Absage der MEI-Demonstration verärgert die Stadt Bern

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«Sabotieren, blockieren, angreifen» solle man die Demonstration auf dem Berner Bundesplatz. Die gegen die Kundgebung vom 18. März geäusserten Drohungen, wie etwa auf der linksautonomen Website Revolutionär.ch, waren zum Teil massiv. Sogar auf einschlägigen deutschen Twitter-Accounts wurde zum Widerstand aufgerufen.

Nun geben die Organisatoren auf. Der SVP-nahe Verein Brennpunkt Schweiz gab gestern bekannt, die Kundgebung gegen die Umsetzung der sogenannten Masseneinwanderungsinitiative MEI abzusagen. «Der Schlauere gibt nach, der Esel bleibt stehen», sagte Nils Fiechter (SVP) vom Organisationskomitee an einer Pressekonferenz. Fiechter und sein Komitee haben Angst um die Sicherheit der Teilnehmer. Dies sei ein schwarzer Tag für die direkte Demokratie, führte Fiechter weiter aus.

Nause: «Sicherheit gewährleistet»

Die Stadt Bern wollte die Veranstaltung nicht absagen. «Die Sicherheit hätte gewährleistet werden können», sagt Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) auf Anfrage. Die Organisatoren trauten dieser Zusage nicht. «Hätte sich die Stadt überhaupt leisten können, die Kundgebung zu verbieten?», fragte Organisator Fiechter. Um gleich selber die Antwort zu geben. Nein, darum habe er Vernunft zeigen müssen. Auch die SVP zweifelte an den Beteuerungen Nauses: In den letzten Wochen habe sich abgezeichnet, dass die linke Stadtregierung nicht in der Lage sei, Recht und Ordnung durchzusetzen, heisst es in einer Medienmitteilung.

Dazu sagt Nause, das sei ein Affront gegen die Behörden. Die Stadt Bern und die Berner Kantonspolizei hätten gezeigt, dass sie in der Lage seien, Kundgebungen zu schützen. So etwa das «Familienfest» der SVP von 2011 auf dem Bundesplatz (siehe Text unten) oder den «Marsch fürs Läbe» christlich-konservativer Kreise von September 2016.

Auch verschiedene Politiker von links bis rechts mögen nicht glauben, dass die Kundgebung nur wegen Sicherheitsbedenken abgesagt wurde. Der Berner Stadtparlamentarier Thomas Berger (FDP) wirft den Organisatoren vor, so am meisten Aufmerksamkeit zu erhalten: «Ich wage die These, dass eine Absage immer das Ziel war», sagt er.

Neonazis wurden zur Hypothek

Ähnlich Juso-Präsidentin Tamara Funiciello. Sie kritisiert zwar die linksautonomen Gewaltaufrufe: «Dies ist sicher nicht die richtige Antwort auf eine solche Veranstaltung.» Doch das grössere Problem sei gewesen, dass rechtsextreme Gruppen an der Kundgebung teilnehmen wollten. «Das dürfte der Mutterpartei nicht gefallen haben», sagt Funiciello. Tatsächlich hatten sich SVP-Parteiexponenten gegen die Durchführung ausgesprochen. Parteigrössen wie Roger Köppel distanzierten sich öffentlich. Auch der bernische Parteipräsident Werner Salzmann fürchtete um das Image seiner Partei. «Die Demonstration ist der falsche Weg», sagte er gegenüber dem Lokalsender TeleBärn. Salzmann hatte Angst, dass die Veranstaltung sehr viele Rechtsextreme und Linksextreme anziehen und es zu Krawallen kommen könnte. «Dann würde die SVP fälschlicherweise als Veranstalterin wahrgenommen», so Salzmann weiter.

War die Absage ein SVP-Entscheid? «Der Entscheid ist eigenständig gefallen», sagt Fiechter. Die Absage habe bereits letzte Woche festgestanden, als sich die Partei öffentlich gegen die Kundgebung wandte. Dass man so lange wartete, bis man den Entscheid kommunzierte, liege an den Lieferanten, die man zuerst habe informieren müssen. «Ich hatte nie Kontakt mit Herrn Fiechter, das war eine eigenständige Entscheidung», sagt auch Salzmann, der sich gegenüber TeleBärn kritisch zur Demonstration geäussert hatte.

Sicher ist: Die SVP-Parteispitze war über die Absage informiert. Pünktlich zum Ende der Pressekonferenz wurde besagte Medienmitteilung verschickt, in welcher der Stadt Bern vorgeworfen wird, nicht für die Sicherheit sorgen zu können.

6. Oktober 2007

«Die Schande von Bern»

Der grosse bewilligte SVP-Aufmarsch im Vorfeld der Wahlen endete im Chaos. Linksextreme Gruppierungen griffen den Umzug in der Berner Altstadt an. Die Chaoten türmten Barrikaden auf und lieferten sich Strassenschlachten mit der Polizei. Auf dem Bundesplatz wurden die Feststände zertrümmert. Der frühere PDA-Stadtrat Rolf Zbinden hielt ein Transparent mit der Aufschrift «Welcome to Hell» in die Kameras. Die massiven Ausschreitungen machten als «Schande von Bern» Schlagzeilen. 18 Polizeibeamte wurden verletzt. Die Polizei räumte später ein, beim Dispositiv Fehler begangen zu haben und von der «Guerilla-Taktik» der Randalierer, die an mehreren Orten gleichzeitig zuschlugen, überrascht worden zu sein. (wal)

8. März 2009

Rechtsradikale mit Polizeischutz

Rechtsradikale marschierten 2009 nach einem Katz- und -Maus-Spiel die Altstadtgassen hinauf in Richtung Berner Bundesplatz. Linksextreme hatten zu Gegendemonstrationen aufgerufen, kamen aber zu spät. Ursprünglich hätte die Demonstration der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) in Burgdorf stattfinden sollen. Dort war eine Platzkundgebung bewilligt worden. Die Pnos verlegte ihren Auftritt aber kurzfristig nach Bern, auch weil sich in Burgdorf Linksextreme zu einer antifaschistischen Gegenkundgebung versammelt hatten. In der Folge verschoben sich auch die Linken in die Bundesstadt. Zu Ausschreitungen kam es nicht. Die beiden Aufmärsche gingen aneinander vorbei. (wal)

10. September 2011

«Familienfest» trotz Gegendemo

Am 10. September 2011, rund vier Jahre nach der «Schande von Bern», führte die SVP auf dem Bundesplatz ein «Familienfest» durch. Über 1000 Polizisten standen im Einsatz, um eine mögliche Konfrontation zwischen SVP-Anhängern und Gegendemonstranten zu verhindern. Der Platz war von den Sicherheitskräften abgeriegelt. Die SVP hatte zudem einen eigenen Sicherheitsdienst eingerichtet. Tausende versammelten sich auf dem Bundesplatz und feierten. Die Sicherheitskosten beliefen sich auf rund eine Million Franken. 55 Personen wurden vorübergehend festgehalten. Bei mehreren wurden Messer, Reizstoff, Spraydosen und Vermummungsmaterial gefunden. In der Reitschule fand eine Gegenveranstaltung statt. (wal)

29. März 2014

Keine Demo gegen «Kuscheljustiz»

Ende März 2014 hätte die Demonstration des Vereins Stopp Kuscheljustiz stattfinden sollen, doch der Bundesplatz blieb, abgesehen von Polizisten, leer. Die rechtsnationalen Organisatoren hatten die Kundgebung wenige Tage zuvor wegen des hohen Konfliktpotenzials abgesagt. Gruppierungen aus dem linken wie aus dem rechten Lager tauchten trotzdem in der Stadt auf. 58 Personen nahm die Polizei zur Überprüfung mit. Auch hier war das Polizeiaufgebot riesig. 1200 Polizisten standen im Einsatz, 450 von ihnen aus anderen Kantonen. Alleine die Kosten der Berner Polizisten beliefen sich auf eine Million Franken. Bereits 2012 hätte eine ähnliche Kundgebung stattfinden sollen, die Organisatoren zogen aber das Gesuch zurück. (wal)

Was nun am 18. März?

Linke entscheiden später

Die Demonstration war in Bern mit Spannung erwartet worden, weil Gegenkundgebungen angekündigt worden waren. Aus Sicht des Stadtberner Sicherheitsdirektors Reto Nause (CVP) bleibt die Situation aber «verworren», wie er gestern auf Anfrage sagte. Er gehe davon aus, dass die Stadt Bern deshalb an diesem Tag keine Kundgebung bewillige. Zusammen mit der Kantonspolizei sei die Stadt Bern daran, die Situation zu analysieren. Zu einem früheren Zeitpunkt sei ein Gesuch für eine «Brennpunkt Schweiz»-Gegenkundgebung eingegangen. Dieses habe die Stadt abgelehnt. Nach dem Nein der Stadt hätten die Gesuchsteller eine anfechtbare Verfügung verlangt und auch erhalten. Bei ihnen handelt es sich um den eigens für die Gegenkundgebung gegründeten Verein Fremdbestimmt, wie die Berner Stadträtin Christa Ammann von der Alternativen Linken (AL) auf Anfrage sagt. Juso, AL, junge Grüne und PDA gründeten den Verein und wollten so für einen Kontrapunkt zum Anlass auf dem Bundesplatz sorgen. Diese Parteien hätten die «Brennpunkt Schweiz»-Demo nicht verhindern wollen, sagt Ammann. Das Demonstrationsrecht gelte für alle. Ob der Verein nun trotzdem zu einer Kundgebung oder zu Aktionen am 18. März aufrufen wird, war gestern Abend noch offen. (spr)