Warum welche Seiten gesperrt werden, ist zudem kaum nachvollziehbar. Insider bestätigen, dass Internetprovider in der Regel erst auf Druck von Dritten

heute

reagieren. Entscheidend für eine Sperrung ist zudem weniger der genaue Inhalt einer kritisierten Seite als vielmehr der Absender der Kritik. Wird dessenBereitschaft, eine Klage einzureichen, als hoch eingeschätzt, werde auch eher gesperrt.

Millioneninvestitionen gefährdet
„Wir wollen keine Schmuddelinhalte im Internet und haben kein Interesse, schwarze Schafe zu schützen. Was wir fordern, sind klare rechtliche Grundlagen,die verhindern, dass Verantwortliche von Internetprovidern täglich mit einer Strafanzeige rechnen müssen“, sagte gestern René Burgener, Vizepräsident desVerbandes Inside Telecom (VIT), in dem sich die Schweizer Internetprovider zusammengeschlossen haben.

Wird die rechtliche Situation nicht in absehbarer Zeit geklärt, befürchtet Burgener erhebliche Nachteile für die rund 300 Schweizer Internetanbieter iminternationalen Wettbewerb: „Es stehen Millioneninvestitionen an, vor denen wir unter den heutigen Bedingungen zurückschrecken.“

So unklar die rechtliche Ausgangslage ist, so unwirksam ist auch die Stafverfolgung der rassistischen und pornografischen Elaborate im World Wide Web.Dass die Justiz dazu nicht in der Lage ist, hat einen Grund: Geht es um Internetdelikte, verwirrt das Schweizer Strafgesetz nämlich mehr, als esRechtssicherheit schafft. So versuchen der VIT einerseits und die Bundespolizei andererseits seit über zwei Jahren, das geltende Gesetz zu interpretieren. DasErgebnis sind zwei juristische Gutachten, die in ihren Aussagen kaum unterschiedlicher sein könnten. Laut Jürg Bühler von der Bundespolizei führt dieRechtsunsicherheit denn auch zu einer halbherzigen Strafverfolgung: „Die meisten Delikte müssten auf kantonaler Ebene verfolgt werden. Dort fehlen aberExperten, was zusammen mit der umstrittenen Rechtslage ein engagiertes Durchgreifen schwierig macht.“

Im gestern präsentierten Rechtsgutachten des VIT diagnostizieren die Strafrechtsprofessoren Marcel Niggli, Franz Riklin und Günter Stratenwerth einen“rechtsstaatlich unerträglichen Zustand“. Die Verantwortlichkeit, die Haftung und die Sorgfaltspflichten der Internetprovider seien nicht geregelt. DieBestimmung des Tatortes bei Internetdelikten und die Abgrenzung der Anwendbarkeit des Medien- und des allgemeinen Strafrechts seien unklar, so Niggli.

Das VIT-Gutachten ist als Antwort auf ein bereits Ende 1999 fertiggestelltes Gutachten des Bundesamtes für Justiz zu verstehen. Die Autoren kamen darinzum Schluss, dass Internetprovider, die als reine Zugangsvermittler (Access-Provider) auftreten, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, fallssie von Strafverfolgungsbehörden auf strafbare Inhalte aufmerksam gemacht worden sind, die entsprechenden Seiten aber nicht sperren.

Stellt ein Schweizer Internetprovider auch Speicherplatz auf Web-Servern zur Verfügung (Hosting-Provider), muss er gemäss dem Gutachten derBundespolizei sogar Hinweisen von so genannt „zuverlässigen“ Drittpersonen nachgehen. Zudem hat er die Pflicht, den Inhalt auf seinen Servern mindestensstichprobenweise selbst zu kontrollieren. Für die Autoren der VIT-Studie sind diese Gesetzesauslegungen falsch oder zumindest umstritten.

Gegen Selbstkontrolle
Geht es nach dem VIT, sollen reine Zugangsprovider künftig von einer strafrechtlichen Verantwortung für illegale Inhalte gänzlich ausgenommen werden.Hosting-Provider wären nur dann verantwortlich zu machen, wenn sie trotz konkreter Hinweise auf illegale Inhalte keine Sperrungen vornehmen. EineSelbstkontrolle lehnt der VIT grundsätzlich ab. „Wir können nicht unsere eigene Zensurbehörde sein“, sagte Burgener.

Mehr Rechtssicherheit kann laut Niggli nur über Gesetzesänderungen erlangt werden. „Die Verantwortlichkeit der Provider ist in einem separaten Erlass zuregeln. Dabei sollte eine Harmonisierung mit bereits bestehenden Regelungen in der EU und im benachbarten Ausland ein Ziel sein“, forderte Niggli. Der VITwill noch in der Wintersession eine entsprechende parlamentarische Gesetzesinitiative im Ständerat einbringen.