Die Hassprediger im Internet

 

NZZ am Sonntag vom 31.07.2011

Wie viele andere bezog und verbreitete der norwegische Massenmörder seine Ideologie im Netz. Eine neue rechtspopulistische Szene hat im Internet eine Welt des Islam-Hasses aufgebaut, die bisher kaum beachtet worden ist.

 

Christine Brand

Der norwegische Massenmörder Anders Breivik hat exakt vorhergesehen, was nach seinem grauenhaften Massaker passieren würde. Er wusste, die Medien würden sofort nach Bildern von ihm suchen – also hat er sich herausgeputzt, fotografieren lassen und die Aufnahmen ins Internet gestellt. Auch sein Plan, die Mordtaten für die Verbreitung seiner verblendeten und verheerenden Ideologie zu nutzen, ist perfekt aufgegangen: Er stellte ein über 1500 Seiten dickes Machwerk ins Internet und verschickte es gleichzeitig per Mail an über tausend Personen – es wurde nach seinem Amoklauf Tausende Male heruntergeladen.

Es handelt sich dabei um ein Manifest des Grauens, geprägt vom Hass auf den Islam und von fanatischem Wahn. Der Täter Anders Breivik rückt sich darin eitel ins Licht der Tempelritter, breitet seine abstrusen Theorien aus, führt eine Art Tagebuch, sieht es als Anleitung für Nachahmer im Kampf gegen die muslimische Einwanderung und versucht, seine ungeheuerlichen Taten zu legitimieren.

Die Stimme anderer

Das Manifest ist gezeichnet als Machwerk eines Einzelkämpfers – doch das ist es keineswegs: Nicht allein Breiviks Stimme spricht aus dem Manuskript, sondern die Stimmen vieler. Denn die düsteren Worte sind zu einem grossen Teil nicht im Kopf des Massenmörders entstanden. Breivik hat sie gleich seitenweise kopiert aus Aufsätzen und Blog-Beiträgen von selbsterklärten Feinden des Islams, die Ideen sind übernommen aus Internetforen und digital verbreiteten Hass-Schriften. Das Manifest ist ein Zusammenschrieb von Meinungen und Theorien einer neu entstandenen, rechtspopulistischen Szene, die sich dem Kampf gegen die Muslime verschrieben und sich das Internet zum Werkzeug gemacht hat.

Bedient hat sich Anders Breivik beispielsweise bei einem norwegischen Blogger, der sich Fjordman nennt. Er wird von Breivik ausgiebig zitiert, seine Aufsätze sind im Manifest in ganzer Länge über Dutzende von Seiten wiedergegeben. In seinem jüngsten Blog–Eintrag sieht sich Fjordman deshalb genötigt, sich von den Gewalttaten Breiviks zu distanzieren.

Auch die Betreiber weiterer islamfeindlicher Homepages und Blogs wehren sich dagegen, mit Breivik in Verbindung gebracht zu werden. Obwohl er dort zum Teil seine Kommentare verbreitete, die sich von den anderen Beiträgen weder inhaltlich noch ideologisch unterscheiden. Die Anti-Islam-Sites nennen sich «Gates of Vienna», «Tundra Tabloids» oder «Politically Incorrect». Letztere räumt ein: «Was Breivik schreibt, sind grossenteils Dinge, die auch in diesem Forum stehen könnten . . .» Zu lesen gibt es bei «Political Incorrect» Sätze wie: «Multikulturalismus ist Völkermord wie der Holocaust, nur subtiler.» Oder: «Der Islam ist die Pest des 21. Jahrhunderts. Wie bekämpft man die Pest? Ausrotten!»

Zwischen Worten und Taten können Welten liegen. Blog-Einträge und Hetzschriften im Internet sind nicht verantwortlich und nicht direkter Auslöser für eine Wahnsinnstat, wie sie Breivik begangen hat. «Doch selbst wenn die islamfeindlichen Blogs nicht zwingend Terroristen hervorbringen, so tragen sie doch zu einer Kultur mit hohem Gewaltpotenzial bei Rechtsextremisten bei», sagt Matthew Goodwin, ein Rechtsextremismus-Experte an der britischen Universität Nottingham. Dies sei eine gefährliche Entwicklung. «Zehn Jahre lang haben wir auf al-Kaida geschaut und darob vergessen, auf andere Formen von Extremismus zu achten, insbesondere im Internet.»

Die Anti-Islam-Seiten im Internet werden rege kontaktiert. Allein auf norwegischen Blogs der Szene werden wöchentlich bis zu 40 000 Besucher registriert. Einer der ersten Einträge auf der deutschsprachigen Seite «Politically Incorrect» zum Attentat in Norwegen hat laut dem Schweizer Rechtsextremisten-Experten Hans Stutz innert 24 Stunden 600 Kommentare generiert. Trotz allen öffentlichen Distanzierungen: Es finden sich sehr wohl Beiträge darunter, deren Autoren einen weiten Bogen um jede Verurteilung von Breiviks Taten schlagen. Die selbsternannten Feinde des Islams haben sich im Internet ein geschlossenes, vom Hass auf die Muslime geprägtes Weltbild aufgebaut, das mit der Realität wenig gemein hat und daher umso gefährlicher ist. Der erste antimuslimische Terrorist – Anders Breivik – ist in seinem Denken Teil dieser wachsenden, rechtspopulistischen Ideologie.

Diese neue islamfeindliche, nationalkonservative Bewegung unterscheidet sich in mehreren Punkten entschieden vom bekannteren, antisemitischen Rechtsextremismus. Während Neonazis ihre Fremdenfeindlichkeit rassistisch begründen, also an erster Stelle die angeblichen Rassenunterschiede ins Feld führen, fusst der Islam-Hass auf religiösem Fanatismus. Und vor allem: Für die Neonazis sind die Juden das Feindbild schlechthin – die rechten Islamfeinde hingegen bezeichnen die Juden als ihre Freunde: «Wir sind stolze Unterstützer von Israel», heisst es bei «Tundra Tabloids». Der Islam als «gemeinsamer Feind» hat Teile der Nationalkonservativen mit den ultraorthodoxen Juden verbündet.

«Seit letztem Herbst ist die Trennung innerhalb der Szene der Islamfeinde offensichtlich», sagt Experte Hans Stutz. Damals hat eine internationale Gruppe von antiislamistischen und rechtspopulistischen Politikern die sogenannte Jerusalem-Erklärung verfasst und dem Staat Israel ihre uneingeschränkte Unterstützung zugesichert. Dies sorgte für Aufruhr in der rechten Szene. «Spätestens seit der Jerusalemer Erklärung lässt sich eine klare Trennlinie ziehen, anhand der Frage: Ist jemand für den Staat Israel, oder ist er weiterhin aus antisemitischen Motiven dagegen», sagt Stutz. Breivik habe in seiner Schrift das jüdisch-christliche Europa verteidigt und erklärt, Europa müsse Israel beschützen.

So bizarr es klingt: Anhänger dieser nationalistischen Rechten sehen sich gar in der Tradition des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus: Gekämpft wird gegen den «Islamo-Faschismus», man vergleicht sich mit Widerstandsbewegungen gegen die Nazis: «So wie es der <Weissen Rose> und Charlie Chaplin damals erging, geht es den Islamkritikern heute», sagte ein Autor von «Politically Incorrect» gemäss «Der Zeit». Aus was für Personen sich die Anhängerschaft der nationalkonservativen Islamfeinde zusammensetzt, ist weitgehend unbekannt. «Man weiss wenig über die Einzelnen, die in dieser Szene aktiv sind», sagt Stutz. «Die meisten treten nur unter Pseudonym auf.»

Verschwörungstheorie

Auch wenn die alte rechtsextreme Szene mit der neuen, proisraelischen Bewegung nichts zu tun haben will, so meldet sie sich nach dem Attentat von Norwegen gleichwohl zu Wort. Zum Beispiel der Schweizer Holocaustleugner Bernhard Schaub, der daran ist, eine rechtsextreme «Europäische Aktion» aufzubauen. Er sieht hinter Breiviks Amoklauf eine Verschwörung: «Wenn es irgendwo kracht, und der Krach wird den Rechtsradikalen in die Schuhe geschoben, ist es eine Provokation von interessierter Seite», schreibt Schaub auf einem im Netz verbreiteten Flugblatt. Es gehe dem Geheimdienst in seiner «durchsichtigen Aktion» darum, seinen Feind, die «entstehende europäische Widerstandsbewegung gegen Globalisierung und Nivellierung» zu kriminalisieren. Die Rechtsextremen sehen sich im Krieg. Doch ihr Kampf richtet sich nicht nur gegen die muslimische, sondern gegen die gesamte zivilisierte Gesellschaft.