Rechtsradikale Wiederauferstehung

Neue Zürcher Zeitung vom 12.03.2012

In Lyon erstarkt eine rechte Gruppe Studierender und vernetzt sich bis nach Genf. Mit der Rückkehr eines umstrittenen Professors hat die rechte Studierenden-Vereinigung an der Universität Lyon 3 neuen Auftrieb erhalten. Unter einem neuen Namen baut sie ihr radikales Netzwerk aus, das bis in die Schweiz reicht.

Robert Schmidt, Mathieu Matinière

An der Université Jean Moulin Lyon 3 gibt sich eine Studierenden-Vertretung einen neuen Namen. Aus der Groupe Union Défense (GUD) wurde Anfang Jahr die Union Défense de la Jeunesse (UDJ). Inhaltlich hat sich aber gar nichts verändert: Weiterhin ist es eine rechte Studentengruppierung, die 1973 gegründet wurde und die «Personenschutz und Gewalt gegen Linksextreme» als ihre Aufgabe definierte. Heute zählt die UDJ-Anhängerschaft rund 20 Personen. Mehr Interessierte findet sie im Netz: Rund 500 Sympathisanten hat die Gruppe auf Facebook. Allerdings findet man darunter kaum Studenten der eigenen Universität, hingegen auffallend viele Schüler.

Schweizer Antisemiten

Vor kurzem fragte auf Facebook auch ein Vertreter der rechtsextremen Genfer Gruppierung Genève non conforme die UDJ um Informationsmaterial an. Die Genfer «non conforme» sind keine Unbekannten. Im Sommer vergangenen Jahres empörte sich die Westschweiz über ihre xenophoben Äusserungen: «Von Juden als einem erfundenen Volk» fabulierte man da und rief schliesslich sogar zum Judenmord auf. Später relativierte man dann eilig, doch das Image der Genfer Gruppierung war geprägt.

18-jähriger Chef

«Das sind Typen, die sich gerne prügeln», resümiert ein linker Studierenden-Vertreter der Universität Lyon 3 über UDJ-Anhänger. «Sie haben anlässlich der Rückkehr eines Professors im vergangenen September sowohl einen Studenten von den Jungen Grünen zusammengeschlagen als auch uns mehrfach bedroht» (siehe Info-Box). Im vergangenen Oktober erklärte Steven Bissuel, der erst 18-jährige Chef der UDJ, eine neue, eher links anmutende Strategie: «Wir fordern günstige Mensapreise und bezahlbaren Wohnraum für unsere Studenten.» Was tatsächlich dahintersteckt, zeigen die von der Hacker-Gruppe Anonymous ins Netz gestellten Daten. Aus diesen durch die Hacker geknackten Dateien geht hervor, dass die Kollegen der Union Défense de la Jeunesse aus Paris den Lyonern geraten hatten, den «faschistischen Gentleman» nach aussen zu kehren, also ihre Radikalität nicht offen zu zeigen.

Steven Bissuel und seine Mitstreiter haben in den letzten Monaten fleissig Handzettel in Lyon verteilt, «Schulungen» und Demonstrationen veranstaltet. So sprühten sie Graffiti wie «Keine Schwarzen an unserer Uni», randalierten vor dem Sitz eines Lokalfernsehsenders und brüllten ausländerfeindliche Parolen. Ausserdem liessen sie sich von einem Genfer Anwalt beraten, wie sie ihre Aktivitäten weiterverfolgen können, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.

Uni-Wahlen als Chance

Zu den zweimal im Jahr stattfindenden Wahlen der Studierenden-Vertretung an der Universität im vergangenen Februar hätte die UDJ eine Liste mit Kandidaten einreichen können. Doch entweder scheute sie die obligatorische Prüfung durch die Universitätsleitung, oder sie hatte schlicht andere Prioritäten. Auch ein eigenes Büro sucht man an der Uni vergebens.

Für drei Gremien der Universität Lyon konnten Studierenden-Gruppierungen im vergangenen Februar Vertreter zur Wahl stellen. Dabei hätten sich die jungen Rechten als «association» anmelden können. Diese finanziert sich über Spenden. Möglich gewesen wäre auch eine Bewerbung als «syndicat». Diese ermöglicht Aktionen mithilfe von Mitgliedsbeiträgen. Während die «syndicats» Direktiven von ihren Dachorganisationen erhalten und oft Parteien nahestehen, sind die «associations» weisungsunabhängig. In diesem Jahr votierten Lyon-3-Studierende vor allem für die «association»-Dachorganisation «Vos Assos». Diese positioniert sich politisch neutral.

Arbeit im rechten Untergrund

Wie aus den gehackten Internet-Dateien hervorgeht, bereiten Lyons Nationalisten eine Zusammenarbeit vor: An einem geheimen Vorbereitungstreffen im vergangenen Januar waren einflussreiche ehemalige Mitglieder der grössten rechten Partei Frankreichs, Front National, beteiligt sowie der Chef einer verbotenen Neo-Nazi-Kameradschaft, einige Völkermord-Leugner, und mit dabei war auch der 18-jährige UDJ-Chef Steven Bissuel. Man plane gemeinsame Aktionen, die kameradschaftliche Nutzung eines Hauses und eine abgestimmte Pressestrategie.

Lina Müller

Chronik der Universität Lyon 3

Auswärtige Autoren (AA)

1974: Rechtsorientierte Professoren der Universität Lyon 2 gründen die Université Jean Moulin Lyon 3 mit den Schwerpunkten Recht, Sprachen und Philosophie. Mit der Groupe Union Défense (GUD) entsteht auch eine rechte Studentengruppe. Ihre selbstgewählte Aufgabe: Personenschutz und Gewalt gegen Linksextreme.

Ende der siebziger Jahre: Ein Professorenkollektiv instrumentalisiert indogermanische Forschungen für rassistische Thesen.

Neunziger Jahre: Teilnahme von Professoren an antisemitischen Konferenzen, Veröffentlichung von revanchistischen Texten in wissenschaftlichen Publikationen.

Ab 2002: Prüfung durch das nationale Bildungsministerium und Entlassung fast aller beanstandeten Professoren. Einzig Japanologie-Professor Bruno Gollnisch, Holocaust-Leugner und für die Partei Front National im Europaparlament, erhält nur eine fünfjährige Sperre. Einstellung aller Aktivitäten der GUD.

September 2011: Gollnisch kehrt an die Uni zurück. Reaktivierung der GUD.

Januar 2012: Umbenennung der GUD in Union Défense de la Jeunesse (UDJ).