Rechtsextreme Aktion in Zürich: Alle Parteien verurteilen die Tat – doch eine SVP-Forderung sorgt für Empörung

Neue Zürcher Zeitung. Die Stadt habe ein Problem mit Rechtsextremen, fanden Linke, Mitte und FDP. Die SVP sah das etwas anders.

Was tun uneinige Politiker, wenn Rechtsextreme mitten in ihrer Stadt aufmarschieren, eine friedliche Vorlesestunde für Kinder stören und Zwietracht säen wollen? Stehen sie zusammen oder streiten sie weiter?

Um diese Frage ginge es am Mittwochabend im Zürcher Stadtparlament. Seit eine kleine rechtsextreme Splittergruppe im Zürcher Tanzhaus für Angst und in der Stadt für Empörung sorgte, wurde hinter den Kulissen heftig diskutiert und gemutmasst. Die Grünen wünschten sich eine gemeinsame Erklärung, in welcher der Vorfall verurteilt würde. Die FDP zeigte sich offen, hatte aber Vorbehalte bei der Formulierung. Und die SVP wollte sich vorerst nicht äussern.

Nun also die Stunde der Wahrheit. An der Sitzung vom Mittwochabend zeigte sich: Alle Parteien verurteilen den Vorfall von vergangener Woche, die meisten von ihnen aufs Schärfste. Dabei hatten Mitglieder der Gruppierung «Junge Tat» eine Vorlesestunde von Dragqueens gestört, Parolen skandiert und ihre Aktion später in einem Video mit Verweis auf homophobe Stereotype begründet.

Alle protestieren – und die SVP so halb

In einer gemeinsamen Erklärung schrieben SP, FDP, Grüne, GLP, Mitte und AL: «Wir haben ein Problem mit Rechtsextremen und Neonazis, die sich sicher und salonfähig fühlen, um mit Namen und Gesicht an die Öffentlichkeit zu treten.» Den Betroffenen sprachen die Parteien einhellig ihre Solidarität aus. Rechtsextremismus bedrohe das Fundament einer freien Gesellschaft. Man dürfe dieses Problem mit Blick auf die Geschichte nicht verharmlosen.

Damit war das Stichwort für die SVP gegeben, die genau das tat. In einer separaten Fraktionserklärung referierte Fraktionspräsident Samuel Balsiger erst über fehlende Polizeistellen und «linke Heuchler», die jetzt mehr Sicherheit verlangten, sonst aber einen Ausbau der Polizei ablehnten. Dann meinte er pauschal, die SVP lehne «jede Gewalt und Einschüchterung» ab, was natürlich auch diese Aktion umfasse. In der schriftlichen Version der SVP-Fraktionserklärung sucht man das Wort «Rechtsextremismus» allerdings vergebens.

Dafür kündete die SVP ein Postulat an, das sich nicht gegen die Extremisten der «Jungen Tat», sondern gegen das Ziel ihrer Attacke richtet. Der Stadtrat, so Balsiger, solle darin aufgefordert werden, darauf hinzuwirken, dass die Dragqueen-Vorlesestunde im Tanzhaus so schnell wie möglich gestoppt werde.

Daraufhin empörte sich Gemeinderätin Tanja Maag (AL): «Die SVP portiert hier die Ideen radikaler Gruppen. Es ist die Stunde der rechten Relativierer!»

Um Schadensbegrenzung bemüht war Stadtrat Daniel Leupi (Grüne). Es sei froh, so Leupi, dass zumindest aus allen Erklärungen eine Abgrenzung gegenüber Gewalt herauszulesen sei. Für die Stadtregierung sei klar: «Nazis haben bei uns nichts verloren, wie auch sonst nirgendwo.» Über den Inhalt der Tanzhaus-Veranstaltung könne man gerne diskutieren, doch nicht so. Diese «feige Attacke» der Rechtsextremen gehe zu weit.

Verfahren gegen Gruppe läuft

Die «Junge Tat» ist bereits mehrfach durch effekthascherische Auftritte aufgefallen. Im Juni störten sie mutmasslich einen Gottesdienst im Rahmen der Pride. Die Staatsanwaltschaft hat in diesem Zusammenhang ein Verfahren wegen Sachbeschädigung, Hausfriedensbruchs und Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit aufgenommen.

Im Umfeld der «Jungen Tat» kam es bereits mehrfach zu Festnahmen und der Konfiskation von Schusswaffen. Etwa im Januar 2021, nachdem Unbekannte eine Online-Veranstaltung einer jüdischen Gruppierung mit obszönen und antisemitischen Bildern gestört hatten.

Die Gruppierung und ihre Aktionen stehen für ein neues Phänomen in der Entwicklung des Schweizer Rechtsextremismus: Kleine Splittergruppen versuchen mit einem Minimum an Aufwand grösstmögliche Aufmerksamkeit zu erhalten. Ihr Ziel ist es, via soziale Netzwerke Sympathisanten zu mobilisieren. Besonders unter Jugendlichen, von denen gemäss einer ZHAW-Umfrage von 2017 immerhin gut sechs Prozent rechtsextreme Haltungen vertreten.