Antifa «spaziert» ohne Gewalt

Der Bund

STADT BERN Die Polizei hatte im Zuge der schweren Krawalle vom 25. Januar vor «hohem Gewaltpotenzial» gewarnt und stand am Samstag denn auch für alle Fälle im Hintergrund «massiv parat», wäre der neuerliche Autonomen-Aufmarsch eskaliert. Indes, der «4. antifaschistische Abendspaziergang» verlief völlig gewaltfrei so friedlich, dass auch ein Rechtsaussen-Parlamentarier der Schweizer Demokraten, der einen «Saubannerzug» befürchtet hatte, sich nun versöhnt, ja «glücklich» zeigte. Zufrieden ist auch die Stadtpolizei, die trotz dem aufgeheiztenKlima im Vorfeld schliesslich ihre deeskalierende Strategie aufrecht erhalten konnte. Aufs Korn genommen wurde von den Demonstrierenden indes Polizeidirektor Kurt Wasserfallen, der nach der WEF-Randale mit seinem Terrorismus-Vergleich für böses Blut gesorgt hatte. (rg)

Erneut erstarkt und nicht erstickt

Militanter Ausdruck, geordneter Auftritt: Berns Antifa-Bewegung ist friedlich marschiert – und weiter gewachsen

Ohne Bewilligung, mit einer Hundertschaft Vermummter, gar Behelmter vom Schwarzen Block an der Spitze – und doch gewaltfrei, selbstdiszipliniert bis hin zur Warnung, wer nur schon spraye, fliege raus. Der diesjährige «Antifaschistische Abendspaziergang» in Bern geriet zum Erfolg einer neuerlich gewachsenen Bewegung.

? R. GAFNER, MITARBEIT: S. JÄGGI

«Hey, ich freue mich schon auf den Abendspaziergang! Lasst es einfach bitte nicht abgehen, das würde unsere Szene spalten so stark wie heute werden wir lange nicht mehr!» notierte «flügu» aus Burgdorf im Internet-Diskussionsforum der autonomen Antifa. «flügus» Einschätzung war richtig: Die Antifa-Bewegung brachte so viele junge Leute auf Berns Strassen wie nie, gut 2500 laut Polizei, über 4000 laut Organisatoren, darunter viele sehr junge, kaum 16-jährige Teenager, viele aus der Region Bern, und einige sogar aus dem fernen Thurgau.

Gar ein Rechtsaussen lobt Antifa

Und «flügus» Wunsch ging in Erfüllung, die nicht bewilligte und ins aufgeheizte Klima nach dem Anti-WEF-Krawall geratene Antifa-Demonstration verlief völlig friedlich. Der teils selber aus vermummtenAutonomen bestehende «Berner Demoschutz» sorgte wachsam für einen geordneten Ablauf. Wer nur schon spraye, fliege raus, warnten die Veranstalter über Megafon und als eine Frau mit Rastamütze versehentlich eine Bierflasche fallen liess, eilten flugs zwei Demonstranten herbei: «Spinnst du? Es muss friedlich bleiben!» Verdattert entschuldigte sich die junge Frau, hob die Glasscherben auf und trug sie zum nächsten Abfallkübel.

Ja, der Aufmarsch der Autonomen verlief derart friedlich, dass selbst Rechtsaussen-Stadtrat Dieter Beyeler von den Schweizer Demokraten, der zwei Tage zuvor im Rat gegen den Antifa-«Saubannerzug» von «Anarchisten und Kommunisten» gewettert hatte und am Samstagabend am Strassenrand zuschaute, nun versöhnlich klang er sei «glücklich» ob dieses friedlichen Anblicks, so Beyeler. Zufrieden äusserte sich auch die Stadtpolizei, die, durch Kantonspolizei verstärkt, für alle Fälle «massiv parat» war: Sie konnte «an ihrer de-eskalierendenStrategie festhalten und war für die Demonstrierenden kaum sichtbar», so Stadtpolizei-Informationschef Franz Märki.

«Terroristen»-Spott für «Kurt W.»

«Polizei und Journalisten warten nur darauf», einen Vorwand zu finden, die Bewegung anzugreifen, behauptete «Demo»-Leitung. Und in einem Communiqué vom Sonntag bilanziert das von autonomen Gruppierungen getragene «Bündnis Alle gegen Rechts» den Marsch denn auch als vollen Erfolg: «Wir haben unsere Inhalte vermitteln können und gezeigt, dass wir uns weder von den abstrusen Forderungen gewisser Parteien nach einem Verbot des Anlasses noch von der Scharfmacher-Rhetorik eines Kurt Wasserfallen, der DemonstrantInnen mit TerroristInnen gleichgesetzt hatte, provozieren lassen.» Auch ein von Anarcho-Autonomen getragenes Fronttransparent nahm Bezug auf Wasserfallen: «Laut Kurt W. sind wir Terroristen», stand da und ein Marschierer nahm ebenfalls genüsslich den Polizeidirektor ins Visier: «Das wird Kurt Wasserfallen zu denken geben die Terroristen sind nur mit Kreide bewaffnet», erklärte er zum Umstand, dass, statt zu sprayen, Parolen nur mit Kreide gemalt wurden.

«Ohne Polizei macht es ja gleich viel Spass wie mit», staunte ein Vermummter. Nach dem ruhigen Verlauf der lautstarken Demonstration gabs in der Reitschule ein lautes Punk-Konzert. Und kein «Nachdemo»-Lärm ertönte in den Gassen.

Die braune Welle ebbt ab

In der Stadt Bern haben rechtsradikale Aktivitäten und rechtsextremistische Gewaltübergriffe die im Sommer 2000 mit der Sturmgewehrsalve von Skinheads auf linke Solterpolter-Hausbesetzer und mit der Rohrbombenbastelei der Nationalen Offensive ihren Höhepunkt erreichten und dann auf hohem Niveau verharrten seit gut einem Jahr markant abgenommen, wie die Stadtpolizei-Staatsschutzstelle feststellt. Antifa-Aktivisten vom Bündnis Alle gegen Rechts ihrerseits haben dazu dem «Bund» erklärt, in der Tat wagten sich Nazis in Bern nicht mehr so offensiv wie früher auf die Strasse, doch dies liege vor allem auch «a üsem Bügu», an der Antifa-Gegenwehr nämlich. Grund zur Entwarnung bestehe jedoch nicht, schon gar nicht in Bezug auf die Agglomeration.

Angaben der linksautonomen Antifa (Antifaschistische Aktion) sind weil nicht unabhängig und aus der Anonymität heraus vorgetragen grundsätzlich mit Vorsicht zu taxieren. Gleichwohl ist diese Quelle aber ernst zu nehmen, steht doch gerade die seit 1994 bestehende Gruppe in Bern im Rufe, die über die rechtsextreme Szene am besten unterrichtete Schweizer Antifa zu sein; hinzu kommt, dass sich Antifa- und Polizeiangaben oft decken.

Im letzten Jahr kam es, wie die Antifa in ihrem Jahresrückblick schreibt, in Bern vorab imRaum Bahnhof und bei der Universität zu Nazi-Angriffen auf Punks.Der brutalste Übergriff aber sei «einmal mehr in derAgglomeration» passiert in Köniz nämlich, wo ein Jugendlicher schwer am Kopf verletzt wurde. Höhepunkt der rechtsextremistischen Kampagne im Kanton sei letztes Jahr aber der Angriff auf das alternative Langenthaler Kulturzentrum LaKuz gewesen wogegen in Bern Hooligan-Attacken auf das Kulturzentrum Reitschule abgewendet werden konnten.

Stille um Neonazi-Strukturen

Wiederum gab es imBernbiet Nazi-Treffen und Skinhead-Partys. Still geworden ists im Raume Bern aber um organisierte Strukturen: Die Nationale Offensive (NO) fällt bloss noch im Internet auf, die einst als «relevante Partei» angetretene Nationale Partei Schweiz (NPS) nur noch mit einer Kleber-Kampagne «gegen Kinderschänder» und eine von der Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) angekündigte «Demo» inBern blieb aus. (rg)

KOMMENTAR

Antifa macht Polizeipolitik

? RUDOLF GAFNER

Puh! die brenzlige «Demo» ist nicht bös «abgegangen», sondern gut, sehr gut sogar. Gar besser noch, denn auf dem Spiel stand wohl mehr, als vielen klar war. Der Samstag war nicht nur ein Glaubwürdigkeitstest für die Antifas eine Reifeprüfung für die in vier Jahren von 100 auf 3000 gewachsene Jugendbewegung. Es ging auch um Polizei-, ja Stadtpolitik: Eine Frontenverhärtung hätte bedeutet, einen unseligen Rückfall zu riskieren.

Wer die 80er-Jugendunruhen erlebt hat, weiss um die fatale Eskaltionsspirale von Aufruhr- und Aufstandsbekämpfungslogik, und Haudegen-Repression trieb Radikalisierung erst recht voran. Einer, der, damals 25, in Zürich 1980 «die Bilder dieses Kriegs, dieses Kriegszustands» (sic!) gesehen hat, ist jetzt 46, kommandiert die Stadtpolizei Bern und will diese Bilder nie wieder sehen. Und deshalb setzt Daniel Blumer auf Deeskalation und Dialog. Er begreift sich nicht als Obrigkeit, sondern als Dienstleister, und Organisatoren einer «Demo» begreift er als Partner; so auch die Antifa, die in ihm den «Bullen» erkennt.

ImR ingen der letzten Woche haben Autonome prinzipientreu darauf beharrt, dass sie mit den «Bullen» nicht verhandeln und gar nicht erst um Bewilligung anfragen. Und Blumer? Er ist den störrischen «Partnern» gar noch wohlgesinnt nachgerannt, um deren «Demo», wenn schon nicht bewilligen, so doch ohne Gewalt über die Bühne bringen zu können.Die seit dem WEF-Krawall gespannte Lage spitzte sich gefährlich zu, und Blumer geriet ins Sandwich, denn in der Reitschule, aber auch in der Polizeidirektion schien ideologisch motivierte Vereinfachung und Rechthaberei über pragmatische Lösungsorientiertheit zu triumphieren. Wäre auch diese «Demo» gekippt, wäre Blumers Deeskalation jetzt angeschlagen, wenn nicht auf der Kippe wogegen Wasserfallens Polarisierungskurs gestärkt wäre, weil im Volk Härte gefordert würde, so auch gegen die Reitschule.

Jedoch, es ging gut. Denn die Autonomen auch ihr militanter, häufig Chaoten und jüngst sogar Terroristen gescholtener Flügel haben amEnde doch Disziplin und Verantwortungssinn gezeigt. Möglich, dass sie es sich im nächsten Jahr schon ohne Gesichtsverlust vorstellen können, mit «Bulle» Blumer sogar zu reden. Warum nicht hat sich doch gezeigt, dass, bei aller Radikalität, selbst autonome Hardliner zu konstruktiver Realpolitik fähig sind. Ja sogar zu Polizeipolitik. Solche haben sie am Samstagabend nämlich gemacht, und zwar konstruktiv.