Zum Schluss fassen wir das Jahr 2022 zusammen und versuchen, die schweizer Neonaziszene einzuschätzen.

Wichtig: Der Rückblick ist keinesfalls abschliessend, er soll einen Überblick verschaffen und fokussiert überwiegend auf die deutschsprachige Schweiz.

Januar:

  • Am 8. Januar findet in Zürich eine Kundgebung unter dem Motto „Bildung für alle“ statt. Aufgerufen dazu wurde von Verschwörungsgläubigen und rechten Kreisen. Dabei trat der lose Zusammenschluss der „Männer WG“ als „Sicherheitsdienst“ (eigene Angaben) auf. Mit dabei waren in jenem Dunstkreis u.a. auch das ehemalige B&H-Mitglied Michi Kurz, der Hammerskin Alessandro Bettini sowie Neonazi-Hooligan Stefan Nufer.
  • Mitte Januar wird bekannt, dass der Kopf der identitären Bewegung, der Österreicher Martin Sellner, ein Konto bei der Postfinance besitzt. Dieses wird daraufhin gesperrt.
  • Die antifaschistische 500K-Kampagne wird Mitte Januar erfolgreich abgeschlossen. Diese wurde aufgrund der zahlreichen Strafverfahren wegen antifaschistischer Proteste gegen eine Kundgebung der ehemaligen PNOS im November 2018 in Basel gestartet.
  • Am 15. Januar fand in Schaffhausen eine Demonstration „gegen die Coronamassnahmen“ statt. Beteiligt waren dabei mitunter diverse Köpfe aus der Neonaziszene. Auch Sandra Pesch-Ebert, die Frau des bekannten und strafrechtlich verurteilten deutschen Neonazis Jarno Ebert, war ganz vorne mit dabei.
  • Am 21. Januar legte der Walliser Neonazi und möchtegern Hooligan Manuel Bertozzi in Dortmund einen Trauerkranz mit der Aufschrift „28 (B&H) Schweiz“ zu Ehren des verstorbenen Neonazis Siegfried Borchardt nieder. (Quelle: Recherche Nord)
  • Am 22. Januar fand in Bern erneut eine „Kundgebung gegen die Coronamassnahmen“ statt. Die Demonstration wurde beim Start von der „Jungen Tat“ gekapert. Danach führten die jungen Neonazis den Umzug, der knapp 2000 Menschen umfasste, unwidersprochen an. An der Seite der umtriebigen „Jungen Tat“ um Manuel Corchia, Tobias Lingg und Moritz Frey liefen auch die B&H-Member Manuel Bertozzi und Marc Seiler stolz zuvorderst mit. Nebst diversen anderen Neonazis und Mitläufer*innen, waren erneut der in Faulensee BE wohnhafte Hammerskin Alessandro Bettini, Stefan Nufer sowie Sandra Pesch-Ebert prominent mit von der Partie. Auffallend während der ganzen Demonstration war die Offenheit vieler Demonstrierenden gegenüber den zahlreichen Neonazis. Insbesondere das Aushängeschild der Schweizer „Coronarebellen“ (Eigenname), Noah Raffael Carlino, konnte sich vor Freude über die Anwesenheit der Neonazis kaum im Zaum halten.

Februar:

  • Am 5. Februar wurde in St. Gallen eine Kundgebung der „Freiheitstrychler“ durch eine antifaschistische Demo mit etwa 200 Menschen verhindert. Die „Trychler“ zogen ihre Bewilligung wegen der angekündigten Gegendemonstration zurück. Es gibt kein ruhiges Hinterland!
  • Anfang Februar gab die „Partei nationalorientierter Schweizer“ (PNOS) nach 22 Jahren via Schreiben ihre Auflösung bekannt. Gegründet wurde die völkisch-nationalistische Partei im Jahr 2000 von den beiden Neonazis Sacha Kunz und Jonas Gysin. Die PNOS war gewissermassen der gescheiterte Versuch der rechtsextremen Kameradschaften, auf parlamentarischer Ebene Einfluss zu gewinnen. Dies gelang jedoch nie. Die PNOS diente während all der Jahre immer wieder gerne sowohl als Auffangbecken für anderswo gescheiterte Neonazis, aber auch als Sprungbrett für Karrieren in der rechtsextremen Szene. In den letzten Jahren machte die PNOS aber kaum noch Schlagzeilen und veröffentlichte nur noch sporadisch wirre, homophobe, rassistische und antisemitische Texte. Im Februar vergangen Jahres beförderte sich die PNOS nun selbst auf den Müllhaufen der Geschichte – dort soll sie auch bleiben.
  • Am 12. Februar nahmen diverse Schweizer Neonazis am „Day of Honour“ in Budapest teil. Unter anderem eine Gruppe Hammerskins, welche sich stolz in ihren meist im Kleiderschrank verstauten HS-Bomberjacken zeigte: Marc Züger (NO), Michael Kunz (HS), Reto Wäckerlig (HS), Jasmin Marfurt (C38), Caroline Moser (C38) und Gaël Renevey (HS) sowie dessen damalige Freundin Noemie. Diese heiratete Renevey übrigens im November 2022, die Feier fand auf dem „Château d`Estavayer le Lac“ statt. Wir wünschen den Frischvermählten an dieser Stelle von Herzen alles Schlechte. Der sogennante „Tag der Ehre“ findet seit Jahren in der ungarischen Hauptstadt Budapest statt. Die geschichtsrevisionistische Veranstaltung zieht jedes Jahr hunderte Neonazis aus ganz Europa an. Am „Tag der Ehre“ (engl.: „Day of Honour) gedenken die Neonazis deutscher und ungarischer Soldaten, welche 1945 während der Belagerung Budapests durch sowjetische Streitkräfte gafallen sind. Für 2023 wurde übrigens die aufstrebende rechtsextreme Walliser Liedermacherin Naomi Croset alias „Ewiger Sturm“ als Gast am „Day of Honour“ angekündigt.
  • Ebenfalls am 12. Februar fand in Zürich eine antifaschistische Demonstration statt. Geplant war eine Gegendemonstration gegen einen Aufmarsch von Rechtsextremist*innen, Verschwörungsideolog*innen und Coronaleugner*innen. Es wurde aber schnell klar, wem die Strassen Zürichs gehören. Es kamen über 4000 Antifaschist*innen zu einer der grössten und stärksten Demos der letzten Jahre zusammen, welche die einigen Hundert Schwurbler*innen untergehen liessen. Zu Beginn der Antifa-Demo griffen ca. 30 Neonazis der „Jungen Tat“ und befreundete Jungfaschist*innen u.a. aus Lyon einen Treffpunkt am Bahnhof an. Die Neonazis flüchteten und wurden anschliessend im Zürcher Niederdorf von der Polizei festgenommen. Im Nachgang der Demo wurde in bürgerlichen Medien vor allem über Sachbeschädigungen berichtet.

März:

  • Am 10. März wurden die beiden Co-Präsidenten der JSVP Bern, Adrian Spahr und Nils Fiechter, vom Bundesgericht wegen Rassendiskriminierung verurteilt. Damit sind zwei vorausgehende Urteile aus dem Jahr 2019 bestätigt worden. Im Verfahren ging es um einen antiziganistischen Beitrag der JSVP Bern, welcher sich gegen sogenannte Transitplätze für Menschen fahrender Lebensweise richtete (mit dem Text: «Wir sagen Nein zu Transitplätzen für ausländische Zigeuner»).
  • Im Zusammenhang mit den Grossratswahlen 2018 verbreitete die Partei das Plakat in den Sozialen Netzwerken und publizierte es auf ihrer Website. In der dazugehörigen Zeichnung steht im Vordergrund ein Schweizer in Sennentracht. Er hält sich vor einem Abfallhaufen einer Wohnwagensiedlung die Nase zu. Im Hintergrund ist eine dunkelhäutige Person zu sehen, die im Freien ihre Notdurft verrichtet.
  • Ende März wird die antifaschistische Kampagne „nazifrei.ch“ (neu nazifrei.org) gestartet. Dabei wurden im Frühling wöchentlich Mitglieder der „Jungen Tat“ auf einer Homepage öffentlich geoutet. Die Outings zogen diverse mediale Reaktionen nach sich. Dabei stand, wie zu erwarten, zumeist die „Illegalität“ und „Unverhältnismässigkeit“ der Homepage im Zentrum der Berichterstattung. In den Folgemonaten war zu beobachten, dass die „Junge Tat“ (JT) ihre Aktivitäten zwar nicht einstellte, jedoch konspirativer agieren musste. Dies dürfte nicht zuletzt eine direkte Folge der Veröffentlichung der Identitäten vieler Mitglieder gewesen sein. Die medial zugeschriebene Opferrolle nach den Outings wurde durch die JT schnell instrumentalisiert. So liessen beispielsweise Manuel Corchia und Tobias Lingg im zweiten Halbjahr keine Gelegenheit aus, zu betonen, dass sie keinesfalls Neonazis seien sondern schlicht „junge, kritische Patrioten“. Weiter verbreiteten sie gezielt das Narrativ, die „Junge Tat“ lehne Gewalt und Antisemitismus strikt ab. Diese Statements sind nichts weiter als lächerliche Versuche, die JT öffentlichkeitswirksam „reinzuwaschen“. Wie auch immer sie sich selbst beschreiben mögen – die „Junge Tat“ ist nach wie vor nichts anderes als eine rechtsextreme Gruppe, welche menschenverachtende und chauvinistische Ideologien vertritt, Kontakte zu anderen Neonazi-Netzwerken pflegt und Gewalt gegen Menschen ausübt, welche nicht in ihr Weltbild passen.

April:

  • Der rechtsextreme französisch-schweizerische Autor Alain Soral (bürgerlich Alain Bonnet) wurde von der Waadtländer Staatsanwaltschaft zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte öffentlich eine Journalistin sexistisch beleidigt (sie wurde von ihm unter anderem als „fette Lesbe“ bezeichnet) und queere Menschen als „gestört“ bezeichnet.
  • Am 9. und 10. April fand ein „Aktivistenwochenende“ der rechtsextremen Identitären Bewegung Schwaben im Domizil in Hohenlohe (Baden-Württemberg) statt. Anwesend waren auch mehrere Schweizer, so Manuel Corchia von der „Jungen Tat“ und Stefan Thöny aus Schmerikon SG.
  • Am 21. April berichtete „Der Bund“ über einen Ostschweizer, den die Behörden als „ersten Rechtsterroristen der Schweiz“ bezeichneten. Der 20-Jährige soll in Kroatien auf der Flucht verhaftet worden sein. Der Elektriker-Lehrling fiel wiederholt durch rassistische Äusserungen auf. So kündete er nach den Attentaten von Christchurch im März 2019 ähnliche Taten in der Schweiz an. Später bestellte er im Internet Chemikalien, welche sich zur Sprengstoffherstellung eignen und versuchte, Pistolen und Handgranaten zu besorgen.

Mai:

  • Am 1. Mai kletterten Mitglieder der „Jungen Tat“ in Zürich auf einen Baukran und hissten ein Transparent. Manuel Corchia, Tobias Lingg und Andreas Schnellmann wurden anschliessend von der Polizei festgenommen und somit auch vor den anwesenden Antifaschist*innen in Sicherheit gebracht. Im Nachgang kam es zum Streit unter den Beteiligten, da Lingg und Corchia offenbar der Polizei grosszügig Auskunft gaben, was Schnellmann nicht goutierte.
  • Anlässlich des 1. Mai fand in Dortmund eine Demonstration von Neonazis um die Partei „Die Rechte“ statt. Mit dabei waren die beiden Schweizer B&H-Member Marc Seiler und Timo Germann.
  • Am 4. Mai machte die Zeitung „24 heures“ öffentlich, dass der Präsident des FC Sion ein Boxtraining mit Joël Moret absolvierte, wie Fotos belegen. Joël Moret ist bekennender Neonazi und Mitglied der Neonazi-Hooligangruppe „Swastiklan/Radikal Sion“. Spannend dabei: Der FC Sion distanzierte sich zuvor in einem kurzen Statement von „seinen“ rechten Hooligans. Naja…
  • Am 21. Mai organisiert die SVP Basel Stadt eine Veranstaltung unter dem Namen „SVP bi de Lüüt“ in Basel beim Bahnhof Gundeli. Antifaschistische Kreise riefen zur Gegenkundgebung gegen die „rassistische und sexistische Millionärspartei“ auf. Beim Annähern an die Versammlung der SVP wurden sie von der Polizei direkt mit Gummischrot beschossen. In der Folge machte sich dennoch eine Demo von ca. 200 Menschen auf durch Basel.
  • Am 30. Mai startete im Regionalgericht Bern-Mittelland der sogenannte „Rockerprozess“. Dabei fanden sich auf der Berner Schützenmatte Dutzende Mitglieder des „Hells Angel MC“ ein. Unter ihnen auch der Walliser Neonazi und Hooligan Joël Moret.

Juni:

  • Am 15. Juni wird der Neonazi Kevin Gutmann im Zürcher Flussbad „Unterer Letten“ von Antifas angegriffen. Wie die Ärzte schon besangen: Scheint die Sonne auch für Nazis? Wenns nach mir geht, tut sie’s nicht.
  • Am 18. Juni löste die Polizei Zürich ein Konzert der deutschen Blood & Honour-Band Oidoxie und F.i.e.L (aka Marcel Martens) im Pfadiheim Rüti ZH mit ca. 50 Teilnehmenden auf. Wie so oft wurde eine Hütte unter falschen Angaben angemietet. Zuvor wurde die Kantonspolizei St. Gallen dank eines Hinweises auf ein von Neonazis gemietetes Lokal in Kaltbrunn SG aufmerksam. Diese informierte daraufhin den Besitzer der Lokalität, welcher den Vertrag stornierte. Die Neonazis wichen in das nahe Zürcher Oberland aus.
  • Am 21. Juni ging der Internetradiosender „Kontrafunk“ auf Sendung. Das Webradio bedient Verschwörungsideolog*innen und grundsätzlich eine rechte Klientel. Gegründet wurde „Kontrafunk“ vom rechten deutschen Journalisten Burkhard Müller-Ullrich, welcher nach eigenen Angaben vor der deutschen Coronapolitik „in die Schweiz geflohen sei“. Die Adresse des Senders führt zu einem alten Fabrikgebäude in Cham ZG, welches mit dem rechten Comedien Andreas Thiel in Verbindung steht.
  • Am 30. Juni findet im Regionalgericht Bern-Mittelland die Urteilsverkündung im „Rocker-Prozess“ statt. Nebst diversen Mitgliedern des „Hells Angels MC“ darf bei diesem erneuten Schaulaufen auch Joel Morët nicht fehlen. Da er selber noch kein Motorrad besitzt, welches sich vorzeigen lässt, muss er mit seinen Rockerfreunden im Auto anreisen.

Juli:

  • Mitte Juli macht die Wochenzeitung WOZ publik, dass in Uznach SG nach den Sommerferien eine Privatschule ihre Tore öffnet, welche nach den Lehren der rechts-esoterischen Anastasiabewegung unterrichten soll.

August:

  • Am. 1. August findet auf dem Vorplatz der Reitschule in Bern eine „Antifa Matinee“ statt. Der Anlass erinnert an den versuchten Brandanschlag des Neonazis Kim Sury auf das Antifafestival in der Grossen Halle der Reitschule im Jahr 2007. Dabei spielte unter anderen, wie bereits 2007, die Band „Normahl“ auf dem Vorplatz. Kein Vergeben – Kein Vergessen!
  • Am 6. August stirbt der Antifaschist Heinz Kaiser im Alter von 73 Jahren. Kaiser bezeichnete sich selbst als „Nazijäger“ und wurde bekannt, nachdem er Neonazis verprügelte und immer wieder diverse Anzeigen gegen diese einreichte. Ruhe in Frieden Heinz!
  • Mitte August erscheint auf der Rechercheplattform exif-recherche.org ein ausführlicher Bericht über die Schweizer Hammerskins SHS. Die Recherchen beleuchten die Geschichte der elitären Neonazi-Bruderschaft ausführlich und zeigen auf, dass die SHS auch heute noch sehr aktiv sind.
  • Am 23. August organisiert die neonazistische Kleinstpartei „Die Rechte“ in Dortmund eine Kundgebung, um gegen das nunmehr zehnjährige Verbot des „NWDO“ (Nationaler Widerstand Dortmund) zu demonstrieren. So zeigte sich auch das Schweizer B&H-Mitglied Manuel Bertozzi wieder einmal in Dortmund.
  • Ende August macht wiederum die WOZ bekannt, dass ein Verein mit Verbindungen in die rechte Reichsbürger*innen-Szene eine Privatschule in Rubikon ZH eröffnen will. Der Kanton Zürich bewilligt das Vorhaben. Die Schweiz ist mit ihren laschen Gesetzen im Umgang mit Rechtsextremismus für Neonazis schon lange ein idealer Rückzugs- und Ausweichort. Diese Tendenz scheint auch für (Privat)Schulen zutreffend zu sein.

September:

  • Am 3. und 4. September fand in Schnellroda (Sachsen-Anhalt) die „Sommerakademie“ des rechtsextremen Instituts für Staatspolitik statt – mit dabei waren u.a. die JT-Bubis Tobias Lingg und Moritz Frey. Frey trug dabei ein Shirt der extrem rechten flämischen Gruppierung „Schild & Vrienden“. Die JT führte mit „Schild & Vrienden“ in Belgien bereits eine kleine Aktion durch.
  • Am 12. September veröffentlicht die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) eine Fotoreportage aus dem ukrainischen Kriegsgebiet. Brisant dabei: Der Fotograf heisst Fips Neukamm, seineszeichens Protagonist der Neonazi-Kameradschaft „Rechtes Plenum“ aus Chemnitz. Gratulation NZZ!
  • Vor über vier Jahren wurden im deutschen Eichsfeld zwei linke Journalisten von Neonazis brutal angegriffen. Dabei kam der eine Journalist wohl nur durch Zufall und Glück nicht ums Leben. Am 15. September fällte das Landgericht Mühlhausen nun das Urteil im sogenannten „Fretterodeprozess“. Die beiden Neonazis Gianluca Bruno und Nordulf Heise werden zu Sozialstunden bzw. einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Das Urteil sowie die Argumentation ist dabei blanker Hohn und stellt ein fatales Zeichen für alle Journalist*innen dar, welche zu Rechtsextremismus recherchieren. Interessant dabei: Nach dem Überfall im Jahr 2018 setzte sich der jüngere der Angeklagten, Nordulf Heise, in die Schweiz ab. Dies geschah wohl auf Anraten seines Vaters Thorsten Heise, einem bekannten Neonazikader. Dieser liess seine Kontakte in die Schweiz spielen und vermittelte seinem Sohnemann über den Walliser Neonazi Silvan Gex-Collet eine Lerstelle bei der Heizungs- und Lüftungstechnikfirma Ewald Gattlen AG in Visp.
  • Am 18. September lud die SVP Stadt Bern nach Bümpliz zu einem „Burezmorge“. Neben lokalen Parteiexponent*innen waren auch mehrere Neonazis der Gruppe „Junge Tat“ anwesend, extra aus anderen Kantonen angereist. Die Politik der SVP ist für Neonazis äusserst attraktiv. Es wird beidseitig immer wieder der Schulterschluss gesucht. Als der Besuch der JT am Anlass publik wird, will die SVP davon nichts mitbekommen haben.
  • Am 24. September kämpft der Walliser Neonazi Simon Andenmatten im Ring des extrem rechten Kampfsportevents „Les Fils de Clovis“ in Paris. Andenmatten politisierte seineszeichens auch für die „Jeunes UDC Valais Romand“ (Junge SVP des französischsprachigen Teils des Kanton Wallis) und engagiert sich bei der Neonazigruppierung „Militant Suisse“.

Oktober:

  • Anfang Oktober erlangt der Wolhuser Adrian Zurkirchen durch das Jodel-Cover des vulgären Ballermann-Hits „Layla“ auf TikTok viel Aufmerksamkeit, was wiederum Beachtung bei Medien und Radiosendern mit sich zog. Zurkirchen geriet bereits 2007 und 2009 in unseren Fokus, als er an Neonaziaufmärschen in Sempach teilnahm. 2021 wurde Zurkirchen wiederholt an Protesten gegen die Coronamassnahmen gesichtet, inmitten antisemitischer und rassistischer Parolen.
  • Am 16. Oktober attackiert die „Junge Tat“ die „Drag Story Time“ im Zürcher Kulturort „Tanzhaus“ . Sie stören die Veranstaltung der Drag Queens und -Kings, die Kindern Geschichten vorlesen. Die Neonazis versuchen im Saal ein Banner aufzuhängen, werden aber von Anwesenden daran gehindert und rausgeworfen. Danach pöbeln sie vor dem Gebäude weiter und schüchtern die Anwesenden ein. Das Banner wird dann für die eigenen Poser*innenfotos noch präsentiert. Die Aktion löst ein riesiges Medienecho in der ganzen Schweiz aus, welches noch Monate nachhallen sollte. Auch im Zürcher Parlament wird die Aktion zum Thema. Alle Parteien verurteilen den Angriff aufs schärfste und solidarisieren sich mit den Betroffenen. Nur die SVP zeigt einmal mehr ihr wahres Gesicht und springt auf den Zug der Neonazis auf. So beantragte die Stadtzürcher-SVP im Nachgang, alle Zahlungen von öffentlichen Geldern für das Tanzhaus zu streichen, da die Veranstaltung „an Pädophilie grenze“.
  • Am 21. Oktober fand nach einigen Jahren Unterbruch erneut ein antifaschistischer Abendspaziergang in Bern statt. Es nahmen gut 2’000 Personen an der Demo teil, welche kämpferisch durch Bern zog.

November:

  • Der ehemalige PNOS-Aktivist und zu diesem Zeitpunkt neuer Prasident der SVP Ebikon LU, Christian Huber, fällt durch das Tragen eines Shirts der rechtsextremen Marke „Svastone“ auf.
  • Am 12. November fand in Genf anlässlich des 90. Jahrestages der „Genfer Blutnacht“ von 1932 eine grosse antifaschistische Demonstration unter dem Motto „Sans Memoire – pas d`avenir“ statt. Im November 1932 wurden in Genf an einer antifaschistischen Demonstration 13 Menschen durch die Schweizer Armee getötet und Dutzende verletzt. Nebst den Demos in Zürich im Februar und dem Abendspaziergang im Oktober in Bern, war die Demonstration in Genf die dritte grosse Antifademo im Jahr 2022 in der Schweiz. Schulter an Schulter gegen den Faschismus!
  • Am 19.11. findet ein Boxtraining der „Jungen Tat“ auf dem Sportplatz beim Schulhaus Rumisberg BE statt. Danach zogen die Neonazis als Gruppe durch Langenthal und Solothurn.
  • Am 20.11 hängte die JT ein rassistisches Banner am Hauptbahnhof in Basel mit dem Motiv des schwarzen Schafes, welches durch eine SVP Wahlkampagne bekannt wurde, auf. Es wird offensichtlich der Schulterschluss zur SVP gesucht. Die Neonazis werden im Nachgang teilweise verhaftet, andere werden in der Innenstadt von Antifaschist*innen verprügelt.

Dezember:

  • Mutmasslich die Neonazis der „Kameradschaft Heimattreu“ hängen anfang Dezember in der Region Sempach ein rassistisches Transparent mit der Aufschrift „Negerheim Allmend schliessen“ auf.
  • Nach einer Wanderung der „Jungen Tat“ am 4. Dezember besuchten Tobias Lingg und andere Mitglieder der JT unbemerkt den Weihnachtsmarkt in Bern.
  • Am 10. Dezember findet in Wien eine Feier anlässlich der „IB Östereich“ (Identitäre Bewegung) der IB in Wien Margareten statt. Anwesend am kleinen Fest sind einige Jünglinge der JT sowie deren Freund*innen der IB Schwaben aus Deutschland.
  • Am 16. Dezember sollte in Köniz ein Metal-Konzertabend u.a. mit der italienischen NSBM Band „Forgotten-Tomb“ stattfinden. Der öffentliche Druck auf den Veranstalter wurde zu gross, so dass das Konzert im Kulturhof offiziell abgesagt wurde. Die Konzerte fanden jedoch am Abend im privaten Rahmen in der „NachBar“ in Köniz trotzdem statt.

*NO = Nationale Offesive

*HS = Hammerskins

*B&H = Blood & Honor

*C38 = Crew 38

*JSVP = Junge Schweizerische Volks Partei

*UDC = Union Démocratique du Centre

*JT = Junge Tat

*MS = Militant Suisse

Kurze Übersicht 2022

Der Start ins Jahr 2022 war geprägt von den Nachwehen der Coronapandemie. Auf der einen Seite schien eine Rückkehr in die vielpropagierte „Normalität“ so nahe wie nie, auf der anderen Seite versuchten rechtskonservative und verschwörungsideologische Kräfte nochmals von der Pandemie zu profitieren. So gelang es besagten Kreisen Anfangs Jahr nochmals, eine grössere Masse an Menschen für Demonstrationen zu motivieren. Dabei bleibt vor allem die Demonstration vom 22. Januar in Bern in Erinnerung, als Rechtsextreme um die Junge Tat diese anführten.

Im weiteren Jahresverlauf beschäftigten uns die Nazis der Jungen Tat vermehrt. Fast wöchentlich führten sie Aktionen durch oder reisten ins Ausland. Besonders wichtig dabei ist immer die Dokumentation der Aktionen und die darauffolgende Inszenierungen in den Sozialen Medien. Insbesondere nach dem vielbeachteten Angriff auf die „Drag Story Time“ im Zürcher Tanzhaus, stiess diese auf viel Resonanz bei den grossen Medienhäusern. Später liessen sich einige gar darauf ein, den Nazis eine Plattform zu bieten, als diese regelrecht darum bettelten, sich öffentlich rechtfertigen zu können. Die (Stadtzürcher) SVP bestärkte die Neonazis zudem mit einem politischen Vorstoss mit derselben, queerfeindlichen Stossrichtung. Die JT schaffte es im 2022 u.a. mit dieser Aktion Aufmerksamkeit zu generieren und sich, in bester identitärer Manier, gewissermassen „reinzuwaschen“. Trotz all des Hypes um die junge, aktivistisch agierende Gruppe scheint es uns wichtig sie nüchtern einzuordnen. Die JT als öffentlich aktivste und Sichtbarste Neonazigruppierung zu beschreiben ist sicherlich nicht falsch, allerdings muss uns bewusst sein, dass die öffentliche Aufmerksamkeit praktisch das gesammte Kapital der Gruppe darstellt. Aus diesem Grund sollte die Gruppe nicht grösser gemacht werden als sie ist, einen Kern aus 5 Personen und etwa 15 weitere drumherum.

Nach dem die Gruppe 2021, z.B. an der Schlachtfeier von Sempach, wo sie zentrale Aufgaben übernahm, noch den Anschluss an die alten, etablierten Neonazistrukturen suchte, war 2022 ein Bruch festzustellen. Strukturen wie die Hammerskins oder Blood&Honour scheinen vom öffentlichen, elitären Anspruch der JT nur mässig angetan. Diese Entwicklung dürfte auch ein Teil der Erklärung sein, weshalb die verbliebenen Nazis der Jungen Tat ab 2022 den Schulterschluss mit der (Jungen) SVP suchen. Nicht überaschend zeigt die Rechtsaussenpartei bisher kaum berührungsängste mit den Neonazis. Abgesehen von einigen Lippenbekenntnisen „gegen Nazis“ scheint die SVP die verschmelzung mit der aktivistischen JT zu geniessen. Inhaltlich, personell und retorisch sind die Grenzen fliessend. In der Westschweiz lässt sich diese Entwicklung ebenfalls beobachten, so gibt es neben Simon Andenmatten noch weitere personelle Überschneidungen zwischen der Neonazigruppe Militant Suisse und der Jungen SVP . Für uns kann das nur eines heissen: Gruppen wie die JT oder MS und deren Wegbereiter auf allen Ebenen anzugreifen, überall.

Erwähnenswert im Jahr 2022 ist sicherlich auch die Auflösung der PNOS. Die Partei stellte über zwei Jahrzehnte ein Sammelbecken für Neonazis in der Schweiz dar. Auch wenn der parlametarische Erfolg fast gänzlich aublieb, war die PNOS wichtig für den Einstieg und Zusammenhalt der Szene. Die letzet Jahre vor der Auflösung fristete die Partei allerdings auch innerhald der rechtsextremen Szene nur noch ein Schattendasein. https://www.antifa.ch/das-lange-ende-der-pnos/

Die während der Corona-Pandemie entstandenen Verstrickungen zwischen Rechtsextremen und esotherisch-Verschwörungsgläubigen Kreisen beschäftigten uns weiterhin. Auch hier sind die Grenzen fliessender und zuweilen unübersichtlicher geworden. Vereint in der Kritik „am System“, der Regierung oder der „Elite“ verschmolzen patriotisch-konservative, antisemitische, rassistische oder misogyne Positionen zu einer neuen Neokonservativen Bewegung. Welche sich stets neuen Themen annimmt und versucht eine von Rechts geführte Querfront aufzubauen. Nach der Pandemie brach die Bewegung zwar in grossen Teilen zusammen und schaffte es in der Folge kaum noch die grosse Masse zu mobilisieren.

Jedoch ist diese neu entstandene rechte Bewegung als sehr gefährlich einzuschätzen. Sie ist daran ein neokonservatives Lebensgefühl zu schaffen, wo es zum guten Ton gehört rassistisch, homophob und antifeministisch zu sein.

Wir als auserparlametarische Linke sollten allerdings auf der Hut sein, denn das schnelle entstehen einer solchen Bewegung wird auch in Zukunft möglich sein. Denn das Zulassen höchstproblematischer Positionen und diversen Grenzüberschritungen stösst bei uns zurecht auf starke Ablehnung – Allerdings sollten wir zukünftig bessere Strategien als blosen Rückzug und Ablehnung entwickeln um darauf zu reagieren. Denn von einer grossen, unkritischen Masse profitieren einzig rechte Kräfte.

Besonders in Erinnerung dürfte 2022 auch die neuentfachte Debatte um ein Verbot von Nazi-Symbolik in der Schweiz bleiben. So forderte unter anderen der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) ein generelles Verbot von nationalsozialistischer Symbolik. Entsprechende parlamentarische Vorstösse wurden jedoch vom Bundesrat mit der immer selben Leier gebodigt. So sei die „Meinungsfreiheit“ höher zu gewichten und ein Verbot sei schlicht nicht notwendig. Der Umstand, z.B. Hitlergrüsse oder Hakenkreuze offen zeigen zu dürfen, ist jedoch mitverantwortlich das Neonazis aus dem Ausland diverse Aktivitäten in die Schweiz verlegen. Warum auch nicht, wenn man hier schön in Ruhe gelassen wird? Dieser Umstand ist nicht neu, wird von einer parlamentarischen Mehrheit jedoch seit Jahren ignoriert.

Während 2022 die Jungnazis der JT die Schlagzeilen prägten und überproportional viel Aufmerksamkeit erhielten, sollten wir alteingesessene Strukturen, wie jene der Hammerskins, nicht aus den Augen verlieren. Die ausführliche Exif-Recherche über die Schweizer Hammerskins (SHS) zeigt schonungslos auf, wie aktiv und vernetzt die Hammerskins nach wie vor sind. Im Gegensatz zur neuen Generation Neonazis agieren die HS aber zurückhaltender im Hintergrund.