Wie Norwegen und Schweden jungen Neonazis gezielt zum Ausstieg aus der Szene verhelfen

Rechtsradikale Zwangsgespräche, Ortswechsel oder ab ins Militär Modell «Exit»: 

Oslo – Was kann einem jungen Neonazi Peinlicheres passieren, als wenn ihm seine Mutter in den Rechtsradikalentreff folgt? Gar nichts, wie die Geschichte beweist, die Else Löland Berge von der norwegischen Vereinigung «Voksene for Barn» (Erwachsene für Kinder) zu erzählen weiss. Kaum traf der 14-jährige Skinhead aus Kristiansand mit seiner Mutter in der einschlägigen Versammlung ein, war er für immer Neonazi gewesen. Müttersöhnchen, auch solche wider Willen, sind in der rechten Szene nicht gefragt. Im Herbst 1996 legten die Neonazis in Kristiansand alle Hemmungen ab.

«Es war schlimm, sie marschierten regelmässig durch die Strassen und verbreiteten Angst, wir wussten ganz einfach nicht, was machen», sagt Else Löland Berge. Ihre Vereinigung, die Gemeinde und die Polizei wandten sich schliesslich an Tore Björgo, der sich einen Namen in der Erforschung von gewalttätigen Jugendgruppen gemacht hatte.

Action-Sport soll die Gefährdeten auf andere Gedanken bringen

Nach Björgos Ratschlägen bauten die Eltern der Neonazis unter Berges Regie ein Netzwerk auf. Jeder Neonazi wurde mit seiner Mutter und seinem Vater zu einem Gespräch eingeladen. Dabei wurde diskutiert, wie jedem individuell aus der Szene herausgeholfen werden kann. Action-Sport, Wechsel des Schulhauses, Platzierung in Pflegefamilien oder Gespräche mit abgesprungenen Neonazis wurden den Minderjährigen verordnet – zum Teil zwangsweise. Die über 18-Jährigen wurden an Volkshochschulen in anderen Landesteilen geschickt oder sogar ins Militär einberufen. Erfolg der Aktion: 34 der 38 in Kristiansand wohnenden Neonazis verliessen die Szene. Die Idee für die norwegische Organisation «Exit, heraus aus gewalttätigen Jugendgruppen» entstand, als 1995 nach Ausschreitungen in Oslo 80 junge «Nationalisten» verhaftet wurden. Ein verzweifelter Vater wandte sich damals an den Gewaltforscher Tore Björgo. Dieser kontaktierte die Osloer Polizeistation in Manglerud, einem Quartier, in dem die Polizei mit vorbeugenden Massnahmen und frühem Eingreifen bereits zuvor gute Erfolge erzielt hatte im Kampf gegen braune Jugendgruppen. Die Erfahrungen von Polizei und Forschern wurden kombiniert, und schliesslich wurde «Exit» 1997 als Projekt unter der Regie von «Erwachsene für Kinder» ins Leben gerufen. «Die meisten Jugendlichen», sagt Forscher Björgo, «schliessen sich nicht aus rassistischen oder ideologischen Gründen gewalttätigen Gruppen an. Ausserdem wollen früher oder später alle aussteigen. Das muss aber so früh wie möglich geschehen, bevor alle Brücken abgebrochen sind.» Oft sei man zu sehr mit den Symptomen rechtsextremer Gruppen beschäftigt, warnt der Forscher, und versuche, die Jungen mit Aufklärungskampagnen auf die politischen und historischen Zusammenhänge der rechtsextremen Ideologien aufmerksam zu machen. «Solche Kampagnen», so Tore Björgo, «sind zwar sicher wertvoll, aber Jugendlichen, die sich aus anderen als politschen Gründen den Neonazi-Gruppen anschliessen, helfen sie nicht.» Auf diese «anderen Gründe» müsse man in einem Netzwerk individuell eingehen, wenn man Jugendliche aus der Szene herausholen wolle.

Mehr als auf Prävention setzt man auf ein ehemaliges Neonazi-Vorbild

Die norwegische Organisation «Exit» hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, die Erfahrungen von Polizei, Forschern und Organisationen mit dem Ausstieg aus gewalttätigen Gruppen zu sammeln und weiter zu entwickeln. Die Erkenntnisse sollen lokalen Behörden und Eltern im Kampf gegen rechtsradikale Gruppen zur Verfügung gestellt werden. «Exit» Norwegen ist eine Variante des schwedischen Ausstiegsmodells. «Exit» Schweden ist bereits 1996 gegründet worden. Mit dem prominenten Ex-Neonazi Kent Lindahl als Frontmann versucht es, junge Rechtsradikale direkt zum Ausstieg aus der Szene zu bewegen. Anstatt auf Prävention auf lokaler Ebene setzt dieses Modell auf die Sogwirkung eines ehemaligen Neonazi-Vorbildes, der aus der Szene abgesprungen ist. Nach diesem Modell arbeitet inzwischen auch das Absprungsnetzwerk «Exit» Deutschland. Frontfigur dort ist Ingo Hasselbach, ein ehemals führender Aktivist im deutschen Neonazimilieu.