Weshalb ein Verbot des Hakenkreuzes so umstritten ist: Diese drei Gründe nennen die Juristen des Bundes

Neue Zürcher Zeitung. Seit Jahren wird ein Verbot von Nazi-Symbolen gefordert, bis jetzt ohne Erfolg. Nun hat das Justizdepartement von Karin Keller-Sutter abgeklärt, was eine Kurskorrektur bringen würde.

Keine andere Strafnorm ist so umstritten wie die Anti-Rassismus-Bestimmung. Ursprünglich wurde sie bewusst schlank ausformuliert, um den Befürchtungen in Hinsicht auf eine zu starke Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit entgegenzuwirken. So enthält die Strafnorm bis heute kein ausdrückliches Verbot, ein Hakenkreuz oder andere rassistische Symbole zu zeigen. Ein Mann, der auf dem Rütli einen Hitlergruss machte, wurde deshalb vor einigen Jahren freigesprochen.

In der Corona-Krise häuften sich aber Kundgebungen, bei denen Nazi-Symbole offen gezeigt wurden. Demonstranten nutzten diese, um die Corona-Massnahmen mit dem Terror-Regime der Nazis zu vergleichen – und verhöhnten auf diese Weise die Opfer des Holocaust. Der Druck, die Antirassismus-Strafnorm zu ergänzen, wuchs. So forderte der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG), Nazi-Symbole zu verbieten. Im Parlament wurden gleich mehrere Vorstösse lanciert. Es sei unlogisch, in der Schweiz Zigarettenwerbung zu verbieten, aber eine Hakenkreuz-Fahne zu erlauben, erklärte beispielsweise Nationalrätin Marianne Binder (Mitte), die eine Motion einreichte.

Der Bundesrat lehnte die Forderung aber ab und sorgte damit für harsche Kritik. Als Reaktion beauftragte Justizministerin Karin Keller-Sutter das Bundesamt für Justiz (BJ) im März mit Abklärungen zu einem Verbot von Nazi-Symbolen. Dieser Bericht liegt nun vor – und er scheint die Skepsis zu bestätigen. Eine solche Norm «wäre zwar technisch möglich, es ist aber fraglich, ob bezüglich Praktikabilität eine überzeugende Lösung gefunden werden könnte», heisst es darin. Im Klartext: Es sei besser, die Finger von einer solchen Erweiterung zu lassen, wofür vor allem drei Gründe genannt werden.

1. Das geltende Gesetz greift in vielen Fällen schon heute

Laut BJ ist es keineswegs so, dass das Tragen einer Hakenkreuz-Fahne oder eines anderen nationalsozialistischen Symbols heute automatisch straffrei bleibt. So wurde vor zwei Jahren ein Mann bestraft, der an der Aussenseite seiner Wohnungstür Fotos und Symbole aufhängte, die Hakenkreuze und einen Hitlergruss zeigten. Damit alleine habe der Beschuldigte rassendiskriminierende Ideologien verbreitet, erklärte das Gericht und verurteilte den Mann zu einer Geldstrafe.

Strafbar ist das Zeigen solcher Symbole heute immer dann, wenn damit die Absicht verbunden ist, für eine entsprechende Ideologie zu werben oder Angehörige einer Ethnie, Rasse oder Religion herabzusetzen. Das Mitführen einer Nazi-Fahne an einer rechtsextremen Demo wäre nach dieser Lesart schon heute untersagt. Dass der Hitlergruss auf dem Rütli dennoch zu einem Freispruch führte, lag daran, dass der Beschuldigte die Geste unter Gleichgesinnten ausführte – die er von seinem Gedankengut gar nicht mehr zu überzeugen brauchte.

2. Strafverfolgungsbehörden halten ein Verbot für unnötig

Das BJ hat für seine Analyse mit verschiedenen Vertretern von Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Justiz gesprochen. Auch dort tritt man auf die Bremse: Das Recht von Bund und Kantonen genüge. Wenn sich beispielsweise jemand mit einer Hakenkreuzfahne auf den Bundesplatz stelle, könne diese problemlos beschlagnahmt und die Person angezeigt werden. Eine neue Norm zum Verbot von rassistischen Symbolen werfe dagegen viele zusätzliche praktische Probleme auf. So sei unklar, welche Symbole überhaupt unter ein solches Verbot fallen müssten. Das Strafrecht sei zudem kein geeigneter Weg, wenn es darum gehe, Personen zur richtigen Gesinnung zu erziehen – sonst sei man auf dem Weg zum Gesinnungsstrafrecht.

Für den SIG, den das BJ ebenfalls angehört hatte, sind dies allerdings keine überzeugenden Argumente: Es gehe jetzt darum, klassische Nazi-Symbole zu verbieten, die nicht anders interpretiert werden könnten. Auch die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus betont, rassistisches, antisemitisches und nationalsozialistisches Gedankengut dürfe in der Öffentlichkeit keinen Platz haben. Im Unterschied zum SIG plädiert die Stiftung allerdings für eine abstrakte Regelung, die auch andere Ideologien als den Nationalsozialismus erfasse.

3. Es ist nicht klar, was verboten werden soll

Darin, wo die Grenze der Strafbarkeit gezogen werden soll, sieht das Bundesamt für Justiz das Hauptproblem. Einerseits geht es um die generelle Stossrichtung. Sollen nur nationalsozialistische, zusätzlich andere rassendiskriminierenden Symbole oder sogar Queer-feindliche und linksextremistische Zeichen verboten werden? Wie sieht es mit Putins Kriegs-Z oder dem RAF-Logo aus?

Doch es wird noch komplizierter: Mitunter seien scheinbar harmlose Symbole eindeutig nationalsozialistisch konnotiert – so zum Beispiel die Zahl 88, die in der rechtsextremen Szene für «Heil Hitler» steht. In einem Anhang listet der Bericht seitenweise Symbole, Zahlen- und Buchstabenkombinationen sowie Emojis auf, die als nationalsozialistisch, rassistisch, extremistisch oder gewaltverherrlichend gelten.

Aber auch das umgekehrte Phänomen sei denkbar, schreibt das BJ. Dass nämlich scheinbar eindeutige Nazi-Zeichen eine zweite, harmlose Bedeutung haben könnten. Als Beispiel ist der Hitlergruss aufgeführt, der von einigen Nationen bei Olympischen Spielen noch bis 1972 als olympischer Gruss gezeigt wurde. Zurückzuführen ist dieser nicht etwa auf Hitler, sondern auf eine Geste einer französischen Militärschule.

Ein Verbot könnte dennoch mehrheitsfähig sein

Das Dilemma ist offenkundig: Einerseits muss ein Verbot so klar und bestimmt formuliert sein, dass die Bürgerinnen und Bürger wissen, in welchen Fällen sie sich strafbar machen. Und andererseits braucht es eine gewisse Offenheit, damit die Justiz strafwürdiges Verhalten aufgrund der Aktualität und des Kontextes des jeweiligen Einzelfalls verfolgen kann. Beiden Anforderungen gleichzeitig zu genügen, wäre rechtlich und redaktionell anspruchsvoll, so die BJ-Juristinnen und -Juristen.

Wie es weitergeht, muss nun das Parlament entscheiden. Die Chancen auf eine Anpassung der Rassismus-Strafnorm stehen heute wahrscheinlich aber besser als noch vor einigen Jahren, als das gleiche Thema bereits einmal diskutiert wurde. Inzwischen hat sich gezeigt, dass eine gut begründete Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm bei allen Problemen erwünscht und mehrheitsfähig ist.

Vor zwei Jahren entschied das Volk in einer Abstimmung, auch Bi- und Homo-feindliche Äusserungen und Handlungen gesetzlich zu verbieten. Ähnlich wie heute befürchteten Kritiker schon bei dieser Revision Abgrenzungsprobleme und eine Tendenz zur Symbolpolitik. Das änderte allerdings nichts am grossen Rückhalt: Fast zwei Drittel der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger stimmten der Vorlage schliesslich zu.