Wüste Szenen und Gewalt im Säuliamt

TagesAnzeiger

200 Autonome demons- trierten in Affoltern am Albis für ein nazifreies Säuliamt und gegen rechte Gewalt. Es kam zu Gewalt – von links und rechts.

Von Chris Winteler

Bilanz der unbewilligten Demo vom Samstag: 79 Personen wurden festgenommen, 55 männlich, 24 weiblich, die meisten zwischen 14 und 20 Jahre alt. Mit Ausnahme eines 22-jährigen Deutschen wurden nach der polizeilichen Befragung alle wieder entlassen. Der Deutsche wird verdächtigt, Polizisten mit einem Baseballschläger angegriffen zu haben. Ein Beamter erlitt ein Schleudertrauma und eine Hirnerschütterung; ein Demonstrant hatte ihm mehrmals mit einer Hiebwaffe auf den Helm geschlagen. Ein anderer Polizist ist durch einen Stein am Fuss verletzt worden. Einem Streifenwagen wurde die Heckscheibe eingeschlagen, man rapportierte einige Sprayereien.

Dabei hätte es eine friedliche Kundgebung werden sollen. Die «Aktion gegen rechte Gewalt», gemäss Homepage eine «Gruppe von Menschen, die nicht bereit sind, den alltäglichen Rassismus hinzunehmen», hatte zur Demo im Bezirkshauptort aufgerufen. Auslöser war der Aufmarsch von rund 1000 Skinheads, die sich am 10. August zu einem Konzert auf einer Waldwiese bei Affoltern getroffen hatten. Es dürfe nicht mehr möglich sein, dass Rechtsextreme so problemlos zu Land und Infrastruktur für ihre Veranstaltungen kämen.

Das Dorf hat sich aufs Schlimmste vorbereitet. Eine Karawane von Einsatzfahrzeugen der Kantonspolizei fährt ein, Männer mit Knopf im Ohr spazieren auffällig unauffällig auf und ab. Die meisten Läden schliessen um 13 Uhr – «aus aktuellem Anlass», wie es auf Zetteln heisst. Mit Demos hat man hier kaum Erfahrung. In den 70er- Jahren gab es eine Kundgebung gegen das AKW Kaiseraugst, in den 80er-Jahren ging man gegen die N4 auf die Strasse. Aber Linke gegen Rechte? Das ist neu.

Wieder fährt ein Zug ein, wieder steigen schwarz gekleidete Jugendliche aus. Um 14.30 Uhr warten rund 200 Demonstranten auf dem Bahnhofplatz. Banner werden ausgerollt: «Kein Fleck dem Fascho- Dreck». Der Redner schreit: «Wir sind hier, um ein kraftvolles Zeichen gegen den zunehmenden Rechtsextremismus zu setzen.» Seit längerer Zeit sei in der Region eine starke Zunahme von rechter Gewalt festzustellen. «Es gibt kein ruhiges Hinterland!» «Für ein nazifreies Säuliamt!» Immer wieder würden ausländische Jugendliche verprügelt. Das bestätigt auch Jugendarbeiter Ady Baur: «Es ist bekannt, dass die Rechtsextremen überall im Dorf Unterschlupf finden.»

Die Neonazis warten im «Arche»-Pup

Zum Beispiel im «Arche»-Pup: Dort haben sich rund 80 Skins verschanzt. Im ersten Stock haben sie ein Säli gemietet. Laut Dorfbewohnern verkehren die Rechten besonders gerne in diesem Lokal. Die Polizisten beziehen Stellung, sie haben den Auftrag, die beiden Gruppen auseinander zu halten.

Die Autonomen machen sich bereit. Kapuzen werden hochgezogen, Tücher um Gesichter gezogen, Skibrillen aufgesetzt, Knüppel verteilt. «Schade», sagt eine junge Frau, «ich dachte, das soll etwas Friedliches werden.» Der Zug setzt sich in Bewegung: «Nazis raus!» Die Bevölkerung gafft, den Demonstranten wollen sie sich trotz Aufforderung nicht anschliessen. 100 Meter weiter wird der Zug gestoppt, die Polizei hat die Strasse abgeriegelt. «Schweizer Polizisten schützen Faschisten», skandieren die Demonstranten.

Derweil warten die Skins vor dem «Arche»-Pup, trinken Bier. Haben sie auch eine Botschaft? «Die Presse lügt», schreit einer, «verrecke!» Ein anderer reckt die Arme in die Höhe, schreit: «Ich bin ein Nazi, und ich bin stolz darauf!»

Verhaftungen in den Feldern

Aufregung am Bahnhofplatz. Die Demonstranten rennen zum Zug, fahren davon – Richtung Hedingen. Von dort wollen sie die paar Kilometer zurück nach Affoltern gehen, «die Strasse zurückerobern». Doch dort eskaliert die Situation: Linksextreme schlagen die Scheibe eines Polizeiautos ein. Gummischrot und Steine fliegen. Neonazis steigen aus ihren Autos, gehen mit Eisenstangen bewaffnet auf Linke los. Die Demonstranten rennen Richtung Industriegebiet, wollen sich in den Feldern am Dorfrand verstecken. Dort werden sie schliesslich festgenommen. Ob sich unter den 79 Verhafteten auch Skins befinden, konnte die Polizei nicht sagen.