Remo, der Hooligan vom Paradeplatz

TagesAnzeiger

Von Montag bis Freitag führt er ein bürgerliches Leben. Am Wochenende kultiviert er eine Aussenseiter-Existenz. Der 26-jährige Remo* ist ein Hooligan der GC-«Hardturmfront».

Von Dario Venutti

Seine grosse Sehnsucht ist die Gefahr. Seine grösste Leidenschaft nennt er «Vollkontakt»: der Kampf Mann gegen Mann, Horde gegen Horde. Remo ist ein Hooligan, ein Gewalttäter, und doch lebt er mitten in der Gesellschaft. Seine stärkste Waffe ist die Tarnung: Er ist ein Durchschnittsbürger.

Remo trägt Anzug und Krawatte. Am Paradeplatz in Zürich ragt er allenfalls wegen seiner Grösse aus der Menge der Finanzdienstleister heraus. Er arbeitet in einer Bank, spielt Golf. In seinem kantigen und gleichzeitig weichen Gesicht finden sich keine Spuren, die darauf hinweisen würden, dass Remo bereits seit zehn Jahren bei der GC-«Hardturmfront» dabei ist. Als Eishockeyspieler fällt es ihm leicht, den Arbeitskollegen und den Eltern ein blaues Auge zu erklären, das er manchmal davonträgt, wenn es am Wochenende zu einer «Aktion» kam. Das ist die Bezeichnung für eine Prügelei mit gegnerischen Hooligans. Einmal hatte er sich das Handgelenk gebrochen, das war bisher die schwerste Verletzung. Seine glatte Haut verrät den Gebrauch von Gesichtscrème.

Über seine zweite Identität spricht Remo in einer nüchternen und distanzierten Art, als würde er sich wissenschaftlich mit Hooliganismus beschäftigen. In der Lehre hielt er einen Vortrag über das Thema – und bekam die Note 6.

Eiskalter Rücken

Vor einer «Aktion» bringt sich Remo zu Hause mit Musik der deutschen Band «Ramstein» in Kampfstimmung. Das ist eine düstere Variante des Mainstream-Rock mit viel Gewalt und Tod. «Dann treffen wir uns und wärmen uns auf: mit Dehnübungen und Schattenboxen. Manche streichen Vaseline über die Augenbrauen. Ich bandagiere meine Hände ein, ziehe Zahnschutz, Genitalienschutz und Handschuhe an. Ein paar Ohrfeigen machen dich wach: Wenn du nämlich im Kopf bereit bist, greifst du auch einen 2-Meter-Mann an. Wir formieren uns, laufen los, klatschen rhythmisch. Immer schneller. Dann läuft es dir eiskalt den Rücken hinunter.»

«Hooligans sind Adrenalinjunkies», sagt der Psychotherapeut Dieter Bongers, der als Leiter der «Anlauf- und Beratungsstelle Rechtsextremismus» der beiden Basel Skinheads beim Ausstieg hilft. Bongers sieht in beiden Szenen ein grosses Suchtpotenzial: Im Angesicht der Gefahr gerieten Hooligans in einen Rausch, der sie befähige, den Kampf aufzunehmen. Das rufe ein Gefühl grosser Befriedigung hervor. Remo sagt, er sei von den «Adrenalinkicks» abhängig geworden. Als wollte er Hooliganismus als Extremsport rechtfertigen, fügt er hinzu: «Andere holen sich den Kick beim Bungee Jumping.»

In der ersten Reihe marschieren die stärksten Kämpfer. Remo läuft in der dritten mit. Er sei ein Stratege und Taktiker. Oft bricht er aus der eigenen Formation aus, um den Gegner seitlich anzugreifen und so eine Schneise in dessen Einheit zu schlagen. «Wir rennen mit Gebrüll aufeinander los und schlagen wild zu. Meistens dauern die Aktionen wenige Sekunden. Erst wenn alle zu Boden gegangen sind, haben wir gewonnen. Manchmal gibt es nach einer kurzen Pause einen zweiten Kampf, wenn der Gegner mag.»

Hooligan-Gruppen seien mit Bruderschaften zu vergleichen, sagt der Therapeut Bongers. Als Mitglied müsse man bereit sein, sich für die Ehre der Brüder in Gefahr zu begeben, und willens sein, Schmerzen hinzunehmen und solche zuzufügen. Der Akt des Zuschlagens verschleiere die Unsicherheit des Mannes als Individuum. Dafür vermittelten ihm die Brüder Anerkennung und Identität.

Remo stiess über den ehemaligen Freund seiner Schwester und nach der Lektüre des Buches «Geil auf Gewalt» zur «Hardturmfront». Darin beschreibt der frühere Literaturchef des «New Yorker», Bill Buford, welchen Reiz das Wechselspiel zwischen Gefahr und Gewalt auf junge Männer ausübe, nachdem er sechs Jahre unter englischen Hooligans verbracht hatte: «Diese Jungen würden am liebsten in den Krieg ziehen.»

Auch Türken und Albaner

Trotz dieser Radikalität wollen Hooligans wie Remo respektiert werden. Er stört sich zum einen daran, von den Medien als Randalierer bezeichnet zu werden. «Wir wissen uns zu benehmen: Wir trinken Alkohol in Massen, verursachen keine Sachbeschädigungen und lassen Unbeteiligte in Ruhe. Wer pöbelt, wird aussortiert.» Krawallmacher an Fussballspielen (siehe Kasten) verachtet er: «Das sind Weicheier. Die wollen Scharmützel mit der Polizei, werfen Steine, aber vor dem Vollkontakt rennen sie davon.» Zum andern seien Hooligans keine Rechtsextremen: «Bei uns laufen keine Skins mit, das war früher so. Die meisten sind gut integriert, haben einen Job, einige sind Familienväter. Ich stehe politisch rechts, bin aber kein Nazi. Bei uns kämpfen auch Türken und Albaner.»

Hooligans sehen sich als Elitefans. Für die Schals, Kappen, Gesänge und Choreografien der Ultra, den Stimmungsmachern in den Stadien, haben sie wenig übrig. Hooligans tragen einen Kurzhaarschnitt und teure Markenkleider von Lacoste, Stone Island oder Burberry. Und im Kampf gilt ein Ehrenkodex. Remo: «Der Gegner muss zahlenmässig etwa gleich stark sein, sonst gibt es keinen Start. Geht einer zu Boden, lasse ich ihn in Ruhe. Stiefeln, das Nachschlagen mit den Schuhen, ist verpönt. Auch Waffen oder Wurfgegenstände verstossen gegen die Regeln. Ein Hooligan kämpft mit blossen Händen und Füssen. Wenn einer wieder aufsteht, verdient er Respekt. Dann kann ich ihn nochmals niederstrecken. Ist der Kampf vorbei, reichen wir uns die Hände.»

Dass «Aktionen» nicht immer auf aristokratische Weise ablaufen, räumt Remo ein. «Den Baslern gegenüber sind wir misstrauisch. Manche von ihnen stiefeln. Deshalb treffen wir uns nicht gerne mit ihnen.» Und gelegentlich werden auch Ultra angegriffen: «Wenn gegnerische Fans vor unseren Sektor kommen, ist das für uns eine Kampfansage. Oder wenn sie vom Hauptbahnhof in den Hardturm marschieren und beispielsweise ?Hurra, hurra, die Berner, die sind da!? rufen. Zürich ist unser Territorium.»

Auge um Auge, Zahn um Zahn

Remo ist in letzter Zeit noch bürgerlicher geworden: Er hat jetzt eine feste Freundin, bildet sich in seinem Beruf weiter und hat eine Führungsposition in Aussicht. Deshalb sei er Ende März aus der Hooligan-Szene ausgestiegen.

Wie andern die Fussballmeisterschaft, ist ihm die Hooligan-Saison aber noch zu spannend. Seine Erzählungen machen deutlich, dass er wieder zuschlagen könnte: «Kürzlich war eine Aktion zwischen Luzern und Wil. In den Reihen der Luzerner waren mehrheitlich Basler. Sie schlugen drei Wiler spitalreif. Das wird Konsequenzen haben: Man holt sich nicht Basler als Unterstützung. Jeder weiss, dass sie in der Schweiz die Übermacht sind.»

Hooligans, Ultra, «Erlebnisorientierte»

«Mit Hooligans haben wir wenig Probleme», sagt Christoph Vögeli, Leiter der Schweizerischen Zentralstelle Hooliganismus in Zürich. Hooligans treffen sich in der Regel an via Internet oder Mobiltelefon vereinbarten Orten ausserhalb der Fussballstadien vor oder nach einem Match und prügeln sich untereinander. Oft werden diese Schlägereien von der Öffentlichkeit gar nicht bemerkt: Als die Zürcher Stadtpolizei im Dezember 2004 mehr als 400 Basler Fans, darunter Schüler und Familienväter mit ihren Kindern, am Bahnhof Altstetten einkesselte und Dutzende verhaftete, prügelten sich fast zeitgleich Zürcher und Basler Hooligans im Niederdorf.

Vögeli schätzt ihre Zahl auf 200 bis 300 in der Schweiz. Am grössten sind die «Bande Basel», die «Hardturmfront» (GC) und die «City Boys» (FC Zürich). Gegen Basler und Luganeser Hooligans (im Eishockey) vereinigen sich die beiden Zürcher Gruppierungen zu «Zurich United». Eine «Hooligan-Nationalmannschaft» im Rahmen von Länderspielen existiert nicht, weil die Rivalität zwischen Zürchern und Baslern unüberbrückbar ist. Hooligans prügeln sich nach festen Ritualen und Gesetzmässigkeiten, wenn sie sich auf Feldern und Wiesen, auch ausserhalb von Spieltagen, treffen (siehe Hauptbeitrag).

Zu Ausschreitungen in den Städten kommt es beim Aufeinandertreffen von Hooligans und «erlebnisorientierten Fans» wie am Montag nach dem Spiel Zürich – Basel. «Erlebnisorientierte Fans sind die grösste Problemgruppe», sagt Vögeli. Bei ihnen handle es sich häufig um junge Secondos und Leute aus der autonomen Szene. «Sie sind auf Fun und Action aus und unberechenbar.» Vögeli schätzt ihre Zahl auf 500 bis 800.

«Erlebnisorientierte Fans» mischen sich unter die Ultra, eine Bewegung gegen die Kommerzialisierung im Fussball und Stimmungsmacher in den Stadien mit Gesängen, Choreografien und bengalischen Fackeln. Ultra geraten wegen ihnen in Misskredit und werden oft fälschlicherweise als Hooligans und Randalierer bezeichnet. «Viele missbrauchen die Ultra-Idee», sagt Vögeli.