Verurteilt wegen einer Whatsapp-Nachricht

Sonntagszeitung. Das Bezirksgericht Kriens sprach einen Mann wegen eines geschmacklosen Beitrags in einer Whatsapp-Gruppe schuldig. Ein «krasses Fehlurteil», findet ein Strafrechtsprofessor. Die Kommission gegen Rassismus sieht dies anders.

Es sind nur elf Wörter, die der Mann in die Whatsapp-Gruppe stellte, ihn nun aber teuer zu stehen kommen: 300 Franken bedingt plus eine Busse von 100 Franken sowie 1860 Franken Verfahrenskosten muss der Verurteilte bezahlen.

Um aufzuzeigen, worum es genau geht, und eine Debatte darüber zu ermöglichen, haben wir entschieden, den Text der belangten Whatsapp-Nachricht zu publizieren. Über einem Foto hiess es: «Egal ob Kuh Ziege oder Schwein Ali schiebt sein Yarak rein.» «Yarak» ist ein vulgärer türkischer Ausdruck für Penis. Was auf dem Foto zu sehen war, wird im Strafbefehl nicht erwähnt. 

Beim Urteil des Bezirksgerichts Kriens LU geht es um Fragen, die fast alle Handynutzerinnen und -nutzer betreffen könnten: Wann gilt eine Whatsapp-Gruppe als öffentlich? Und was darf man darin sagen? 

Nicht jede Beleidigung ist verboten

Gemäss Staatsanwaltschaft ist der Vers deshalb rassistisch zu verstehen, weil «Ali» in diesem Fall für einen «häufigen türkischen Namen» stehe. Der Beschuldigte habe damit «Türken im Allgemeinen (…) eine verbrecherische und sozial missbilligte Verhaltensweise» zugewiesen und sie «in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise» herabgesetzt. 

Strafrechtsprofessor Marcel Niggli, Autor eines Standardwerks zur Rassismus-Strafnorm, dachte zuerst an einen Witz, als er von dem Urteil hörte. Die Begründung des Gerichts kann er nicht nachvollziehen. «Ali ist ein im ganzen Nahen Osten verbreiteter Name, man kann ihn nicht klar einer rassischen, ethnischen oder religiösen Gruppe zuordnen», sagt er. Zudem seien Nationalitäten von der Rassismus-Strafnorm ausdrücklich ausgenommen, man dürfe zum Beispiel sagen «Italiener sind faul». 

Für einen Verstoss gegen die Strafnorm müsse ausserdem eine Minderwertigkeit oder Minderberechtigung der entsprechenden Gruppe behauptet werden. Auch das ist für ihn in diesem Fall nicht gegeben, trotz der Verbindung zu einer verbotenen sexuellen Praxis (Sex mit Tieren). «Die Aussage ist nicht nett, von mir aus deplatziert, aber das ist nicht verboten.» Niggli spricht von einem «krassen Fehlurteil» und bedauert, dass der Angeklagte den Fall nicht weitergezogen hat: «Die Chancen auf Erfolg wären gut gestanden.»

Whatsapp-Gruppe von zehn Leuten kann als öffentlich gelten

Ganz anders sieht das Martine Brunschwig Graf, Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. «Das Gedicht verletzt stark die Menschenwürde einer von der Strafnorm geschützten Gruppe und erfüllt somit den Tatbestand von Art. 261bis StGB [Rassismus-Strafnorm]», sagt sie. 

Entscheidend für eine Verurteilung ist auch die Frage, ob die Whatsapp-Gruppe im rechtlichen Sinne als öffentlich gilt. Dies hängt laut juristischer Praxis einerseits von der Anzahl Mitglieder ab, andererseits davon, ob sie eine persönliche Beziehung untereinander haben. «Das Bundesgericht stellt in neuerer Rechtsprechung stärker auf diese persönlichen Beziehungen ab als auf die Anzahl Personen», sagt Brunschwig Graf. Selbst eine Whatsapp-Gruppe mit nur zehn Personen könne als «öffentlich» gelten, wenn die Mitglieder nicht derselben Familie oder einem engeren Freundeskreis angehören.

Es habe auch schon entsprechende Verurteilungen gegeben, zum Beispiel 2019, als ein Polizist wegen der Verbreitung von antisemitischer Propaganda in einer Whatsapp-Gruppe mit rund 20 Mitgliedern bestraft wurde. 

Im Krienser Fall hatte die Gruppe mehr als 100 Mitglieder, die zum Teil fremdenfeindliche und pornografische Inhalte austauschten. Dass dies als öffentlich gilt, ist auch für Niggli unumstritten.

Strafe wegen falschen WLAN-Namens

Auf der Homepage der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus sind alle Verurteilungen der letzten Jahre aufgelistet. Darunter sind weitere umstrittene Fälle zu finden. Zum Beispiel jener eines Mannes im Kanton Nidwalden, der den eigenen WLAN-Anschluss für einen bestimmten Zeitraum «Hitler did nothing wrong» benannte. Da dies auch für die Nachbarn sichtbar war – zum Beispiel, wenn sie mit dem Mobiltelefon nach einer Verbindung suchten –, wurde er wegen Diskriminierung und Aufruf zu Hass für schuldig erklärt.

Auch wenn der WLAN-Name an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten ist, kann Niggli die Verurteilung nicht verstehen. Er kritisiert allgemein die immer grosszügigere Auslegung der Strafnorm, die mit der ursprünglichen Absicht nur noch wenig zu tun habe: Nämlich, schwere Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Ethnie oder Religion und Hasspropaganda wie Holocaust-Leugnung zu ahnden. «Die Strafbestimmung wird durch die Ausweitung in ihrem Gehalt vermindert», sagt er. «Jeder wird damit potenziell ein bisschen strafbar.»


Blackfacing bleibt erlaubt

Vor einigen Wochen sorgte ein Auftritt des Jodlerchors Walzenhausen AR national für Schlagzeilen. Bei einem Lied mit afrikanischen Klängen trat ein Mitglied mit schwarz geschminktem Gesicht, Kraushaarperücke und einem Bastrock auf die Bühne. «Blackfacing – Jodlerverein sorgt für Rassismus-Eklat», titelte 20Minuten. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden eröffnete daraufhin ein Strafverfahren. Mittlerweile wurde es eingestellt.

In der Einstellungsverfügung heisst es: «Zwar bedient sich die Bekleidung und Inszenierung typischer Elemente des ‹Blackfacing›. Dass der betroffene Darsteller hingegen rassistische Bemerkungen oder sich überhaupt in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise über eine Rasse oder Ethnie äussert, geht aus dem Rohmaterial [der Filmaufnahmen] nicht hervor.» Vor allem auch für die bevorstehende Fasnacht relevant ist die Feststellung der Staatsanwaltschaft, dass «die Praxis des ‹Blackfacing› nicht per se den Tatbestand der Rassendiskriminierung erfüllt. Vielmehr ist dieser im entsprechenden Kontext der Darstellung zu betrachten, um ein allfälliges rassendiskriminierendes Verhalten auszumachen.» (rb)