Prozess gegen Schläger-Skinheads

Tages-Anzeiger

Ende April 2004 sorgten gewalttätige Rechtsradikale in Liestal für Angst und Schrecken. Sie hätten mit der Szene gebrochen, beteuern sie heute.

Von Peter W. Frey, Liestal

Mit Glatzkopf, Springerstiefeln und Bomberjacke kann man sich Martin A.* nicht recht vorstellen. Mit seinen verstrubelten dunklen Haaren, dem Kinnbart und seiner eher schmalen Statur will der 23-jährige gelernte Automechaniker nicht ins Bild eines Skinheads passen. Und doch war Martin am 30. April 2004 dabei, als eine Gruppe von elf rechtsradikalen Jugendlichen und jungen Männern nach 22 Uhr in Liestal das Bahnhofgelände und den dortigen Coop-Pronto-Shop stürmte.

Der Vorfall sorgte weit übers Baselbiet hinaus für Aufsehen und Empörung. Die Männer, damals zwischen 19 und 20 Jahren alt, und ihre jugendlichen Mitläufer waren vermummt und hatten sich mit Eisenstangen, Axtstielen und Baseballschlägern bewaffnet. Sie droschen wahllos auf völlig unbeteiligte Passanten ein, allen voran einen heute 22-jährigen Möbelmonteur, und verwüsteten den Shop. Drei Personen wurden zum Teil erheblich verletzt, darunter ein 60-jähriger Mann, der auf dem Bahnperron auf die Ankunft seiner Frau gewartet hatte. Ein Opfer wurde durch den Überfall derart traumatisiert, dass es bis vor kurzem nicht arbeiten konnte.

Jagd auf Ausländer

Die vom Bundesamt für Polizei der rechtsextremen Szene zugerechneten Täter hatten vor, gewaltsam mit einer Ausländergruppe abzurechnen. Um den Liestaler Bahnhof war es seit Ende 2003 immer wieder zu Streit und tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Ausländern und Glatzköpfen gekommen, die in einem Pub in der Nähe verkehrten. Auch an jenem 30. April verfolgten die Skins zu Fuss mutmassliche Ausländer über den Bahnhofplatz. Der Überfall dauerte aber nur kurz, dann blies einer der Täter zum Rückzug. «Nach einer Minute war der Spuk vorbei, und die Gruppe rannte davon», gab ein Shop-Verkäufer damals zu Protokoll.

Öffentlichkeit ausgeschlossen

Fast zwei Jahre nach dem Überfall müssen sich seit gestern Montag sieben junge Männer vor dem Strafgericht Baselland wegen schwerer Körperverletzung, Sachbeschädigung und Verstoss gegen das Waffengesetz verantworten. Der auf zwei Wochen angesetzte Prozess findet unter strengen Sicherheitsmassnahmen statt. Die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, nur die Medien sind zugelassen. Im Internet seien Störungen angedroht worden, begründete Gerichtspräsidentin Jacqueline Kiss. Die jugendlichen Mitläufer sind bereits vom Jugendgericht beurteilt worden, und drei junge Frauen kassierten im letzten November als Mittäterinnen je sechzehn Monate Gefängnis bedingt.

Sie hatten die bereits angetrunkenen Schläger zum Bahnhof chauffiert und ihnen nach der Tat auch die Flucht ermöglicht.

Fast alle Angeklagten gaben sich vor Gericht mehr oder weniger deutlich reuig und erklärten, sie hätten sich von der rechtsextremen Szene gelöst. «Ich schäme mich», stiess der 22-jährige Daniel K. unter Tränen hervor. Als Einziger der Angeklagten schilderte er in der Befragung durch die Gerichtspräsidentin, was in der Gruppe politisch Sache war: «Man musste kategorisch alle Ausländer hassen und ablehnen. Man musste gegen Schwule, Linke, Randständige, Schwarze und Juden sein.» Und man habe gewaltbereit sein müssen.

Daniel K. hatte zur rechtsextremen Szene aus Verunsicherung gefunden. Weil sein Vater Polizist war, sei er während der ganzen Schulzeit von seinen Schulkameraden als «Bullensohn» gehänselt worden, der sich sowieso nichts getraue. Zum Trotz «war ich bei jedem Seich dabei», sagte Daniel K. dem Gericht. Wenn er mit seinen rechtsextremen Skinhead-Kumpanen aufgetreten sei, habe er es genossen, «dass die Leute Respekt vor mir hatten».

Die Szene ersetzte die Familie

In der Gruppe hätten sie sich aufgehoben und geborgen gefühlt, betonten mehrere Angeklagte. Martin A. sagte, er habe sich in einer persönlichen Krise der erstbesten Gruppe angeschlossen, die ihn akzeptiert habe. «Das hatte überhaupt nichts mit Gesinnung zu tun.» Später habe man sich dann dem Gruppendruck nicht mehr entziehen können. «Die Szene hat ersetzt, was man in der Familie vermisst hat», ergänzte der 23 jährige Marco T., Gründungsmitglied der «Warriors» im Oberbaselbiet: «Ich habe nach der Scheidung der Eltern nach einer Ersatzfamilie gesucht.»

Heute sei ihm klar, dass er einen Riesenfehler begangen habe: «Das Leben ist viel zu kurz, um zu hassen.»

Gerichtspräsidentin Jacqueline Kiss nahm die druckreif formulierte Erkenntnis wohlwollend, aber erkennbar skeptisch zur Kenntnis. Dass der Ausstieg aus der rechtsradikalen Szene aber nicht ohne Gefahren ist, erfuhren mehrere Angeklagte: «Ich habe kassiert», schilderte Martin A. Er wurde von Ex-Kollegen aus der Szene vermöbelt. Auch Daniel K. sprach von einer «Abreibung», die er über sich habe ergehen lassen müssen.