Der Exorzist

Basler Zeitung vom 18.04.2011

Valentin Oehen gilt vielen als Rechtsextremer – er selbst sieht sich als grüner Pionier

Hansjörg Müller

Zusammen mit James Schwarzenbach kämpfte er gegen die vermeintliche Überfremdung der Schweiz. Heute sieht sich Valentin Oehen als Vordenker der Grünliberalen. Seine politische Position ist eine Mischung aus rechten und linken Versatzstücken – angereichert mit Verschwörungstheorien.

Valentin Oehen ärgert sich. Die Grünliberalen hätten viele seiner Ideen übernommen, natürlich ohne zuzugeben, dass diese «nicht auf ihrem Mist gewachsen» seien. Vor allem verweigerten sie sich der Einsicht, dass «eine ökologische Politik ohne Berücksichtigung der Demografie nicht möglich ist – aus Angst davor, als Rassisten zu gelten». Damit sind wir bei Oehens Lebensthema: Zuwanderung und Bevölkerungswachstum. Der beinahe 80-Jährige empfängt uns in seiner Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung im zweiten Stock eines Wohnblocks in Köniz bei Bern.

Valentin Oehen als Vordenker der Grünliberalen? Er selbst scheint es so zu sehen. Dass die Grünliberalen ihm zustimmen würden, darf bezweifelt werden: Von 1972 bis 1980 war Oehen als Nachfolger von James Schwarzenbach Parteichef der Nationalen Aktion (NA), der Vorläuferin der Schweizer Demokraten (SD). In seine Amtszeit fielen die Initiativen gegen Überbevölkerung und Überfremdung (1974), für die Beschränkung von Einbürgerungen (1977) und die sechste Überfremdungsinitiative (1985). Alle drei Initiativen wurden an der Urne verworfen; trotzdem wurde Oehen zu einer bestimmenden Figur der schweizerischen Politik – und für weite Teile der Bevölkerung zu einem erzkonservativen Schreckgespenst.

Heute ist es vergleichsweise still geworden um Valentin Oehen. Was macht er heute? Seinen Bauernhof im Malcantone hat er aus Altersgründen seinem Sohn verkauft. Auch aus der Politik hat er sich zurückgezogen. Aber das Weltgeschehen beobachtet Oehen noch immer aufmerksam. Seine Gedanken publiziert er regelmässig in der Parteizeitung «Schweizer Demokrat». Seine grösste Sorge: Die Bevölkerung der Schweiz wachse jährlich um rund 100 000 Personen und all diese Zuwanderer verbrauchten Ressourcen: Boden, Wasser, Elektrizität, Luft.

Überfremdungsinitiativen

Nun ist es etwas anderes, ob man eine Begrenzung der Zuwanderung fordert oder eine Ausweisung derer, die schon da sind. Der Zusammenhang zwischen Umweltschutz und Zuwanderungspolitik wird mittlerweile auch ausserhalb des rechten Spektrums anerkannt: Die Ecopop-Initiative fordert eine Begrenzung der Einwanderung auf 0,2 Prozent der Bevölkerung. Doch Oehens und Schwarzenbachs Initiativen gingen weit darüber hinaus: Wäre es nach ihnen gegangen, hätten Hunderttausende das Land auf einen Schlag verlassen müssen. Ist Oehen im Nachhinein froh, verloren zu haben? Die Antwort ist deutlich: «Nein, wir hätten uns viel ersparen können.» Und die wirtschaftlichen Folgen einer solchen Massenabschiebung? Wer so frage, der sei gefangen in der Wahnsinnsideologie vom unbegrenzten Wachstum. «Da sind wir am Punkt», ruft Oehen, «wir müssen das System ändern, so dass es ohne Dauerwachstum funktionieren kann.» Im Streben nach wirtschaftlicher Expansion sieht er die Wurzel allen Übels: Materielles Wachstum erfordere zwangsläufig immer mehr Arbeitskräfte. Ein anderes Problem sei der wachsende Energiehunger der Wirtschaft. Oehen fordert: «Die Wirtschaft sollte sich mit der Energie begnügen, die ohne Schaden für Mensch und Umwelt produziert werden kann.» Fragt man, wie eine solche Systemwende zu bewerkstelligen wäre, weicht Oehen aus. Ja, ein Umsteuern sei sicher schwer, aber die Pläne dafür habe er, behauptet Oehen, ohne seine Rezepte jedoch näher zu erläutern.

Oehens Weltbild

In seinen jüngsten Veröffentlichungen hat sich Valentin Oehen der Weltpolitik zugewendet. Die derzeitige Lage? «Verschissen», antwortet er ohne zu zögern. Wer ist schuld? Auch hier kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: die Neokonservativen, die in Washington die Fäden ziehen. Diese, so glaubt Oehen, hätten nicht nur die Politik George W. Bushs bestimmt, sondern sie bestimmten auch die seines Nachfolgers: «Obama ist ein Spielball der neocons. Wir gehen einer grossen Katastrophe entgegen! Wenn die USA in wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren, haben sie noch immer einen Krieg vom Zaun gebrochen.» Warum, so fragt Oehen weiter, werde Iran sonst vom Westen derartig schikaniert? «Iran hat sicher nicht die Mittel, eine Atombombe zu bauen. Sonst hätten die Israelis schon längst alles zusammenbombardiert wie in den 80er-Jahren im Irak.» Überhaupt Israel: «Unerträglich» sei es, wie mit den Palästinensern umgegangen werde. Der jüdische Staat sei von Terroristen gegründet worden, die sich ständig über UNO-Resolutionen hinweggesetzt hätten. Auf den Einwand hin, Israel hätte schlicht nicht überleben können, wenn es immer den Forderungen der UNO gefolgt wäre, antwortet Oehen mit einer Gegenfrage, die im Gegensatz zu den Sophistereien mancher linker Israel-Kritiker entwaffnend ehrlich ist: «Wieso muss es Israel geben?» Dass die Anschläge vom 11. September 2001 von den amerikanischen Geheimdiensten initiiert worden seien, hält Oehen für bewiesen. Auf Nachfrage bringt er sofort einschlägige Bücher, in denen vieles angestrichen ist – keine Frage, da hat sich jemand intensiv mit der Materie beschäftigt. Das mysteriöse Verschwinden von Stahlträgern, verdächtig mangelhafte Kontrollen der späteren Attentäter beim Betreten der Flugzeuge – diese und andere Indizien, die seine Theorie untermauern sollen, könnte Valentin Oehen mittlerweile wohl im Schlaf herunterbeten.

er passt nirgends rein.

Ist Oehen ein Rechtsextremer? Auf die Frage nach seinem politischen Standort antwortet er lachend: «Ich passe nirgends rein.» Tatsächlich stösst das althergebrachte Links-rechts-Schema im Fall Oehen an seine Grenzen: Wegen seiner Haltung zur Zuwanderung gilt Oehen als Rechter, doch als Wachstumsskeptiker und Atomkraftgegner könnte man ihn genauso gut als Linken bezeichnen. Oehen beruft sich mehrfach auf Christoph Blocher, doch ist ein grösserer Gegensatz als der zwischen dem Könizer Öko-Missionar und dem Herrliberger Unternehmer kaum denkbar: Blocher ist ein Wirtschaftsliberaler, der wie kaum ein anderer für die von Oehen verteufelte marktorientierte Wirtschaftspolitik steht. Oehens anti-amerikanische und anti-israelische Aufsätze könnten ebenso gut in einem Blatt der sektiererischen Linken stehen. Der grüne Nationalrat Daniel Vischer, der Israel einen «Schurkenstaat» genannt hat, dürfte ihm näherstehen, als beiden lieb sein kann. Oehen hat sich selbst ein eklektisches Ideologiegebäude zusammengezimmert, in dem linke und rechte Stilelemente wirr gemischt sind und das an vielen Stellen windschief ist, nämlich überall dort, wo Oehens Denken mit der Realität zusammenstösst.

Geistheiler

Es gibt aber auch noch eine gänzlich unpolitische Seite des Valentin Oehen: Als Geistheiler ist er seit vielen Jahren Mitglied in der Schweizerischen Vereinigung für Parapsychologie (SVPP). Hier, in seiner Könizer Stube, habe er auch schon Teufelsaustreibungen vorgenommen. «Schwerst Besessene» habe er auf diese Weise behandelt. Er deutet auf einen aus den 1960er-Jahren stammenden Sessel. Dort habe eine Patientin gesessen und «fürchterlich geschrieen». «Warum sollte die Tätigkeit als Exorzist einigen Priestern vorbehalten sein?», fragt der gläubige Katholik, der in dieser Frage auch den Konflikt mit der Römischen Kirche nicht scheut. Zumindest im Tessin seien die Gottesmänner seiner Tätigkeit offen gegenübergestanden, dort habe er zusammen mit dem Exorzisten des Bischofs von Lugano einer vom Teufel besessenen Frau den Weg zurück in ein normales Leben ermöglicht. Auch heute behandle er noch Patienten. Die Tätigkeit als Parapsychologe sei jedoch ausserordentlich anstrengend – «in meinem Alter dränge ich mich da nicht mehr auf». Wer allerdings nach Hilfe fragt, kann sich nach wie vor von der SVPP an Oehen weitervermitteln lassen; eine Stunde Behandlung kostet 150 Franken.

Kein Comeback

Eine Rückkehr in die Politik schliesst Oehen dagegen aus. Beim Hinweis auf Christoph Blochers Comeback winkt er lachend ab: «Der ist zehn Jahre jünger als ich.» Die Früchte von Oehens Arbeit ernten nun andere. An der einen oder anderen Stelle ihres Parteiprogramms hätten die Grünliberalen doch auf ihn als Urheber hinweisen können, klagt Valentin Oehen beim Abschied. Er habe deshalb auch an den GLP-Präsidenten Martin Bäumle geschrieben und sich darüber beschwert. Bis jetzt habe er noch immer keine Antwort bekommen.