Pfarrerin der Islamhetze beschuldigt

reformiert vom 30.09.2011

 

Kirche/ Führte die Pfarrerin vonSiselen als islamfeindliche Bloggerin ein Doppelleben? Medien-berichte rütteln die Berner Kirche auf. Die Pfarrerin distanziert sich.

Christine Dietrich, Pfarrerin in Siselen-Finsterhennen, findets «nur noch schrecklich», wie die Medien sie behandeln. Da werde eine alte Geschichte von den Redaktionen wieder hervorgezerrt. Dabei sei das Kapitel längst abgeschlossen.

Das Kapitel ist aber brisant und deshalb für Journalisten «eine Geschichte»: Die Berner Theologin war offenbar jahrelang bei «politically incorrect» (PI) aktiv: einem Blog, der als rassistisch, volksverhetzend und islamdiskriminierend gilt. Deutsche Politiker fordern schon länger, dass die PI-Aktivitäten vom Verfassungsschutz geprüft werden.

Ist Christine Dietrich eine «Islamhetzerin», wie die «Berliner Zeitung» schreibt, oder ist sie eine naive Mitläuferin, die zu spät erkannte, dass sie einer rechtsextremen Szene als theologisches Feigenblatt dient? Tatsache ist, dass die Doktorin der Theologie, die teilweise in Israel studiert hat und nach eigenen Worten «aktiv im interreligiösen Dialog» ist, 2009 in Köln an einer Kundgebung gegen den Bau einer Moschee einen Segen sprach. Tatsache ist auch, dass sie Artikel für den islamfeindlichen PI-Blog verfasste oder mindestens mitverantwortete. Und Tatsache ist schliesslich, dass Christine Dietrich im Juni 2010 am Rande des «Counter Jihad» in Zürich als Stadtführerin fungierte. An diesem internationalen Antiislamistentreffen wurden Thesen vertreten, die später im Manifest des Oslo-Attentäters auftauchten.

Die Ortskirche. Hat der Kirchgemeinderat von Siselen, der Christine Dietrich per Anfang 2011 zur Dorfpfarrerin wählte, all dies gewusst? Kirchgemeindepräsident Herbert Roth sagt, dem Rat seien die Anschuldigungen bekannt gewesen, «aber wir kannten Frau Dietrich, weil sie vorher bei uns bereits als Stellvertreterin gewirkt hatte. Sie ist sehr beliebt und hat sich nie islamfeindlich geäussert». Roth steht nach wie vor hundertprozentig hinter seiner Pfarrerin und sagt, die ganze Geschichte habe im Dorf keine negativen Reaktionen ausgelöst. Die Zeitungsbeiträge sieht Roth als Hetzkampagne. Man erwäge eine Verleumdungsklage gegen die Verfasser der Artikel, «die ihre Anschuldigungen ja nicht einmal beweisen können».

Zusammen mit der Pfarrerin hat der Kirchgemeinderat nach Bekanntwerden der Vorwürfe ein Communiqué an die Medien verschickt. Darin wird festgehalten, dass die Pfarrerin sich künftig nicht mehr in Internetforen, sondern nur noch im direkten Gespräch äussern wolle. Es wird auch erwähnt, dass Pfarrerin Dietrich letztes Jahr, anlässlich der Nacht der Religionen, die Moschee in Grenchen besucht habe und sich mit ihrer «sachlichen Kritik nicht gegen etwas oder jemanden, sondern für Demokratie und Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte» einsetze.

Die Kantonalkirche. Etwas weniger schnell erteilt die Kantonalkirche der angeschuldigten Pfarrerin die Absolution. Matthias Zeindler, Leiter des Bereichs Theologie der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, gesteht, dass er «nicht total überrascht» worden sei von den Vorhaltungen in der Presse. Man sei mit Frau Dietrich seit Längerem im Gespräch. Im August 2010 habe man gemeinsam eine Vereinbarung getroffen. Frau Dietrich habe bei dieser Gelegenheit versichert, dass sie nichts mehr zu tun habe mit dem PI-Blog. Die Glaubwürdigkeit dieser Aussage wird nun geprüft (vgl. Interview mitAndreas Zeller). Im Übrigen räumt Zeindler ein, dass ein religiös verklausulierter Rassismus durchaus ein Thema sei, das man verfolge. Und was tut die reformierte Berner Kirche, wenn Menschen mit Verweis auf die christliche Leitkultur rassistische Thesen vertreten? «Wir müssen positiv engegenwirken. Zum Beispiel können wir bei solchen Gelegenheiten wieder mal bewusst machen, dass in der Kirchenordnung verankert ist, wie wir mit anderen Religionen umgehen wollen» (vgl. Kasten).

Die Öffentlichkeit. In Leserbriefen zum Fall Siselen kommt derzeit eine ganze Palette von Meinungen zum Ausdruck. Hasstiraden gegen muslimische Glaubensangehörige gehören nicht dazu. Die finden sich dafür in anonymen Veröffentlichungen im Internet. Dort – und das haben vielleicht die Beiträge um «politically incorrect» der Öffentlichkeit bewusst gemacht – gibt es jede Menge diffamierender Hassblogs, in denen sich Rechtsextreme und selbst ernannte «Islamkritiker» in den letzten Jahren ein hochexplosives Weltbild geschaffen haben. Eine echte Auseinandersetzung findet auf diesen Netzwerken nicht statt. Dafür wird Geschichtsklitterei betrieben: So wird beispielsweise die Antiislambewegung mit den Widerstandskämpfern um Sophie Scholl und Claus von Stauffenberg im Dritten Reich verglichen. Und keiner widerspricht. Rita Jost

Aus der bernischen Kirchenordnung

«Zusammen mit der Charta oecu-menica erklärt auch unsere Kirche: Die Begegnung zwischen Christenund Muslimen sowie den christlich-islamischen Dialog wollen wir aufallen Ebenen intensivieren. Gemeint ist dabei die Verpflichtung, miteinander über den Glauben an den einen Gott zu sprechen, das Verständnis für die Menschenrechte zu klären, denMuslimen mit Wertschätzung zu begegnen und bei gemeinsamen Anliegen mit ihnen zusammenzuarbeiten.»

Zur Sache: Der Synodalratspräsident

Wussten sie Das, Herr Zeller?

Herr Zeller, war dem Berner Synodalratbekannt, dass Pfarrerin Christine Dietrich Verbindungen zu islamfeindlichen Kreisen hatte?

Als Frau Dietrich 2008 in den bernischen Kirchendienst aufgenommen wurde, war uns dies nicht bekannt. Als sie 2009 an einer Antiislamkundgebung in Köln einen Segen sprach, wurden wir darauf aufmerksam. Wir gingen aber davon aus, dass diese Aktivitäten Geschichte sind. Der Beauftragte für Kirchliche Angelegenheiten beim Kanton hat damals das Manuskript der Rede gelesen, aber nichts Anstössiges gefunden.

Frau Dietrich hat auch nach diesem Anlass noch im Dunstkreis der islamfeindlichen Organisation «political in-correct» gewirkt – letztes Jahr etwa beim internationalen Kongress «Counter Jihad» in Zürich. Wussten Sie das?

Von ihrem Auftritt als Stadtführerin am Rand dieses Kongresses wussten wir nichts. Aber unser Departement und Bereich Theologie hatten im August 2010 ein Gespräch mit Frau Dietrich. Sie wurde nach ihren Kontakten befragt, und sie hat glaubhaft versichert, dass sie keine Verbindungen mehr habe. Es gab keinen Anlass, ihr nicht zu glauben.

Und heute – haben Sie Anlass?

Wir klären das ab. Wenn der Verdacht besteht, dass Frau Dietrich entgegen ihren Beteuerungen nach unserer Aussprache weiterhin Kontakte zu islamfeindlichen Organisationen pflegte oder selbst zum Islamhass aufgerufen hat bzw. für solche Aufrufe verantwortlich ist, leiten wir eine Untersuchung ein.*

Wird die Weltanschauung von Pfarrern eigentlich abgeklärt?

Die Kirchgemeinden müssen vor Pfarrwahlen sicherstellen, dass die Personen wählbar sind. Ob sie Recherchen betreiben, ist ihre Sache. Aber es gibt eine Checkliste für die Abklärungen bei der Kirchendirektion. Neu werden Regionalpfarrer die Kirchgemeinden bei Pfarrwahlen beraten