«Ein gefährlicher Schritt – da hat sich was formiert»

Der Landbote. Neonazis Extremismus-Experte Dirk Baier von der ZHAW sieht bei den Neonazi-Umtrieben in der Stadt Handlungsbedarf. Schweizweit befinde sich die Szene im Aufwind.

Mirko Plüss

Die rechtsextreme Gruppe Nationalistische Jugend Schweiz (NJS) war in den vergangenen Wochen mehrfach mit Aktionen in Winterthur präsent. Unter anderem plant der FC Winterthur eine Strafanzeige, weil die Gruppe ein Clubtransparent entwendet haben soll. Mitglieder posierten kämpferisch mit Sturmhauben auf dem Sulzerareal – bereits im Februar wurden antisemitische Kleber verteilt.

ZHAW-Extremismus-Experte Dirk Baier sagt, beim Vorgehen der NJS könne man nicht mehr von «Jugendsünden» sprechen: «Wenn eine Gruppe sich so zu organisieren beginnt, sich einen Namen gibt und symbolhafte Fotos und Videos erstellt, dann ist das immer ein gefährlicher Schritt.» Kleinere Aktionen könnten auch zu Gewalt führen. Auch wenn diese bislang ausblieb, ist für Baier klar: «Da hat sich was formiert.» Selbst wenn unklar sei, wie viele Personen tatsächlich aus Winterthur und Umgebung stammen.

Erfreuliches «Brennglas»

Baier begrüsst, dass die Gruppe bereits in einem frühen Stadium in den Fokus der Öffentlichkeit geriet: «Dieses Brennglas der Öffentlichkeit kann im besten Fall zu einem gewissen Zerfall einer Gruppe führen.» Mitglieder, die von Anfang an nicht ganz überzeugt waren, könnten sich nun abwenden. Im schlechtesten Fall könne sich die Gruppe jedoch auch verfestigen und ins Geheime zurückziehen.

So oder so seien nun aber die Behörden gefordert. Eine Gefährderansprache durch die Polizei sieht Baier nicht als bestes Mittel: «Auch wenn es die Gruppe nicht mehr geben sollte, sind ja die Menschen mit ihren Problemen und Weltbildern noch da.» Hier brauche es Gewalt- und Extremismusprävention. «Verwaltungsangestellte mit sozialarbeiterischem Hintergrund sind hier gefragt, die das Problem längerfristig im Auge behalten – gerade im Hinblick auf jugendliche Mitglieder.»

Die rechtsextreme Szene sei schweizweit im Aufwind, sagt Baier. «Man sieht das aber nicht, weil es sich nicht durch Gewalt und Übergriffe zeigt.» Der Austausch passiere meistens online, bei Konzerten oder bei regelmässigen «Strategietreffen». Auch an anderen Orten in der Schweiz sei nun aber zu beobachten, dass vermehrt Aktionen in der Öffentlichkeit stattfänden.

Stadtrat musste handeln

Die NJS wird von der Polizei beobachtet, wie diese gegenüber dem «Landboten» bestätigte. Grundsätzlich schätzen die Behörden die rechtsextreme Szene in der Region seit Jahren als klein ein. Das war nicht immer so.

Anfang der Nullerjahre beobachteten die Behörden rund 20 junge Rechtsextreme in Winterthur, es gab an der Stadthausstrasse ein rege besuchtes Szenelokal und eine Vereinigung namens «Patriotische Jugend Winterthur». Immer wieder kam es zu Scharmützeln zwischen Autonomen und Rechtsextremen und auch zu grösseren Schlägereien. In der Öffentlichkeit ausgetragene Konflikte wie beispielsweise eine Grossschlägerei zwischen Skinheads und «ausländischen Hip-Hoppern» in Oberwinterthur, zwangen den Stadtrat damals zum Handeln. Neben mehr Polizeipräsenz wurde die Jugendarbeit ausgebaut, und es wurden Fachstellen vernetzt.

Konflikte flammten erneut 2006 auf. In einer Nacht ereigneten sich ein Angriff auf einen dunkelhäutigen Mann in der Altstadt und einer auf das linke Lokal Widder, das mehrfach Ziel von Attacken wurde. In den Folgejahren beruhigte sich die Situation. Im neuesten städtischen Sicherheitsbericht heisst es, der Rechtsextremismus trete in Winterthur kaum in Erscheinung. Auch bei den «30 bis 40 gewaltbereiten Linksextremen» sei die Situation «ruhig».

Rechte «im Aufbruch»

Der Schweizer Nachrichtendienst schreibt, die rechtsextreme Szene verhalte sich «konspirativ». Es seien allerdings grössere Mengen an Waffen vorhanden. Und es würden Kampfsportarten trainiert – auch Mitglieder der in Winterthur aktiven NJS besuchen ein Kampfsportstudio. Grundsätzlich, schreibt der Nachrichtendienst, sei die rechte Szene allerdings «im Aufbruch». 2018 wurden dem Nachrichtendienst 53 Ereignisse im Bereich Rechtsextremismus und 226 Ereignisse im Bereich Linksextremismus bekannt. Auf rechter Seite bedeutete dies mehr als eine Verdreifachung, für den Linksextremismus eine Steigerung um 13 Prozent.