Wo die Polizei mit Verve ermittelt 

Die Wochenzeitung.

Während Zertifikatsgegner:innen mit Rechtsextremen in der Berner Altstadt demonstrierten, umstellte die Berner Kantonspolizei mit einem Grossaufgebot die Reitschule. Die Gründe dafür bleiben im Dunkeln. 

Ausnahmezustand rund um die Berner Reitschule. Das autonome Kulturzentrum ist am Samstagnachmittag von der Polizei umstellt und abgeriegelt. Über 300 Meter lang ist die Kette, mit der Polizist:innen in Kampfmontur den ganzen Gebäudekomplex absperren. Alles deutet darauf hin, dass eine Durchsuchung kurz bevorsteht. Das wäre selbst für die seit Jahrzehnten polizeierprobte Reitschule kein alltäglicher Vorgang. Der Ring aus Polizist:innen zieht sich enger zusammen. In den einen Teil des Gebäudekomplexes, die Grosse Halle, dringen erste Einsatzkräfte ein. Um die Durchsuchung und eine weitere Eskalation zu verhindern, eilen Politiker:innen herbei – auch Blaise Kropf, der einflussreiche Generalsekretär des Stadtpräsidenten, ist auf dem Weg. Es ist kurz nach 16 Uhr.

Rund einen halben Kilometer entfernt demonstrieren in der Altstadt gleichzeitig um die 30 000 Personen gegen Zertifikate, Impfungen und Masken (vgl. «Tausende oder 100 000?»). Es ist eine heterogene Gruppe, in der sich neben Trychlern, Verschwörungsanhänger:innen und Mitgliedern der Splittergruppe Freie Linke Schweiz einmal mehr auch Rechtsextreme befinden. So verteilt etwa die Gruppierung Junge Tat Flyer. Unter dem Titel «Rechte Jugend gegen Impfzwang» wird an die «patriotischen Kräfte» appelliert. Die anderen Teilnehmer:innen scheint dies nicht zu stören. Und auch die Polizei scheut den Kontakt zu den Demonstrant:innen nicht (vgl. «Süsser die Treicheln nie klingen»). Ihren Unmut über den erneuten Aufmarsch der gegen rechts offenen Coronaleugner:innen zeigen linke und antifaschistische Kreise an einer Gegendemo, die zugleich eine solidarische Coronapolitik fordert.

Unangepasst und solidarisch

Dass es in Bern seit Jahrzehnten eine breite solidarische und antifaschistische Basisbewegung gibt, ist nicht zuletzt das Verdienst der Reitschule. Seit 1981 folgen in dieser auf Räumungen immer wieder Sperrungen, Besetzungen, Feste, Flaschenwürfe, Diskussionen, Verhandlungen, Theaterstücke, Razzien und Konzerte, in dieser und in vielen anderen Reihenfolgen. Sie sorgt damit immer wieder für Reibung mit der Stadt – hat Bern aber gerade auch dadurch geprägt und dabei vielfältiger und herrschaftskritischer gemacht. Im Unterschied zu anderen ehemaligen autonomen Jugendzentren hat sich die Reitschule ihre Unangepasstheit zumindest teilweise bewahrt.

Am Samstagnachmittag werfen Personen Steine auf Autos, die Coronaleugner:innen auf dem Weg an ihre Demonstration direkt vor der Reitschule parkiert haben. Dabei gehen bei mehreren Fahrzeugen Scheiben zu Bruch. Die Polizei ist zufällig wegen eines Unfalls mit Blechschaden schon vor Ort. Auch sie wird mit Steinen beworfen. Gemäss Angaben der Staatsanwaltschaft wird dabei auch eine am Unfall beteiligte Frau getroffen und «leicht verletzt». Auch ein Polizist sei getroffen worden, aber unverletzt geblieben. Die Steinewerfer hätten sich danach «in die Reithalle zurückgezogen», schreibt die Staatsanwaltschaft weiter.

Wer stoppte den Einsatz?

Kurz darauf wird die Reitschule von Einsatzkräften umzingelt. Gemäss einem Augenzeugen sagt ein Polizist, man kläre juristisch ab, ob man hineinkönne. Andere hören Polizisten zueinander sagen, «heute sind wir genug». Da waren Polizist:innen in Vollmontur bereits in die separat verwaltete Grosse Halle eingedrungen – um dort Zugänge zur restlichen Reitschule zu besetzen. Dies «in Absprache mit dem Veranstalter», schreiben sowohl Kantonspolizei wie auch Staatsanwaltschaft auf Anfrage. Luzius Engel von der Betriebsgruppe der Grossen Halle sieht das anders. Einzig der externe Veranstalter, der am Samstag in der Halle ein alternatives Festival für Gamekultur organisierte, sei gefragt worden. «Uns hat man nicht kontaktiert, obwohl die Polizei unsere Notfallnummer hat», sagt Engel. Erst als er persönlich vor Ort eingetroffen sei und interveniert habe, hätten sich die Einsatzkräfte aus der Grossen Halle zurückgezogen.

Und dann, kurz vor 18 Uhr, ist auch der restliche Spuk plötzlich vorbei. Die Polizei zieht ab. Wollte sie die Tatsache nutzen, dass aufgrund von Kundgebungen und Fussball- und Eishockeyspielen viele Polizist:innen in der Stadt waren, um in der Reitschule einmal mehr Präsenz zu markieren? Und hat ihr die Staatsanwaltschaft dann die Erlaubnis zur Durchsuchung nicht erteilt? Die Staatsanwaltschaft und die Kantonspolizei wollten die diesbezüglichen Fragen der WOZ nicht beantworten.

Zumindest kam die Polizei so nicht zu einer Wiederholung der Durchsuchung von 2012, als sie im Keller der ihr unliebsamen Reitschule eine Hanfanlage vermutet hatte – weil es in der Gegend nach Hanfblüten gerochen haben soll. Aber es waren keine Hanfpflanzen da. «Es schmöckt», schrieb die Reitschule danach süffisant in einem Communiqué. Am vergangenen Samstagabend nun diskutieren Reitschüler:innen aller Altersgruppen bis in die Nacht hinein durchaus kontrovers über die Vorkommnisse und die Steinwürfe. Die Aktion der Polizei wird aber sehr bald als Alltag abgebucht – man kennt es ja seit Jahrzehnten nicht anders.