Vorbild wider Willen

Tages-Anzeiger. Deutsche Rechte, die die Schweiz bewundern? Diese Zuneigung beruhe sicher auf Missverständnissen, sagen viele Schweizer. Doch das tut sie nicht.

Auszug aus dem neuen Buch der Journalistin Charlotte Theile

Als der deutsche Journalist Wolfgang Koydl Anfang 2014 das Buch «Die Besserkönner» auf den Markt bringt, Untertitel: «Was die Schweiz so besonders macht», ist das Land geradezu ergriffen. «Verliebt in den helvetischen Sonderfall», schreibt die «NZZ am Sonntag». Das Buch wird zum Bestseller. 2016 legt Koydl, der frühere Korrespondent der «Süddeutschen Zeitung», «Die Bessermacher» nach. Untertitel dieses Mal: «Die Schweiz kann’s einfach besser».

Um es kurz zu machen: Die Schweizer sind überschwängliches Lob gewöhnt, und sie setzen sich gerne mit ihrer Aussenwirkung auseinander. Wann immer ein Ausländer das Land lobt, ist das Schweizer Zeitungen ausführliche Berichte wert.

Wenn dagegen eine freie Autorin in einer mittelgrossen deutschen Zeitung darüber klagt, dass Zürich ganz schön teuer ist oder eine Amerikanerin in einem erotischen Roman die Langweile der Schweizer Vorstadt beschreibt, reagiert man persönlich getroffen. Die Frage, wie man im Ausland gesehen wird, beschäftigt.

Umso erstaunlicher ist es, dass die offenherzige Zuneigung der deutschen Rechten in dem Land keinen Widerhall findet. Spricht man Schweizer darauf an, tun sie überrascht. Tatsächlich? Pegida-Positionspapier, AfD-Parteiprogramm? Nein, das sei einem jetzt nicht klar gewesen, vielleicht habe man es ganz am Rande einmal gehört, aber jetzt mal ehrlich: Müsse man das ernst nehmen? Eher nicht.

Dabei ist es unerheblich, ob man mit einem weit gereisten Ethikprofessor wie Markus Huppenbauer, einem linken Schriftsteller wie Alex Capus, dem wirtschaftsliberalen NZZ-Chefredaktor Eric Gujer oder dem SRF-Rechtsextremismus-Reporter Thomas Vogel spricht – alle sind sich sicher: Das muss ein Missverständnis sein. Wenn die Rechten die Schweiz als Paradies auf Erden loben, dann nur, weil sie das Land nicht verstehen. Die Schweiz könne schon wegen ihres «komplexen, austarierten Politiksystems» kein Vorbild für die neue Rechte sein, sagt etwa Markus Huppenbauer, ein Argument, das sich bei vielen anderen Gesprächspartnern findet.

In dem feinen Spiel der Checks and Balances, das das Schweizer System kennzeichnet, könne sich niemand zum Führer aufschwingen, zudem liessen es die basisdemokratischen Volksinitiativen kaum zu, dass eine einzige Weltanschauung das Land steuere. Das ist die Schweiz, wie man sie hier am liebsten sieht: ein Sonderfall, eine Ausnahme, mit nichts zu vergleichen.

Direkte Demokratie als Chance

Doch so einfach ist es nicht. Die direkte Demokratie schafft andere Bedingungen, aber sie bleibt für Rechtspopulisten attraktiv. Wenn man anschaut, wer Bezug auf die Schweiz nimmt, wird klar, dass die Rechten sehr wohl verstehen, wovon sie sprechen – und welche Möglichkeiten das Schweizer System ihnen bieten würde. AfD-Sprecher Alexander Gauland etwa sieht genau, welches Potenzial dieses Instrument für seine Anliegen bietet: Es schafft den Raum, um Themen wie Migration oder Kriminalität zu bewirtschaften.

Die direkte Demokratie hat aber auch Restriktionen. Man könnte daher sagen: Das Beispiel Schweiz markiert exakt die Grenze zwischen modernem Rechtspopulismus und völkischem Rechtsextremismus, der auch die AfD spaltet. Ein Rechtsaussenpolitiker wie Björn Höcke, in dessen Deutschland-Fantasie die AfD erst bei einem Wähleranteil von 51 Prozent wirklich zur Entfaltung kommen wird, kann mit Machtteilung in einer siebenköpfigen Regierung und mit Basisdemokratie vermutlich nicht viel anfangen.

Hier haben die Schweizer mit ihrer Abwehr recht: Ihr Modell ist nichts für autoritäre Führer, es eignet sich nicht, um ein Land um 180 Grad zu drehen, sondern erlaubt nur langsame, graduelle Veränderungen. Höcke ist keiner, der viel von der Schweiz spricht.

Wenn Frauke Petry oder die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel die Schweiz loben, ist die Lage eine andere. Weidel hat eine differenzierte Perspektive, sie kennt das Land von innen. Ihr gefällt das schweizerische Staatsverständnis, der sorgsame Umgang mit Steuergeld, die konservative Gesellschaftspolitik, die Ausländergesetze – und auch, dass man Ausländer in der Schweiz ungeniert Ausländer nennt und in Statistiken vermisst und bewertet. Und obwohl die gelernte Unternehmensberaterin einräumt, kein Fan von Chaos und Planungsunsicherheit zu sein, findet sie auch das Instrument der Volksinitiative grossartig. Die Forderung nach mehr direkter Demokratie ist für Weidel «mit das wichtigste Thema». Ein Verfassungsgericht, das die Bürger begrenzt, hält sie für unnötig. Gern würde Alice Weidel zum Beispiel auch das Prinzip des Zusammenspiels zwischen der bürgerlichen SVP und dem rechten Kampfverein Auns nach Deutschland übertragen. Die klare Rollenteilung würde den Rechten ein Spielfeld geben, um ihre politischen Ziele voranzutreiben – die Partei selbst würde nicht beschädigt.

Nach diesem Prinzip verfährt Christoph Blocher seit Jahrzehnten – in der Schweiz, wo man Wert auf Genauigkeit und Differenzierung legt, würde kein Journalist auf die Idee kommen, Partei und Verein in einen Topf zu werfen. Blocher hat sogar die Freiheit, bei der Auns anders aufzutreten als bei der SVP. Für die AfD, die von ihren Flügelkämpfen immer wieder herausgefordert wird, ist das attraktiv.

Wenn man von Frauke Petrys Besuch bei der Auns im April 2016 absieht, gibt es wenige Schweizer, die den Lobeshymnen der AfD auf ihr Land etwas abgewinnen können. Die Bilder von den Parteitagen der AfD gefallen nicht. Frustrierte ältere Menschen, die «Merkel muss weg» in die Kamera nuscheln, kahl rasierte junge Männer. Ihre Zuneigung ist ein unvorteilhafter Spiegel.

Und natürlich ist es leichter, ein Urteil über Menschen zu fällen, die weit weg sind – in Mecklenburg-Vorpommern, in den Pariser Vorstädten oder im Mittleren Westen der USA. Schweizer Zeitungen schreiben dann selbstverständlich über die Abgehängten, die Frustrierten, die Wutbürger, während man für die eigenen Bürger und deren Ängste viel Verständnis hat.

NZZ-Chef Eric Gujer glaubt: Weder der militärische Ton noch die Begeisterung für grossdeutsche Ideen sei in der Schweiz angelegt. «In der SVP gibt es keinen solchen Traditionsstrang» , sagt Gujer, die historischen Wurzeln seien andere: «Ich sehe da wenig Gemeinsamkeiten.» Ist also am Schluss alles eine Stilfrage? Lässt sich die Bewunderung der Deutschen deshalb so schwer ertragen, weil sie in Stakkato vorgetragen wird? In der Schweiz, wo die SVP seit mehr als 25 Jahren ihre Themen auf die Tagesordnung bringt, ist vieles von dem umgesetzt, was sich die neuen Rechten wünschen. Anders als in Deutschland, Österreich oder den USA gibt es hier keine rechte Vergangenheit, von der man sich lossagen muss. Man konnte auf der grünen Wiese eine rechte Ideologie entwickeln, die in unsere Zeit passt: Grenzen öffnen, aber nur für Waren und Kapital. Nationale Eigenständigkeit, die aber stets die Freundschaft zu anderen Ländern betont. Eine harte Ausländerpolitik, die jedoch nicht mit offener Ablehnung, sondern mit Sicherheit und hohen Kosten argumentiert. Konservative Gesellschaftspolitik, die nicht die traditionelle Familie zum Vorbild erhebt, sondern schlicht findet, der Staat solle sich aus dem Privatleben raushalten.

Nicht rechtsextrem, nur konservativ

Wenn ein SVP-Politiker «Maria statt Scharia» auf ein Plakat drucken lässt, dann ist das in der Schweiz per Definition nicht rechtsextrem, er ist ja in der SVP und damit maximal «sehr konservativ». Wenn die deutsche NPD das gleiche Plakat verwendet, ist alles anders. Der AfD-Politiker Marc Jongen ärgert sich darüber, hat aber auch Verständnis: Deutschen würde aufgrund ihrer Geschichte schnell «unterstellt, imperialistisch-aggressiv» zu sein. In der Schweiz würden die gleichen Inhalte als Ausdruck einer «Schutz-und-Trutz-Mentalität» betrachtet, sagt Jongen. Der «Druck der Political Correctness» sei in der Schweiz sehr viel geringer – auch dies ein Grund, warum er die «Verschweizerung Deutschlands» voranbringen will, wie er in einem Gespräch am Rand des Kölner Parteitags im April 2017 betont.

Auch im Strategiepapier der AfD tauchen viele Leitsätze auf, die die Schweizer seit Jahren mit Erfolg nutzen. So heisst es dort: «Man kann ‹relativ radikale› Forderungen erheben, wenn man sie gut begründet und in sachlicher Sprache und Ton vorträgt.» Anders gesagt: Je bedrohlicher ein rechter Politiker klingt, desto schwerer hat er es.

Die Staatsrechtlerin Sophie Schönberger bringt es auf die Formel: Die Politiker der SVP könnten «am rechten Rand fischen, ohne je unter Faschismus-Verdacht zu geraten» – für die AfD sei das extrem attraktiv. Alle anderen europäischen Rechtspopulisten hätten da «wenig zu bieten», die französische Rechte  hat immer wieder mit antisemitischen Kräften zu kämpfen, in Italien sind offen faschistische Strömungen dabei, in Österreich die deutschtümelnden Burschenschafter. Ein Schweizer, der diese Kräfte mit der SVP vergleicht, hat das gute Gefühl, dass es sich bei den eigenen Rechtspopulisten um «etwas anderes» handelt.

Doch wer das Land von aussen betrachtet, kommt zu einem anderen Schluss. Am Rande des AfD-Parteitags in Köln ist auch ein Team des Schweizer Fernsehens unterwegs, die Bewunderung der Rechten sind die Reporter längst gewöhnt.

Adrian Arnold, seit 2014 Deutschlandkorrespondent des Schweizer Fernsehens in Berlin, kommt zu einem anderen Schluss als die Schweizer daheim. Arnold hat zuvor aus Frankreich berichtet, hatte dort leichten Zugang zum rechtsextremen Front National. «Bei Marine Le Pen gingen wir als Schweizer quasi ein und aus.» Ähnliches begegnet ihm nun in Deutschland: Wenn der AfD-Politiker André Poggenburg alle Medien ausschliesst, lässt er die Schweizer doch herein – und sagt auch warum: weil er die Politik des Landes schätzt.

Arnold hat sich daran gewöhnt. An ein Missverständnis glaubt er nicht mehr. «Die AfD bedient sich direkt an den Publikationen der SVP, etwa zur Masseneinwanderungsinitiative. Teile der Partei planen ein Minarettverbot. Und was noch entscheidender ist: Damit können sie sich nicht nur auf die SVP, sondern auf die Mehrheit der Schweizer berufen, die diese Initiative angenommen haben.»

Adrian Arnold muss bei Heimatbesuchen oft von der AfD berichten, viele Schweizer interessiert die deutsche Rechte sehr. Und das auch aus Sympathie: «Die euroskeptischen Positionen der AfD sind in der Schweiz Mainstream», sagt Arnold. Das sei kein Missverständnis, sondern politische Realität.

Das Buch von Charlotte Theile, «Ist die AfD zu stoppen? Die Schweiz als Vorbild der neuen Rechten», ist im Rotpunktverlag erschienen.