«Es macht mir Angst, dass die Behörden nicht in der Lage sind, solche Aufmärsche zu verhindern» – rechtsextreme Störaktion am Pride-Gottesdienst in Zürich ruft Entrüstung hervor

Neue Zürcher Zeitung. Seltene Einigkeit in der Stadtzürcher Politik: Von AL bis SVP haben Mitglieder sämtlicher Parteien einen Vorstoss gegen rechtsextreme Gewalt unterzeichnet. Die Polizei ermittelt.

Die Vermummten kamen durch die Seitentüre der Kirche St. Peter und Paul im Zürcher Kreis 4. Die jungen Männer schleppten ein weisses Holzkreuz mit der Aufschrift «No Pride Month» mit sich, um einen Gottesdienst an der Zurich Pride zu stören. Dabei filmten die Täter ihre Aktion. Doch Gottesdienstbesucher stellten sich den Männern in den Weg und verhinderten, dass sie in die Kirche gelangen konnten.

Bilder zeigen, wie die mit weissen T-Shirts bekleideten Vermummten davonrennen, das Kreuz liessen sie in der Kirche stehen. Die Verantwortlichen der Pride alarmierten die Polizei.

Hinter der Störaktion stecken mutmasslich Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung Junge Tat, die in den vergangenen Monaten immer wieder mit öffentlichkeitswirksamen Auftritten Negativschlagzeilen auslöste. Meist dürfte der harte Kern der Fanatiker an den Taten beteiligt gewesen sein.

«Laut und deutlich» gegen rechtsextreme Gewalt

Die homophobe Aktion hat in breiten Kreisen Entrüstung hervorgerufen. Bischof Joseph Bonnemain etwa sagte nach der Attacke gegenüber dem Medienportal kath.ch, Ideologien, Militanz und Aggressivität hätten in der Kirche keinen Platz.

Die Stadtpolizei hat nach dem Vorfall am Pride-Gottesdienst Ermittlungen aufgenommen. Darüber, ob bereits Tatverdächtige eruiert werden konnten, macht die Polizei bis anhin allerdings keine Angaben.

Doch nicht nur strafrechtlich hat die Störaktion Folgen. Inzwischen hat sich auch die Politik eingeschaltet. Im Zürcher Stadtparlament haben die SP-Gemeinderätin Anna Graff und der Grüne Dominik Waser eine dringliche schriftliche Anfrage eingereicht, die von 60 Gemeinderätinnen und Gemeinderäten aus allen Parteien mitunterzeichnet worden ist – von AL bis SVP.

Im Vorstoss fordern die Politiker, dass sich die Stadt «laut und deutlich» gegen rechtsextreme Gewalt stellt und Betroffene schützt. Die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte wollen zudem von der Regierung eine Aufzählung von Vorfällen rechtsextremer Gewalt, aufgeschlüsselt nach betroffener Community. Zudem solle der Stadtrat mögliche Massnahmen gegen die verstärkten öffentlichen Auftritte von Neonazis nennen.

Eine Möglichkeit nennen Graff und Waser gleich selbst: eine Ausweitung der Kampagne «Zürich schaut hin» auf rechtsextreme Gewalt. Mit dem Projekt, das unter Federführung von Stadtpräsidentin Corine Mauch und Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart lanciert wurde, sollten bisher vor allem sexuelle, sexistische, homo- oder transfeindliche Belästigungen im öffentlichen Raum und im Nachtleben stärker sichtbar gemacht werden. Seit Mai 2021 können Übergriffe online gemeldet werden.

Auf Anfrage sagt Dominik Waser, der Vorfall an der Zurich Pride zeige, dass der Kampf gegen Homo- und Transfeindlichkeit noch lange nicht gewonnen sei. Dass sich Rechtsextreme trauten, mitten in der Stadt Zürich offen Hassverbrechen zu begehen, gebe ihm zu denken. Dass die rechtsextreme Szene wieder vermehrt aktiv sei, habe man am Wochenende nicht nur am Gottesdienst, sondern auch in Rüti im Zürcher Oberland gesehen.

Im dortigen Pfadiheim trafen sich über 50 mehrheitlich deutsche Rechtsextreme für ein Konzert, das die Polizei nach Meldungen von Anwohnern vorzeitig beendete. Laut «Sonntags-Blick» stammten 34 der 53 kontrollierten Personen aus Deutschland, 17 aus der Schweiz und je eine aus Frankreich und Ungarn. Die Polizei klärt nun ab, ob beim Konzert in Rüti der Tatbestand der Diskriminierung und des Aufrufs zu Hass erfüllt worden ist.

Waser hält es wegen solcher Aktivitäten für wichtig, dass Vertreter aus allen Parteien den Vorstoss mitunterzeichnet haben. «Das ist ein klares Zeichen dafür, dass man das Problem mit Neonazis ernst nimmt und dass man alles daransetzen will, solche Vorfälle in Zukunft zu unterbinden.» Die Geschlossenheit ist für Waser auch ein starkes Zeichen an den Kanton. Denn: «Es macht mir auch Angst, dass die Behörden nicht in der Lage sind, solche Aufmärsche zu verhindern.» Es brauche hier deutlich mehr Entschlossenheit.

Nicht der einzige Vorfall

Die Störaktion am Pride-Gottesdienst ist nicht der einzige Vorfall im Kanton Zürich, für den Mitglieder der Jungen Tat verantwortlich sind. Für Aufsehen sorgte etwa eine Aktion am 1. Mai. Mehrere Rechtsextreme kletterten damals auf einen Baukran und hissten ein Banner mit einer nationalistischen Parole. Kurz darauf wurden sie von der Polizei abgeführt. Bei einer Demonstration gegen Nazis im Februar dieses Jahres kam es zu einer Auseinandersetzung mit linken Demonstranten.

Die Junge Tat besteht mehrheitlich aus jungen Männern. Die Mitglieder bedienen sich der sozialen Netzwerke, stellen Videos ins Netz oder posten Bilder von sich mit Sturmhauben. In ihrer Vorgehensweise ähnelt die Junge Tat der Identitären Bewegung, einem rechtsextremen Bündnis, das vor allem in Deutschland und Österreich aktiv ist. Dass die Gruppierung mit ihrer extremen Ideologie eine nicht gerade kleine Zahl von Sympathisanten anspricht, zeigt ihr offener Telegram-Kanal, der mehrere tausend Mitglieder zählt.