«Es gibt in der Schweiz starke rechtsextreme Gruppierungen»

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Ein Winterthurer Kunststudent (19) will eine Schweiz nur für Weisse und will dies mit seiner Gruppe «Eisenjugend» erreichen. Ex-Neonazi TM-Garret Schmid über Rechtsextremismus.

Herr TM Garret Schmid*, ein Kunststudent, der für den rechten Extremismus schwärmt. Kommt Ihnen das bekannt vor?

(Lacht). Man denkt gleich an den Mann mit dem lustigen Schnauz, aber mit einer nicht so tollen Ideologie.

Zufall oder bewusst gewählte Richtung?

Ob das bewusst so gewählt ist, ist schwierig zu sagen. Man müsste schon die Vergangenheit und Hintergründe des jungen Mannes kennen.

Wie passen ein Student und Rechtsextremismus zusammen?

Generell sind Intellektuelle kein neues Phänomen. Früher waren es vorwiegend clevere Menschen, die gewandt sprechen und andere Menschen von etwas überzeugen konnten. Unser Bild von einem Nazi ist jedoch eher von den rauen Skinheads geprägt. Durch sie hat man die Gefahr, die von Rechtsextremen ausgeht, zum ersten Mal auch visuell zu spüren bekommen. Die Bevölkerung hat dadurch die Vorstellung, dass Nazis glatzköpfige Schläger sind, die ständig saufen und kein gutes Benehmen an den Tag legen.

Rechter Extremismus und die Schweiz. Wie passt das für Sie zusammen?

Die Schweiz wird kaum mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht. Historisch bedingt sind das eher Deutschland und Österreich. Vielleicht liegt es daran, dass man die Schweiz als neutral ansieht und auch gleich an das Wahlsystem denkt, dass allen erlaubt, ihre Ideologien auf demokratischen Weg auszutragen. Es gab und gibt aber in der Schweiz immer wieder starke rechtsextreme Gruppierungen, nur sind diese nicht einheitlich ausgerichtet. Das liegt an den verschiedenen Regionen. Die Rechtsextremen in der Deutschschweiz haben beispielsweise etwas andere Ideologien als etwa die aus dem französischsprachigen Raum.

Die Winterthurer Gruppe soll ein Ableger der amerikanischen Iron Youth sein. Was halten Sie davon?

Ich bezweifle, dass es autorisierte Ableger sind. Vermutlich haben sie einfach die Symbolik dieser Gruppe übernommen. Sowieso: Für die rechte Szene ist es typisch, dezentralisiert zu sein. Man funktioniert nicht wie etwa eine Partei. Ein Beispiel: Der Ku-Klux-Klan hat verschiedene Gruppen autorisiert, beispielsweise mit einem Schreiben. Die hatten aber keine Ahnung und keine Kontrolle darüber, was in diesen Gruppen läuft. Die haben sich einfach gefreut, dass sie einen Ableger haben, wodurch sie sich brüsken konnten. Das heisst: der Klan war das Vorbild, die Gruppe funktioniert aber völlig autark.

Die Gruppe scheint auf Social Media recht aktiv zu sein. Gründe dafür?

Diese bieten einerseits eine Plattform, um seine Ideologie zu präsentieren. Ganz stark werden die Kanäle aber dafür genutzt, um Leute zu rekrutieren. Wobei man darauf achten muss, dass nicht alle Kanäle gleich gut sind. Auf Facebook findet alles etwas subtiler statt als etwa auf Telegram, weil man ja sonst geblockt wird. Auch zu Beginn werden die Leute eher mit subtilem Inhalt geködert, es steigert sich danach Schritt für Schritt. Die Rekrutierer sind sich bewusst, wie wichtig die sozialen Medien sind. Durch sie funktioniert auch die Rekrutierung viel schneller.

Wer sind denn solche Rechtsextremismus-Anhänger?

Sie können aus allen Gesellschaftsschichten kommen. Die Rekrutierer suchen sich Personen aus, die bereits einen «fruchtbaren Boden» bieten. Früher dachte man gleich an Scheidungskinder, die dann gesellschaftlich abrutschen. Heute gibt es aber so viele Scheidungskinder und doch rutschen sie nicht ab. Hier zeigt sich die Wichtigkeit der Erziehung: Kinder, die etwa von ihren Eltern emotionale Werte wie Empathie mitgegeben bekommen, sind weniger anfällig für radikale Ideologien. Eine weitere wichtige Rolle spielt die Dialogfähigkeit zwischen Eltern und Kind: Wie ernst nehmen die Eltern die Ängste ihres Kindes, versuchen sie das Kind aufzuklären? Viele Eltern reagieren meiner Meinung nach falsch, wenn ihre Kinder beginnen, sich für radikale Ideologien zu interessieren. Entweder sie reagieren mit voller Härte – etwa Konservative – oder sie lassen ihr Kind einfach sein. Dabei ist es so wichtig, dass sich Eltern hinsetzen, dem Kind zuhören und ihnen die Angst über den Dialog nehmen.

Sie erwähnen immer wieder die Rekrutierer. Was ist deren Haupt-Werkzeug?

Sie spielen mit den Ängsten ihrer Zielgruppe. Vielfach ist die Gefahr nicht real, aber sie bringen die Leute dazu, reale Angst davor zu empfinden. Ein Beispiel: Ich hatte keine Familie. Alles was ich hatte, war, Deutsch zu sein. Andere Leute reagierten darauf und bezeichneten mich als Nazi. Sie versuchten mich, auf die harte Tour von meiner Ideologie zu entfernen. Dabei wollte ich nur der stolze Deutsche sein und habe dementsprechend auf ihre Kritik reagiert.

Warum haben die Behörden im Fall Winterthur nicht eher reagiert, obwohl das Tun der Gruppe mindestens seit Anfang Jahr bekannt war?

Vermutlich gab es bisher keine strafrechtliche Basis, um eingreifen zu können. Solche Gruppen wissen ganz genau, wie sie ihre Ideologie verbreiten können und sich strafbar zu machen. Die Grenze wurde vermutlich dadurch überschritten, als sich einzelne Mitglieder Waffen besorgt haben.

Im Fall Winterthur wurde den Behörden vorgeworfen, den rechten Extremismus anders als den islamistischen Extremismus zu dulden. Ist das so?

Definitiv. Der Druck aus der Bevölkerung auf die Behörden ist auch ein ganz anderer. Man muss hierbei verstehen, wie die Bevölkerung empfindet. Dafür reicht ein Blick auf die Geschichte Europas: Hier leben vorwiegend weisse Christen. Auch die Extremisten entsprechen diesem Bild. Islamisten werden eher als Fremdkörper angesehen, weil sie anders aussehen, anders sprechen und einen anderen Glauben haben. Grob gesagt: Ein Schweizer kann sich eher mit einem weissen Rechtsextremisten identifizieren als mit einem Islamisten.

Die Gruppe scheint sich auch Anti-Feministisch geäussert zu haben. Welche Rolle kommt der Frau in der rechten Szene zu?

Frauen werden immer noch als das schwache Geschlecht angesehen und weiterhin in traditionelle Rollen gedrückt. Ausserdem gibt es in der rechten Szene viel Gewalt gegen Frauen.

Man hat das Gefühl, dass in den letzten Monaten die Stimme der Schwarzen lauter geworden ist. Es scheint aber auch mehr Rechtsextremisten zu geben. So etwa in den USA. Ist Rechtsextremismus etwa eine Reaktion auf die Forderungen der Schwarzen?

Definitiv. Manche Leute – Weisse – haben das Gefühl, durch Bewegungen wie etwa «Black Lives Matters» in eine Ecke gedrückt zu werden und reagieren dann mit Extremismus.

Können Sie das näher beschreiben?

Viele Weisse gehen davon aus, dass wir bereits jetzt alle die gleichen Rechte haben, obwohl dem bei weitem nicht so ist. Dadurch, dass die Forderungen nach Gleichberechtigung lauter werden, haben die Weissen Angst, dass die Schwarzen am Ende mehr vom Kuchen haben und sie als Weisse nicht mehr ernst genommen werden. Das kann dann entsprechend in rassistische bis hin zu rechtsextremen Gedanken ausarten, wenn sich keiner drum kümmert. Das sind dann tolle Voraussetzungen für extremistische Rekrutierer.

Zurück zu Winterthur: Zwei 19-jährige Männer wurden festgenommen. Welche Bedeutung kommt einer solchen Festnahme zu?Werden die beiden Männer ihre Ideologie ablegen?

Eine Strafverfolgung ist sinnvoll und muss geschehen. Meist ist es aber so, dass gesetzlich durchgegriffen, aber nicht resozialisiert wird. Weshalb ich nicht erwarte, dass diese ihre Ideologie durch die Festnahme «verraten». Es ist eher zu erwarten, dass der Hass auf die Gesellschaft wächst.

*TM Garret Schmid ist ein Ex-Neonazi, Buchautor, Ausstiegshelfer und Filmemacher.

KASTEN.

Wer ist TM Garret Schmid?

Mit 13 Jahren begann sich der Deutsche Achim Schmid für den Nationalismus zu interessieren. In den nächsten zehn Jahren wurde er Schritt für Schritt radikalisiert: Er hasste Migranten, Juden, Homosexuelle und Linke. Den Höhepunkt erreichte er mit der Gründung seiner eigenen Ku-Klux-Klan-Gruppierung. 2002 schmiss er hin. Der Druck aus der Gesellschaft sei zu gross gewesen. Schmid zog von Schwäbisch Hall nach Ulm. Eine Bekanntschaft sollte sein Leben verändert: Ein Türke vermietete ihm eine Wohnung in seinem Haus. Es kam zum regen Austausch. Dann habe es Klick gemacht. Doch dann wurde der Fall NSU in Deutschland bekannt. Schmids Name fiel als möglicher Unterstützer. Er entschied sich auszuwandern. Heute lebt Schmid in Memphis. Er hat die Organisation C.H.A.N.G.E. gegründet und engagiert sich dort gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. In den USA änderte er auch seinen Namen von Achim Schmid in TM Garret Schmid.