«Rocktoberfest» als Solidaritätsanlass für Thüringer Schlägernazis

21. Oktober 2016. Das «Rocktoberfest» in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober 2016 lockte über 5‘000 Neonazis in die Schweiz. Das Konzert im Toggenburg hat auf erschreckende Art und Weise unter Beweis gestellt, dass Rechtsradikale über gut vernetzte Strukturen verfügen, welche untereinander bestens koordiniert sind und grenzüberschreitend funktionieren. Im Vergleich selbst zu den grössten bekannten Rechtsrockkonzerten der letzten Jahre, hatte die Dimension des Konzerts vergangene Woche auch Szenekenner_innen überrascht.

Die Strukturen, Verbindungen und Kontakte, um einen solchen Event durchführen zu können, entstehen jedoch nicht über Nacht, sondern sind das Ergebnis jahrelanger enger Zusammenarbeit. Deshalb kann das «Rocktoberfest» nicht isoliert als einzelner Anlass betrachtet, sondern muss in einen grösseren Kontext gestellt werden. Die folgenden Ausführungen beleuchten insbesondere die Verbindungen zwischen der rechten Szene in Thüringen und der Schweiz, welche massgeblich für das Gelingen des Konzertes waren.

Erste Hinweise in Richtung Thüringen

Auf dem Flyer, welcher über Monate in sozialen Medien kursierte, fand sich als Hinweis auf die Organisator_innen des «Rocktoberfestes» zu Beginn einzig das Logo des Zeughaus-Versandes. Dabei handelt es sich um einen rechten Onlineversand aus Deutschland, der vorwiegend Nachpressungen von vergriffenen Rechtsrock-CDs in Vinyl anbietet und unter anderem auch CDs der am 15. Oktober 2016 aufgetretenen Bands vertreibt. Um an ein Ticket zu kommen, mussten interessierte Konzertbesucher_innen eine Mail an die Adresse live.im.reich@mail.de schicken, wonach ihnen die Daten für ein deutsches Konto zugeschickt wurden, auf welches sie dann im Voraus das Geld für die Eintrittskarten überweisen mussten. Unterzeichnet war diese Mail von einer Gruppe, die sich «Reichsmusikkammer» nennt. Gegenüber der Nachrichtensendung 10vor10 gab diese an, ein Komitee von Bands aus ganz Europa zu sein, deren Auftritte in europäischen Ländern untersagt oder erschwert würden. Gemäss den Recherchen des Blogs thüringenrechtsaussen läuft das deutsche Konto, über welches die Gelder flossen, auf den Thüringer Neonazi David Heinlein und wurde bereits für das «Rock gegen Überfremdung» im August 2016 in Kirchheim (Thüringen) genutzt. Ebenfalls aus Thüringen stammt Mario Kelch, der – unter Anderen – in den Tagen vor dem Event die Nummer des Infotelefons verbreitete, welches die Besucher_innen zum Konzertort lotsen sollte.

Kelch ist Mitglied der B&H-nahen Band Sonderkommando Dirlewanger (SKD) und aktiver Unterstützer der Angeklagten im sogenannten «Ballstädt-Prozess».

Der «Ballstädt-Prozess»

Gegenstand des «Ballstädt-Prozesses» bildet der organisierte Überfall auf eine geschlossene Kirmesgesellschaft in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 2014. Rund 20 Vermummte waren damals in Ballstädt (Thüringen) in den Gemeindesaal eingedrungen und verletzten zehn Personen teils schwer. Seit Dezember 2015 läuft der Prozess gegen 15 angeklagte Neonazis, 14 Männer und eine Frau, am Landgericht Erfurt.

Bereits kurz nach der Inhaftierung der ersten Tatverdächtigen wurde ein Spendenkonto eröffnet. Es sollte Geld für die anfallenden Verteidigungskosten sowie für das «Gelbe Haus» in Ballstädt gesammelt werden. Das «Gelbe Haus» ist eine ehemalige Bäckerei, die seit 2013 von Neonazis als Wohn- und Veranstaltungsort genutzt wird .

Prominenter Bewohner des Hauses und Hauptangeklagter im «Ballstädt-Prozess» ist Thomas Wagner. Er ist 41-jährig, spielte in verschiedenen rechtsextremen Bands, war unter anderem Sänger von SKD und betreibt den Onlineversand «Frontschwein Records». Auch Steffen Richter verkehrt im «Gelben Haus». Er gilt als enger Vertrauter von und Koordinator der Unterstützungsaktionen für Ralf Wohlleben, Angeklagter im NSU-Prozess. Zudem wurde das erwähnte Konzert in Kirchheim von Steffen Richter angemeldet; gleichzeitig fungiert er im Zusammenhang mit dem «Rocktoberfest» als Betreuungsperson für die Mailadresse der «Reichsmusikkammer».

Einzelne Verbindungen ergeben letztlich ein Ganzes

Das Konzert in Unterwasser reiht sich in eine Serie von Solidaritätsanlässen ein, welche von den Angeklagten im «Ballstädt-Prozess» und ihrem Umfeld organisiert wurden – auch mit Beteiligung aus der Schweiz. So trat beispielsweise Amok, die wohl bekannteste Schweizer Rechtsrockband, am «Rocktoberfest» als einzige nicht-deutsche Band auf. Der Mitbegründer und Sänger der Band, Kevin Gutmann, wohnt wie der Thüringer Neonazi Matthias (Matze) Melchner, in Rüti ZH. Weiter war nachträglich bekannt geworden, dass Letzterer die Tennis- und Eventhalle in Unterwasser angemietet hatte. Melchner arbeitet im Tattoostudio Barbarossa (siehe «Blood & Honour geht unter die Haut», LS Ausgabe #23), unterhält gute Kontakte in die deutsche Neonaziszene und hatte sich schon vor dem «Rocktoberfest» mit der Produktion von Solishirts, welche über das Tattoostudio verkauft wurden, an der Ballstädter Unterstützer_innenstruktur beteiligt. Die enge Verbindung, die Melchner nach wie vor zur Thüringer Szene pflegt, hatte sich auch schon im Herbst 2015 gezeigt. Damals hatte Barbarossa Tattoo quasi einen «Betriebsausflug» nach Thüringen unternommen und wer sich dort von den Besucher_innen aus der Schweiz tätowieren lassen wollte, musste mit dem obengenannten Steffen Richter einen Termin vereinbaren. Weiter ist Melchner als Domaininhaber des von Thomas Wagner betriebenen Onlineversandes frontschwein-records eingetragen. Vor einigen Jahren hatte sich auch Steffen Richter noch an diesem Versand beteiligt.

Internationale Zusammenarbeit

Die Verbindungen zwischen der Schweizer und der Thüringer extremen Rechten beschränken sich jedoch weder auf den individuellen Kontakt mit Melchner noch auf das «Rocktoberfest». B&H Schweiz nimmt in der internationalen Vernetzung einen aktiven Part ein: So forderten sie nach internen Querelen im Herbst 2012 gemeinsame Treffen und verstärkte Aktivitäten der Gruppierung in ganz Europa sowie eine engere Vernetzung mit ihrem militant-terroristischen «Flügel» Combat 18 (C18). Das erste dieser Vernetzungstreffen fand 2013 in der Schweiz statt; wonach auch in ganz Europa zunehmend Aktivitäten unter dem gemeinsamen Label B&H/C18 stattfanden.

Ebenfalls 2013 erschien auch die erste CD der Band «Erschiessungskommando», einem Gemeinschaftsprojekt von Mitgliedern von Amok und SKD, die beide als B&H-Bands gelten. Das neueste Album mit dem Titel «Blut und Ehre» wurde am 16. Oktober 2016 – nur ein Tag nach dem Event in Unterwasser – veröffentlicht und beinhaltet Lieder wie «Hail C18» oder «Ist uns doch egal, ob der N[…] verreckt».

In den letzten Jahren waren Thüringer Neonazis auch mehrere Male im Zürcher Oberland zu Besuch. Einige von ihnen zogen gar für gewisse Zeit in die Schweiz. Unter ihnen Marcus Russwurm, seines Zeichens Model für die Neonazi-Kleidermarke Ansgar Aryan und ebenfalls Mitangeklagter im Ballstädt-Prozess. Er wohnte während längerer Zeit gemeinsam mit Alexander Gorges und Erika Pavano in einer Neonazi-WG in Wallisellen (ZH). Pavano betrachtet sich selber als «Szenemutti», ist Mitglied der Odioxie Streetfighting Crew und dient oft als Vermittlerin für Rechtsrockbands in ganz Europa. Der dritte im Bunde, Alexander Gorges, hat unter anderem bei der, dem C18-Umfeld zuzurechnenden, Band Oidoxie, wie auch bei Amok gespielt und war 2015 in einen Waffendeal mit dem Kasseler Neonazi Michel Friedrich verwickelt.

Das «Rocktoberfest» – ein profitables Ergebnis

Insgesamt offenbarte sich im Toggenburg das Ergebnis dieser verstärkten internationalen Zusammenarbeit. Unter Berücksichtigung der vergleichsweise kleinen Grösse der bisher in der Schweiz organisierten Konzerte, ist nicht anzunehmen, dass die Schweizer B&H-Strukturen eine Veranstaltung wie das «Rocktoberfest» ohne tatkräftige Unterstützung aus dem Ausland hätten durchführen können. Dies zeigt bereits die Tatsache, dass nicht nur Besucher_innen und Bands, sondern auch Helfer_innen aus dem Ausland angereist waren.

Im Zusammenhang mit der Finanzierung der Prozesskosten – und wahrscheinlich der Unterhaltskosten für das «Gelbe Haus» – war das «Rocktoberfest» mit Abstand der grösste Unterstützungsanlass. Ausgehend von den Eintritts- und Getränkepreisen kann gut und gerne von einem Gewinn von über 100’000 Franken ausgegangen werden. Nicht zuletzt in diesem wahrscheinlich enormen finanziellen Profit liegt eine zentrale Bedeutung solcher Anlässe für rechtsextreme Kreise. Zur Erinnerung: Auch im Falle des 2011 aufgeflogenen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) waren dessen Mitglieder unter anderem mit Einnahmen solcher Konzerte unterstützt worden.

Bald steht ein nächster Grossanlass der Neonazis an. Am 19. November 2016 soll in Mailand (It) ein gemeinsames Konzert von B&H und den Hammerskins stattfinden. Wie der Flyer hervorhebt, spannen die – historisch verfeindeten – internationalen Netzwerke öffentlich zusammen und es ist entsprechend mit einem grossen Andrang zu rechnen.