Ab aufs Rütli – und zwar alle

Neue Luzerner Zeitung vom 10.06.2011

Benno Mattli über die Frage, ob politische Parteien aufs Rütli dürfen

Den Wirbel losgetreten hat die SVP. Am Freitag, 27. Mai, versammelte sich der Zentralvorstand der wählerstärksten Schweizer Partei unerlaubterweise auf dem Rütli, um dort eine Art Rütlirapport abzuhalten. Rund 70 Personen waren mit dabei, darunter Parteipräsident Toni Brunner, alt Bundesrat Christoph Blocher und Verteidigungsminister Ueli Maurer, der eine Rede über General Guisan hielt.

Ein Gesuchum eine Bewilligung für die Benutzung des Rütlis – diese ist nötig bei einer Veranstaltung mit mehr als 50 Personen – hatte die Partei wohlweislich nicht gestellt. Denn es wäre ihr mit grosser Sicherheit nicht erteilt worden. Grund: «Politische Parteien erhalten keine Bewilligung für Veranstaltungen auf dem Rütli», so Annemarie Huber-Hotz, Präsidentin der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), welche das Rütli seit 1860 verwaltet.

Der Rütlirapportder SVP rief prompt die CVP auf den Plan. Denn diese hatte an Fronleichnam auf dem Rütli ebenfalls einen Anlass durchführen wollen, war mit ihrem Gesuch dafür aber bei der SGG abgeblitzt. «Eine Frechheit», enervierte sich die Luzerner CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann gegenüber unserer Zeitung. Und weiter: «Parteien, die sich um das Wohl des Landes kümmern, haben keinen Zutritt auf dem Rütli. So weit sind wir inzwischen.» Mittlerweile sind auf Bundesebene zwei Vorstösse eingereicht worden: einer von der SVP-Fraktion und einer von der Luzerner CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann und 46 Mitunterzeichnern.

Beide haben diegleiche Stossrichtung: Die SVP verlangt, «dass politische Parteien im Rahmen von kleinen parteiinternen Anlässen keine Bewilligung brauchen, um sich auf dem Rütli zu treffen. Für grössere öffentliche Anlässe von Parteien soll ein Gesuch gestellt werden müssen. Diese Gesuche sollen, soweit dies mit der übrigen Nutzung des Rütlis vereinbart werden kann, generell erlaubt werden.» Glanzmann ihrerseits fordert: «Der Bundesrat soll zusammen mit der SGG das heutige Reglement überprüfen und gewährleisten, dass der Zugang gemäss dem Parteienregister des Bundes auf das Rütli möglich wird.»

Stellt sich also die Frage: Sollen politische Parteien aufs Rütli dürfen oder nicht? Nein, sagt die SGG. «Denn», so Huber-Hotz, «das Rütli gehört allen Schweizerinnen und Schweizern; es soll für alle zugänglich sein. Und genau darum ist es nicht für parteipolitische Propaganda zulässig. Denn die Parteien vertreten immer nur einen Teil der Bevölkerung.»

Nein, sagt auch der Urner Regierungsrat Josef Dittli. «Damit werden Tür und Tor geöffnet für politische Manifestationen von Parteien mit extremistischem Gedankengut.» Dittli befürchtet plötzlich wieder hohe Sicherheitskosten, die dann der Steuerzahler berappen müsste.

Natürlich sind diese Argumente nachvollziehbar – allerdings: Ganz so einfach ist es nicht. Denn im Gegenzug sprechen gleich mehrere Gründe für eine Öffnung des Rütlis auch für Parteien:

«Das Rütli gehört allen Schweizerinnen und Schweizern; es soll für alle zugänglich sein.» Sagt ja sogar – wie oben erwähnt – die SGG. Wieso also schliesst man dann die Parteien aus?

In der Benutzungsordnung für das Rütli steht nirgendwo, dass parteipolitische Anlässe verboten wären. Die SGG beruft sich hier auf eine ständige, jahrzehntealte Praxis. Bewilligungspflichtig sind lediglich Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen.

Politische Parteien vom Rütli fernzuhalten, irritiert auch deshalb, weil das Rütli die wohl politischste Wiese der Schweiz ist. Denn hier wurde 1291 der Rütlischwur geleistet, der gemeinhin als Geburtsstunde der Eidgenossenschaft gilt.

Es ist an der Zeit,den alten Zopf des Parteienverbots auf dem Rütli abzuschneiden. Natürlich braucht es dafür gewisse Spielregeln. Zum Beispiel: Das Einreichen eines Gesuchs und die daraus resultierende Bewilligung für eine Veranstaltung mit mehr als 50 Personen sind weiterhin nötig. Oder: Es erhalten nur Parteien eine Bewilligung, welche – wie es Glanzmann vor- schlägt – im nationalen Parteienregister verzeichnet sind. In dieses schaffen es nur Parteien, die entweder einen Vertreter im Nationalrat haben oder je drei Mitglieder in drei Kantonsparlamenten stellen. Mit andern Worten: Für extremistische Gruppierungen wie die Pnos stünde die Wiese nicht bereit. Und schliesslich: Spontane Besuche kleinerer Gruppen – also unter 50 Personen – müssen auch für Parteien ohne Bewilligung möglich sein.

Grundsätzlich abermuss gelten: Wer sich an unsere Rechtsordnung hält – egal, ob er politisch nun rechts oder links steht –, dem darf der Zugang aufs Rütli nicht verwehrt werden. Denn eines ist Fakt: Das Rütli gehört nicht der SGG – sie ist lediglich die Verwalterin –, sondern dem Schweizer Volk. Und deshalb ist es uneinsichtig, weshalb unsere Volksvertreter nicht auf diese historische Wiese dürfen.