NSU-Morde: Spuren führen in die Schweiz

Schweiz am Sonntag: Neue Enthüllungen belasten einen ehemaligen V-Mann, der heute im Kanton St. Gallen lebt

Ralf M. (44) ist kein unbeschriebenes Blatt. Früher war er ein gefürchteter Neonazi in Sachsen (D). Unter dem Decknamen «Primus» wurde er vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als V-Mann rekrutiert. Zehn Jahre belieferte er das BfV mit Informationen, bis er 2002 als Spitzel abgeschaltet wurde. Offenbar weil er das Amt immer wieder angelogen hatte. Seit einigen Jahren wohnt M. in der Schweiz. Zuerst im Kanton Graubünden, heute im Kanton St. Gallen, nahe an der Landesgrenze zum Fürstentum Liechtenstein.

Jetzt zeigen neue Recherchen, dass Ralf M. mit dem NSU-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe verbandelt war. Die rechtsextreme terro ristische Organisation hatte zwischen den Jahren 2000 und 2006 neun rassistisch motivierte Morde begangen. Derzeit wird der letzten Überlebenden des NSU, Beate Zschäpe, in München der Prozess gemacht.

Die Erkenntnisse einer Recherche des deutschen Nachrichtensenders ARD und eines Autorenteams der «Welt» zeigen, dass M. noch als V-Mann «Primus» von 2000 bis 2002 in Zwickau eine Baufirma betrieb. Sein 15-köpfiger Bautrupp bestand vor allem aus rechtsextremen Skinheads, darunter der NSU-Mörder Uwe Mundlos. Laut «Welt» und ARD legen das M.s eigene Aussagen, diverse Dokumente sowie weitere Aussagen von mehreren Zeugen nahe.

In diesem Zeitraum tötete das NSU-Trio vier seiner insgesamt neun Opfer. Bei zwei Taten soll das Auto, das die Mörder an den Tatort und zurückbrachte, über M.s Baufirma ausgeliehen worden sein, so die Recherchen.

Ende 2012 und Anfang 2013 musste M. deswegen bei der Staatsanwaltschaft Graubünden antraben. Anwesend waren auch zwei Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA). M. stritt ab, Uwe Mundlos zu kennen respektive ihn in seiner Baufirma engagiert zu haben. Als ihn die Beamten jedoch nach einem Max-Florian Burkhardt fragen, sagt M.: «Der hat bei mir als Trockenbauer gearbeitet.» Als ihm ein Foto von Burkhardt vorgelegt wird, gibt er an, dass dies nicht der Burkhard sei, den er kenne. «Der Burkhardt, den ich meine, hat blonde Haare und stechende Augen» – so wie sie Mundlos hat. Laut ARD und «Welt» hätten den BKA-Beamten da die Alarmglocken klingeln müssen. Denn sie wussten: Max-Florian Burkhardt ist ein früherer Neonazi, der dem NSU-Trio ab 1998 die Wohnung und später seine Identität überliess. Uwe Mundlos benutzte dessen Papiere, um sich unter anderem einen Reisepass, eine Zugkarte mit seinem eigenen Passfoto, aber dem Namen und den Daten von Burkhardt ausstellen zu lassen.

Am Samstag war Ralf M. nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Im «Liechtensteiner Vaterland» beklagte er sich am Freitag, gegen ihn werde eine Hetzkampagne geführt. Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag, Clemens Binninger, sprach nach den jüngsten Enthüllungen von «einer völlig neuen Dimen sion». Man wolle sich in der nächsten Sitzung mit dem ehemaligen V-Mann «Primus» und den Verstrickungen des Verfassungsschutzes «vordringlich befassen». M. dürfte bald Besuch von der deutschen Polizei erhalten.