uns nach rechts ab, immer wieder und bei jeder Gelegenheit.» In Bezug auf die

BernerZeitung

rassistischen Äusserungen eines SVP-Delegierten gegenüber der BernerSVP-Nationalrätin und Mutter eines dunkelhäutigen Kindes, Ursula Haller, wiegeltMaurer ab: «Solches habe ich gelesen, selbst gehört habe ich es nicht, und wenn espassiert ist, war es bestimmt kein offizielles Votum.» Im Klartext: Vorsorglichbezweifelt Maurer erst einmal den Sachverhalt, und falls die Sache doch zuträffe, sowäre sie eine private Angelegenheit, also weder der Rede noch der Empörung wert.

Im Übrigen spielt Maurer die beleidigte Leberwurst, wie im vergangenen Herbst,nachdem die SVP in den letzten Wochen des Wahlkampfes mit denrechtsextremistischen Rändern ihrer Partei konfrontiert worden war. Zur Erinnerung:
In Genf kandidierte auf der SVP-Liste auch der Anwalt Pascal Junod, seit vielenJahren ein eifriger Exponent der rassistisch inspirierten Nouvelle Droite. Im Aargaukandidierte ein Jung-SVPler, der Verständnis für Hitlers Rassenpolitik geäusserthatte. Im Tessin wollte ein Möchtegern-Bankdirektor SVP-Nationalrat werden, dersich und seine Ehefrau ehemaligen Mitgliedern der Waffen-SS als «Gleichgesinnte»angepriesen hatte. Und im Kanton Jura kandidierte ein SVP-Parlamentarier, derwegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm rechtskräftig verurteiltworden war. Was vor den Wahlen in der Öffentlichkeit Entrüstung auslöste, wurdeschnell vergessen: Medien und die Bundesratsparteien verpassten es, dieSVP-Regierungsbeteiligung in Frage zu stellen.

Fakt ist: Die SVP betreibt seit Jahren eine Politik, welche den rassistischen Täterndie angreifbaren Opfergruppen bezeichnet. Seien es nun linke HausbesetzerInnen,seien es Farbige, seien es Jüdinnen und Juden. Das SVP-Doppelspiel zeigte sichauch im Umgang mit der Rassismus-Strafnorm und der EidgenössischenKommission gegen Rassismus (EKR). Die Motion des Thurgauer NationalratesWilfried Gusset (Freiheitspartei/FPS) zur Aufweichung der Rassismus-Strafnormwurde im Sommer 1997 auch von vielen SVP-Nationalräten unterzeichnet, sobeispielsweise von Christoph Blocher, vom Auns-Geschäftsführer Hans Fehr, vom«Schweizerzeit»-Herausgeber Ulrich Schlüer oder vom Berner Samuel Schmid.SVP-Präsident Maurer unterschrieb Gussets Motion zwar nicht, stimmte ihr jedochAnfang März 1999 in der namentlichen Abstimmung im Nationalrat zu, nachdem derSVP-Fraktionssprecher die Motion zur Annahme empfohlen hatte.

Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus ihrerseits geriet in dieSVP-Kritik, weil sie – nach der Zweitveröffentlichung von Christoph Blochers Lob fürden Holocaust-Leugner Jürgen Graf – die SVP klar und unmissverständlich an ihrepolitische Verantwortung erinnert hatte: «Auch eine nationalkonservative Politik mussso vertreten werden, dass keine Alt- und Neonazis sowie Holocaust-Leugner imKielwasser mitschwimmen können.» Blocher kündigte umgehend parlamentarischeInterventionen gegen die Kommission an. Christoph Mörgeli, neu gewählterSVP-Nationalrat und Blochers Büttel fürs Grobe, führte den Auftrag aus. In derBegründung seines Postulats zur Abschaffung der EKR, allenfalls der«Einschränkung» ihres Aufgabenbereiches, behauptet Mörgeli unter anderem, dieKommission sei eine «unschweizerische Quasizensurbehörde» und benütze ihreKontakte mit Amtsstellen der Kantone und Gemeinden, «vorab zuverfassungswidrigen, indirekten Zensurmassnahmen». Er übernimmt damit das vonAltfaschisten wie Gaston-Armand Amaudruz und von SVP-Antisemiten wie EmilRahm propagierte Zerrbild der Rassismus-Strafnorm als «Maulkorb».

Die SVP ist aus all diesen Gründen in den politischen Auseinandersetzungen um dieAbwehr der rechtsextremistischen Gefahr kein valabler politischer Partner. ImGegenteil. Das ist beileibe keine Neuigkeit, aber das Wissen blieb bis anhin ohnepolitische Konsequenz, obschon sie nahe liegend wäre. Peter Bodenmann hat sievergangene Woche in einer «metropol»-Kolumne so formuliert: «Die beste Medizin,damit Fremdenfeindlichkeit nicht überhand nimmt, sind neben einer gutenSozialpolitik der Ausschluss der Fremdenfeinde von der politischen Macht.»Hoffnung, dass diese Medizin wirklich eingesetzt wird, hat aber auch er wenig:«Vermutlich werden alle wieder brav zur Tagesordnung übergehen.»

Offensichtlich zur Tagesordnung übergehen wollte ja auch der freisinnige BundesratKaspar Villiger, nachdem er am 1. August auf dem Rütli von grölenden Skinheadsgestört worden war und diese ihm auch den Kühnengruss gezeigt hatten: «Ich kennediese Leute nicht, ich weiss nicht, was sie politisch wollen. Der Hintergrund würdemich sogar interessieren.» So, so, Herr Bundesrat! Keine Partei hat in der Folge denunverzüglichen Rücktritt Villigers gefordert, wie es sich eigentlich gehört hätte für einesolch ignorante Wahrnehmung gesellschaftlicher Entwicklungen. Aber eben, wedereine Partei noch die Gesellschaft insgesamt haben sich in den vergangenenJahrzehnten kontinuierlich und kompetent mit den rechtsextremistischenStrömungen auseinander gesetzt, wie marginal sie auch immer sein mögen. DieSchweizer Regierungsparteien büssen diesen Herbst also für ihre Untätigkeitgegenüber dem Anwachsen der rechtsextremistischen Subkultur – einerEntwicklung, die sich seit mehreren Jahren beobachten lässt. Selbst imStaatsschutzbericht 1999 hätten die ParlamentarierInnen nachlesen können, dassdie rechtsextremistische Szene «einen klaren Trend zur Vergrösserung und auchweiteren Aktivierung» erkennen lasse.

Wie weit die Rechtsextremisten Aufwind verspüren, belegt der Vorstoss von RogerWüthrich, Präsident der Avalon-Gemeinschaft, eines rechtsextremen Debattierclubs,bei deren Veranstaltungen sich einstige Kämpfer der Waffen-SS, Holocaust-Leugnerund Naziskins zu Vorträgen und Diskussionen treffen. Wüthrich meint, dieRechtsextremisten politikfähig machen zu können: In einem für die Öffentlichkeitbestimmten «Strategiepapier» bietet er den Gewaltverzicht der Naziskin-szene an imAustausch gegen die behördliche Zusicherung, Rechtsextrementreffen und denVertrieb rassistischer Propaganda nicht mehr zu verfolgen. Wüthrichs Vorstoss istzwar zweifellos eine politische Totgeburt, aber er dokumentiert das gestiegenepolitische Selbstvertrauen einer Szene, deren Exponenten bis anhin Medienauftrittescheuten.


Region Bern: Die Skinhead-Szene lässt sich nieder, wo sie geduldet wird FeineGlatzen im „Red Rock“

Seit einem Jahr sorgen Skin- heads in der Berner VorortgemeindeMünchenbuchsee für Unruhe. Einige von ihnen sind seit dem Überfall auf ein Festim luzernischen Hochdorf 1995 bekannt.

Johannes Wartenweiler

Münchenbuchsee vor den Toren Berns ist ein typisches Agglomerationsdorf. An derHauptstrasse liegen verschiedene Beizen, auch das «Red Rock» gehört dazu.«Feine Glacen» werden auf einer Tafel vor dem Lokal angeboten. Doch dasNeon-Café mit der Hardrock-Musik ist im Dorf vor allem für eine andere Spezialitätbekannt: für Glatzen. Das «Red Rock» ist seit einiger Zeit der Treffpunkt derregionalen Skinszene.

An diesem Abend ist es ruhig. Doch wenn die Skins im Dorf sind, kann esungemütlich werden in Münchenbuchsee. Zielscheibe ihrer gewalttätigen Aktionensind Jugendliche, die von ihnen als links eingestuft werden. Nächstens wollen dieseJugendlichen eine Infobroschüre über die rechtsextremen Aktivitäten undGewalttätigkeiten veröffentlichen. Der WoZ liegt das Papier vor. Hier eine Auswahlaus der Chronologie der Übergriffe:

«11. Januar 2000: Auf dem Heimweg stösst ein Jugendlicher auf zwanzigRechtsextreme, welche ihn mit dem Auto verfolgen.»

«28. Januar 2000: Beim Passieren des ‚Red Rock‘ werden drei Jugendliche (…)ohne Vorwarnung von zehn Rechtsextremen angegriffen und bis vor die Haustüreverfolgt.»

«17. März 2000: Jugendliche erhalten vor dem Coop-EinkaufszentrumMorddrohungen. Am gleichen Abend um 23 Uhr schreien etwa 30 Rechtsextreme vordem ‚Red Rock‘ Naziparolen und verleugnen Auschwitz.»

«20. Mai 2000. Diverse Jugendliche aus Münchenbuchsee sind beim ‚Uedeli‘ amBräteln. Ohne ersichtlichen Grund werden sie von zwei bekanntenRechtsextremisten bedroht und verprügelt.»

«26. Mai 2000: Auswärtige Skins werden im ‚Red Rock‘ gesehen. M. B. und seineKollegen ziehen durch das Dorf. Ein Jugendlicher wird mit einem Lederriemenniedergeschlagen.»

«17. Juni 2000: Etwa 50 Skinheads sind am alljährlichen Buchsimärit (jährlicheVeranstaltung des lokalen Gewerbes, die Red.) anwesend. Sie erheben des Öfterenihre Hand zum Hitlergruss. Als sich am Abend ein ‚Linker‘ vor dem «Red Rock»aufhält, wird er von einer grösseren Gruppe Naziskins verfolgt. Daraufhin kommt eszu Pöbeleien und Handgreiflichkeiten.»

Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren ziehen es vor, zuhause zu bleiben oder ihreFreizeit auswärts zu verbringen. Die Gemeindeparlamentarierin Patrizia Vökt von derGrünenFreienListe (GFL) hat sich mehrmals für die betroffenen Jugendlichen in derÖffentlichkeit eingesetzt. «Die Situation ist höchst bedenklich», sagt sie. «DieBehörden spielen das Problem herunter. Sie beteuern zwar, dass sie dierechtsextreme Gefahr ernst nehmen, aber ich spüre nichts von dieserErnsthaftigkeit.» Verbreitet ist der Vorwurf, dass die Gemeinde die rechte Gewaltgegen andere Problemen aufrechnet, etwa den Vandalismus – und so Birnen mitÄpfeln vergleicht.

Bekannte und unbekannte Figuren
Sorgen machen sich die Gemeindebehörden allerdings schon. Im März erklärte derGemeindepräsident gegenüber dem «Bund», es sei «verrückt», dassMünchenbuchsee zu einem Treffpunkt für «Rechte» aus der ganzen Regiongeworden sei.

Daniel Wetli, stellvertretender Postenchef der Kantonspolizei, beruhigt und hält fest,dass in den letzten zweieinhalb Monaten nichts mehr geschehen sei. «Die Lage istabsolut ruhig.» Gewalttätige Vorfälle kann er nur teilweise bestätigen. «Uns sindnicht alle Vorfälle bekannt. Um tätig zu werden, sind wir auf Anzeigen angewiesen.»Die betroffenen Jugendlichen zögen es aber oft vor, darauf zu verzichten. «Es ist füruns deshalb schwierig, zwischen all den kursierenden Geschichten und Gerüchtendie Wahrheit herauszufinden.»

Wetli ist überzeugt, dass die einheimischen Jugendlichen von links und von rechtsdurchaus miteinander auskommen könnten. «Sie sind ja zusammen in die Schulegegangen.» Probleme tauchten dann auf, wenn Auswärtige dazustossen, sagt er.

Als Gruppe tauchten rechtsradikale Skinheads in Münchenbuchsee erstmals beimBuchsimärit 1999 auf. Auch die Kantonspolizei war zur Stelle. Sie verzichtete auf einePersonenkontrolle, weil die Personalien der Polizei bereits bekannt gewesen seien,erklärte ein Polizeisprecher. Doch woher kamen sie? Die GFL-Abgeordnete Vöktsagt: «Ein Teil der Rechtsextremen muss klar der einheimischen Szene zugeordnetwerden.» Andere stammen aus den umliegenden Gemeinden und haben teilweisein der rechten Skinszene bereits «Karrieren» hinter sich.

Zum Beispiel Adrian Segessenmann, 21-jähriger Metzger aus dem benachbartenMoosseedorf. Der «Sonntags-Blick» bezeichnet ihn als Kopf der BernerSkinheadszene. Er war bereits beim Überfall in Hochdorf 1995 beteiligt und wurde1999 in Luterbach/SO mit Nazi-Devotionalien im Kofferraum seines Fahrzeugserwischt. Im Februar 2000 wurde sein Auto vor einem Lokal in Winterthur gesichtet,in dem der Holocaustleugner Bernhard Schaub einen Vortrag hielt. Er war am 1.August auf dem Rütli und gilt als Kopf der Nationalen Offensive Ittigen (NO).

Oder: Daniel von Allmen. Er kommt aus Ittigen und war beim Überfall in Hochdorfdabei. Er ist einer der beiden im Zusammenhang mit dem Überfall im «Uedeli»angezeigten Skinheads. Auch er wurde auf dem Rütli gesichtet.

Auch M. B., D. S. und M. R. werden regelmässig gesichtet. Die beiden ersten geltenals Lokalgrössen. B. ist Metzger. Dem ehemaligen Boxer wurde nach einerSchlägerei die Boxlizenz entzogen. Nach einem Angriff auf einen Polizisten wanderteer einige Zeit ins Gefängnis.

Oder S. V. Er gilt als Haupttäter des Anschlags auf dieSolterpolter-Wohngemeinschaft im Juli dieses Jahres. Über 100 Schuss feuerten erund ein unbekannter Mittäter damals auf dieses von Skins bereits mehrmalsangegriffene Haus im Stadtberner Marzili-Quartier.

V. sei ein «Cliché-Skinhead aus dem harten Ittigen-Kern», schreibt dieReithalle-Zeitung «Megafon» in ihrer Augustausgabe. Er hat Verbindungen nachMünchenbuchsee, wo er eine Lehre als Velomechaniker absolviert.

Auch die Spur der beiden von der Berner Polizei im Mai festgenommenenrechtsextremen Bombenbastler P. Z. und M. R. führt nach Münchenbuchsee. Bei ihrerEinvernahme gestanden sie, in einer nahe gelegenen Kiesgrube eineVersuchssprengung durchgeführt zu haben. P. Z. wohnt in Moosseedorf und sollgemäss «Sonntags-Blick» Kontakt zu Segessenmann gehabt haben.

Unklar ist die Rolle von Roger Wüthrich. Der im benachbarten Worblaufen wohnhafteGründer der Avalon-Gemeinschaft – eines rechtsextremen Debattierzirkels – ist zwardeutlich älter als alle erwähnten Skinheads. Aber Beobachter gehen davon aus,dass er mit den jüngeren Kameraden in Kontakt steht.

Spur durch die Agglomeration
Die Skinszene ist in den letzten Jahren durch die Vororte von Bern gezogen. 1995hielt sie sich in Ittigen auf und sorgte für Zoff in der Neubausiedlung Kappelisacker.Dann verlagerten die Skins ihren Treffpunkt zum Bahnhof Worblaufen, von wo einigevon ihnen im Sommer 1998 zum Angriff auf eine von linken Jugendlichen besetzteStrickfabrik in Zollikofen aufbrachen. Etwa zur gleichen Zeit tauchten Skins inHindelbank und Kirchberg auf. Sie versuchten sich unter anderem in einer Bar beider Autobahnausfahrt Kirchberg niederzulassen. Der Versuch misslang, weil derBetreiber das Tragen von Bomberjacken und Springerstiefeln verbot.

In Burgdorf erschienen einige Skins diesen Sommer anlässlich des«Solätte-Festes» und veranstalteten einen spukartigen kurzen Tumult. SechsWochen später zeigte die Kantonspolizei deswegen zwölf von ihnen wegenLandfriedensbruch an.

Auch in der Stadt Bern treten Skinheads vermehrt auf, vor allem im Bahnhof nachFussball- und Eishockey-Spielen. Seit 1998/99 registriert die Stadtpolizei einegefestigte rechtsextreme Szene. Ihre grösseren Auftritte enden aber meistens imFiasko. So wurden von den 250 Skins, die im Januar 2000 den «antifaschistischenAbendspaziergang» linker und autonomer Gruppen stören wollten, 102 von derStadtpolizei festgenommen.

Nicht nur mit Aktionen machen Skins in der Region Bern von sich reden. Sie könnenauch auf eine bereits seit einiger Zeit existierende Struktur zurückgreifen: EineNeofaschistische Front (NFF) lud im April 1994 zur zweiten Berner Glatzenparty ein,die in eine wilde Strassenschlacht mit Antifa-Leuten mündete. 1996 stellte dieBundespolizei eine im Raum Bern tätige «Organisation Bern» mit Postfach inMoosseedorf fest. Diese wurde 1997 ohne grössere personelle Änderung, so dieBupo, in «Nationale Offensive Ittigen» (NO) umbenannt. Der Organisation gehörenetwa zwanzig Personen an, Kontakte bestehen zu den Hammerskins. Als Anführerwird Segessenmann vermutet. Auch die beiden im Mai festgenommenenBombenbastler P. Z. und M. R. werden der NO zugerechnet.

Erfolgte der nächste Organisationsschritt in Münchenbuchsee? Am 15. April wurde ineiner Hütte im Bärisriedwald eine Versammlung von 50 bis 150 Skinheadsbeobachtet. Zeitgleich wurde die Gründung der NPS (Nationale Partei der Schweiz)bekannt. Ist das reiner Zufall oder bestehen Verbindungen zwischen den beidenEreignissen? Zwar verkündete die NPS am 1. Mai schon wieder ihreSelbstauflösung. Inzwischen ist dieser Schritt aber wieder rückgängig gemachtworden. Wer hinter dieser Organisation steckt, ist zurzeit nicht bekannt.

Rechte Szenen wie in der Region Bern gibt es auch in anderen Landesteilen.Münchenbuchsee ist eher zufällig zum Fixpunkt der Berner Skinszene geworden.Diese lässt sich einfach da nieder, wo sie geduldet wird. Eine Handhabe, um sieaus dem Dorf zu vertreiben, haben die Behörden nicht. Deshalb würden sie dieSache am liebsten aussitzen und totschweigen.


Nach der Schlägerei Wie im UrwaldDie jüngsten Vorfälle in St. Gallen werfen die Frage auf: Wird die Ostschweiz zumTummelfeld gewaltbereiter Skinheads?

Von Ralph Hug

Es war Samstag um 23 Uhr, als das Natel von Marcel Kolongo klingelte: Zoff in St.Gallen. Als der Präsident des afrikanischen Vereins in den «African Club» in St.Gallen eilte, in dem sich seit drei Jahren die schwarze Community der Ostschweiztrifft, war die Randale bereits im Gang. Fünf Skins, so wurde später berichtet, hättenin einem Gässchen unweit des Klubs zwei Afrikaner überfallen. Innert Minutenrückten auf beiden Seiten mehrere Dutzend Unterstützer an, die per Handy alarmiertworden waren. Eine drohende Massenschlägerei von rund 80 Personen wurdedurch die ebenfalls anrückende Polizei in letzter Sekunde abgewendet.

Man muss von einer gezielten Provokation ausgehen. Denn laut Augenzeugen hattensich schon am früheren Abend in der «Old Fashion Bar» im Linsebühl zahlreicheGlatzen aus Zürich, Bern und dem Thurgau versammelt. Die Polizei wusste vonnichts, obwohl das Lokal schon seit Jahren als Skintreff bekannt ist. Was in derLokalpresse als «Schlägerei zwischen Skinheads und Schwarzen» bezeichnetwurde, war in Tat und Wahrheit eher ein Überfall gewaltbereiter Neonazis («WhitePower») auf Dunkelhäutige. Weil sich diese zur Wehr setzten, wäre die Sache fasteskaliert. Zwei Afrikaner mussten mit Verletzungen ins Spital gebracht werden.

Die Spekulationen gehen dahin, dass zahlreiche Rechtsradikale direkt vomvorarlbergischen Koblach nach St. Gallen kamen. Dort hatte im Lokal «Route 66» einKonzert mit rund 200 Skins stattgefunden, und am Nachmittag hatten diese auchnoch eine Demo in Bregenz veranstaltet. Bei der Konfrontation in St. Gallen warHammerskin-Anführer Pascal Lobsiger dabei, bekräftigt Marcel Kolongo: «Wir habenihn erkannt.» Die Stimmung sei höchst explosiv gewesen, berichten Beteiligte. Einesolch hassgeladene Atmosphäre hätten sie noch nie erlebt.

Laut Stadtpolizeichef Pius Valier wurden 36 Skins zur Kontrolle auf den Postenmitgenommen. Beobachter sagen jedoch, dass sie schon zehn Minuten späterwieder frei herumgelaufen seien. Was Marcel Kolongo nicht überrascht: Für vieleAfrikaner stehe die Polizei auf der anderen Seite, weiss er. Schwarze würdenzunächst einmal als Dealer verdächtigt. Wer sich gegen Diskriminierung wehrt,bekomme von Beamten zu hören: «Wenn es euch nicht passt, dann geht nach Afrikazurück!» Ein Müsterchen rassistischer Wahrnehmung lieferte der Stapo-Einsatzleitergleich selbst: Es habe «wie im Urwald getönt», referierte er die Ereignisse amSamstag vor der Presse. Letztmals hatte 1997 ein Aufmarsch einer grösserenGruppe bewaffneter Rechtsextremer in St. Gallen für Aufsehen gesorgt. Nach einerGegendemo der Betroffenen und der linken Szene war es in der Folge ruhig. Doches gab immer wieder nächtliche Übergriffe auf Punks. «Wir nehmen die Situationsehr ernst», sagt Polizeivorstand Hubert Schlegel. Dasselbe bekräftigten auch diePolizeikommandanten der Bodensee-Anliegerstaaten, die gemeinsam gegen denRechtsextremismus vorgehen wollen. Allen Beteuerungen zum Trotz scheint sich dieOstschweiz zu einer Skinhochburg zu entwickeln.

In Mels setzte sich um den Maienfelder Neonazi Robert Walser eine Skinszene fest,die jüngsten Mitläufer sind erst 12 Jahre alt. Und im st.-gallischen Andwil logierteeine Woche lang eine internationale Skingruppe in einer Jugendherberge undverlustierte sich bei Ausflügen, unter anderem in einen Rheintaler Schiesskeller.Während die Thurgauer Polizei mittlerweile Saalvermieter warnt, ist von aktivenInterventionen gegen Rechtsextreme im St.-Gallischen wenig zu spüren, obwohl dieeinschlägigen Namen alle registriert sein sollen.

Dagegen regt sich nun aber ziviler Widerstand. Am Dienstag demonstrierten in St.Gallen 1500 Personen, die teilweise aus anderen Regionen des Kantons angereistwaren, gegen den Rechtsextremismus und für Toleranz. Die Botschaft war klar -keine Chance für rechtsextreme Gewalt -, und sie wurde vorgetragen von MarcelKolongo, vom Stadtammann Heinz Christen sowie von RednerInnen von SP, CVP,FDP und den Grünen. Hellsichtig sagte die erst am Sonntag neu gewählteJuso-Gemeinderätin Manuela Lutz: «Das Ende dieser Demo darf nicht das Ende derBemühungen sein.»