«Reichsbürger» gründen Ableger in der Schweiz

Tages-Anzeiger.

Sie rufen Gerichte aus, haben eine Affinität zu Waffen und glauben, der Staat sei eine Firma: Die Bewegung um den «Global Common Law Court» gewinnt auch in der Schweiz Zulauf.

Dann ist es so weit. Carl-Peter Hofmann betritt den Saal. Er kommt fast eine Stunde zu spät. Der Mittfünfziger ist schweissgebadet. Die achtstündige Autofahrt aus Deutschland ist ihm anzusehen. Draussen ist es dunkel geworden. Bald schlägt es neun Uhr. Ein Freitagabend im September, ein währschaftes Sääli. Getäferte Holzwände, getäferte Decke, ein knarrender Holzboden. Der Gasthof liegt zehn Minuten von Schwar­zenburg entfernt. Den genauen Ort haben die Organisatoren erst kurz zuvor mitgeteilt. Journalisten sind unerwünscht. Die Teilnahme ist deshalb nur unter falscher Identität möglich.*

Hofmann zögert nicht. 30 Zuhörer warten auf ihn, auf das, was er zu sagen hat. Sie sind von überall her gekommen. Aus Basel, Zürich, Solothurn, aus der ­Innerschweiz. Das Thema des heutigen Abends: der «Global Common Law Court», kurz GCLC, ein Fantasiegerichtshof, erfunden von ihm, Hofmann.

Er hat das «internationale Gericht» 2016 in Deutschland mit rund 20 Mitstreitern gegründet. Mittlerweile ist daraus eine Bewegung mit aktiven Gruppierungen in mehreren Ländern Europas entstanden, darunter Österreich und England. Auf den Philippinen steht die Gründung eines Gerichts laut Hofmann unmittelbar bevor. Auch in Süd- und Nordamerika soll es Ableger geben.

Die pädophilen Richter

Der GCLC steht exemplarisch für die Bewegung der sogenannten Reichsbürger. Diese Gruppierungen erkennen souveräne Staaten und ihre Institutionen nicht an. Viele glauben, der Staat sei eine Firma oder ein Verein. Nicht selten rufen Reichsbürger ihre eigenen Staaten oder wie im Fall Hofmann ihr eigenes Gericht aus. Manche haben eine Affinität zu Waffen, wie Fälle in Deutschland zeigen. In Bayern hat ein Reichsbürger im Oktober 2016 einen Polizisten erschossen.

Der Vortrag beginnt. Hofmann, gebürtiger Münchner, redet ohne Skript und ohne roten Faden. Er referiert darüber, wie er mit seinem Gericht künftig die Strafverfolgung «gegen die Verantwortlichen der Presse, der Bank, der Staatsanwältin und des Richters» aufnehmen will. Die Überzahl der Richter und Staatsanwälte sei pädophil. Das habe ihm die «Staatssicherheit» von Bielefeld bestätigt. «Richter sind keine ­Menschen.» Und er sagt: «Die englische Krone hat ein Weltreich geschaffen. Wenn wir aber zusammenarbeiten, besiegen wir es.»

Dann wird es technisch. Hofmann erläutert eigene Wortschöpfungen und Dokumente: «Lebenderklärung», «Bar-Vermutungen». Die Lebenderklärung zum Beispiel ist ein einseitiges Formular. Es soll beweisen, dass der Verfasser ein Mensch aus «Fleisch und Blut» ist. Zum Ausfüllen ist blaue Tinte zu verwenden. «Auf keinen Fall Schwarz, denn Schwarz steht für Tod.» Auf das Papier kommen ausserdem Blut, Speichel und Fingerabdrücke. Hernach muss man sich das Dokument selbst zuschicken, damit «die Bestätigung des Weltpostvereins gegeben ist». Die Sendung werde bei diesem Verein über eine Einschreibenummer «für 120 Jahre angelegt».

Hofmann stellt die siebenseitige Verfassung seines Gerichts vor. Sie enthält 39 Artikel. Artikel 2: «Jeder Mann und/oder jedes Weib, der/die eine öffentliche Position im Global-Common-Law-Court bekleiden, haben ihre Positionen und ihre Namen auf einer oder mehrerer der folgenden Veröffentlichungen gelistet: (. . .) Facebook, Youtube (. . .)»

Artikel 5: «Jede öffentliche Position kann nur durch Wahl erhalten werden. Für diejenigen, die Richter, Treuhänder, Sheriffs, Deputies, Bibliothekare und Sekretärinnen werden wollen oder sind, kommen zu dieser Position nur durch Wahlen aus der lokalen und grösseren Gemeinschaft der Mitglieder des Global-Common-Law-Court.»

Artikel 5a: «Alle für einen und einer für alle.»

Judenhasser und Esoteriker

Drei Wochen später. Gleicher Ort. Samstagnachmittag. Das erneute Zusammentreffen hat sich bereits in den ersten Tagen nach dem Auftritt Hofmanns abgezeichnet. In einem Whatsapp-Chat verständigten sich die Teilnehmenden darauf, auch in der Schweiz ein Gericht nach Hofmanns Gusto zu gründen. Wieder sind 30 Leute anwesend. Darunter gesellt sich wie schon beim ersten Mal ein bekanntes Berner Gesicht: Bruno Moser, der durch aussichtslose Kandidaturen für den Stände- und Regierungsrat in der Vergangenheit für Schlagzeilen sorgte.

Die Frauen sind in der Unterzahl, Männer in den Fünfzigern stellen die Mehrheit. Das zeigt auch eine Untersuchung aus dem deutschen Bundesland Brandenburg, wonach 80 Prozent der polizeibekannten Reichsbürger Männer sind und 20 Prozent Frauen. Das durchschnittliche Alter beträgt laut Bericht 50 Jahre, die meisten dieser Personen sind alleinstehend. Für die Schweiz gibt es dazu keine Untersuchungen. Das Phänomen ist bei den hiesigen Behörden praktisch unbekannt. Der Extremismusexperte Samuel Althof schätzt die Zahl der Reichsbürger in der Schweiz auf unter 100 Personen.

Im Sääli treffen sich die Extreme. Glatzköpfe in Bomberjacken gesellen sich zu Esoterikern mit Rossschwanz und Strickjacke. Ein Metallbauer, ein selbstständiger Swimmingpool-Verkäufer, ein Arbeitsloser, ein Ökonom. Die Mehrheit steht in irgendeiner Weise in Konflikt mit dem Gesetz. Das zeigen die Gespräche mit den Anwesenden.

Dazu vermischt sich Fremdenfeindlichkeit mit Judenhass. «Eine Flut Schwarzer wird von Afrika nach Europa gedrückt», sagt ein Teilnehmer in Sneakers, sportlichem Hemd und Jeans. «Das sind Leute mit einem sehr tiefen IQ.» Dahinter stecke die Jüdin Barbara Lerner Spectre. Der Beweis: ein Youtube-Video.

Reichsbürger-Chat

In der Whatsapp-Unterhaltung zirkulieren viele Videos. Von angeblich psychisch gestörten deutschen Spitzenpolitikern und der Islamisierung Europas. Jemand schreibt: «Bald sieht die Schweiz aus wie Burundi.» Wer sich im Chat zu Wort meldet, setzt einen Doppelpunkt an seinen Vor- und Nachnamen. Reichsbürger geben sich untereinander so zu erkennen.

Am Ende des Nachmittags wird klar: Die Zusammenkunft hat sechs Ableger des «Global Common Law Court» innerhalb der Schweiz hervorgebracht. In den Städten Bern, Basel, Zürich, Aargau, Biel, Solothurn. Als Nächstes soll in St. Gallen eine Gruppe gegründet werden. Eine Person zeichnet pro Region verantwortlich. Biel übernimmt Bruno Moser. Die Verantwortlichen werden Treffen und Aktionen organisieren.

Pläne dazu haben sie reichlich. Gerichtsverhandlungen sollen gestört, Richter verklagt und Staatsanwälte vorgeführt werden.

* Alle Personen, die namentlich oder nicht namentlich im Artikel zitiert oder erwähnt werden, erhielten die Möglichkeit zur Stellungnahme. Carl-Peter Hofmann hält fest, dass der «Global Common Law Court» eine «völkerrechtliche Körperschaft» und kein Fantasiegericht sei.