Wie überlebt die Totenfeier?

Kommentar

Hier 200 Glatzen. Dort die Gegendemo junger Sozialdemokraten. Dieses Gesinnungsschaulaufen hat die Schlachtjahrzeit in Sempach in Geiselhaft genommen. Die Extreme bestimmen den Fokus des öffentlichen Interesses: Wie viele Rechte? Wie viele Linke? Wie viele Waffen? Wie viel Polizei?

Dass es dazu gekommen ist, hat zwei Gründe. Einen unmittelbaren: Seit die Bundesfeier auf dem Rütli zur Alpenfestung ausgebaut wurde, suchen sich politische Provokateure leichter erreichbare Plattformen. Und einen historischen: Die Feier der Schlachtjahrzeit war immer auch ein Gefäss, das mit verschiedenen Inhalten gefüllt wurde ursprünglich ein schlichtes Totengedächtnis, im 19. Jahrhundert kam das Patriotische hinzu, im 20. Jahrhundert schien Winkelried ein passendes Bild für opferbereiten Wehrwillen.

Muss man demnach auch die aktuelle Vereinnahmung durch politische Gruppen hinnehmen? Nein. Die Schlachtjahrzeit geht auf ein Behördengelöbnis zurück und drückt den Willen aus, sich auf die Bedeutung der Schlacht für die Entwicklung des Kantons Luzern zu besinnen. Ein Publikumsmagnet ist diese Art der Identitätspflege nicht. 600 Personen zog die Feier heuer an, Rechtsextreme exklusive. Am selben Wochenende wohnten 100 000 Personen dem Luzerner Fest bei, 55 000 dem Zentralschweizer Jodlerfest. So viel zur zeitgenössischen «Identität».

Man kann also getrost verzichten auf den Aufruf, in Sempach einen «Massenaufmarsch» zu inszenieren gegen rechts und links; ein solcher Protestmarsch gegen Extremisten würde die Feier sich selbst nur weiter entfremden. Man kann auch verzichten auf ein zweites Rütli, eine zur Groteske hochgerüstete «öffentliche» Feier mit schriftlichem Anmeldeverfahren, Ticketsystem, Zugangskontrolle. Man kann mit einer stillen Totenmesse an einem ruhigen Ort das historische Versprechen einlösen; ohne Aufsehen suchenden Mitläufern eine Bühne zu bieten.

Andreas Töns