Pöblers Selbstverwirklichung

Die Weltwoche: Wenn in der Schweiz ein Tötungsaufruf gegen einen missliebigen Politiker erschallt, ist dies nichts Neues. Neu ist nur, dass dies ein künstlerischer Akt sein soll. Von Christian Huber

Der Zusammenbruch des deutschen Kaiserreichs im Jahre 1918 wurde von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Arbeiter- und Soldatenräten auf der einen Seite und rechtsextremen Freikorps auf der anderen Seite begleitet. Aus diesen Wirren ging die Weimarer Republik hervor, die von Anfang an von der extremen Linken und der extremen Rechten bekämpft wurde. Als Folge der rechtsextremen Hetze fiel unter anderen Aussenminister Walther Rathenau im Juni 1922 Meuchelmördern zum Opfer. Gegen ihn war auf eine besonders widerliche Weise gehetzt worden. «Schlagt tot den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau», so hatten die Anhänger der rechts- extremen Kampfbünde gegrölt.

Wenn in der Schweiz ein Tötungsaufruf gegen einen missliebigen Politiker erschallt, ist dies also nichts Neues. Neu ist nur, dass dies ein künstlerischer Akt sein soll, wie das dessen Urheber für sich reklamiert. Theater und Satire dürfen und müssen politische Themen aufgreifen. Aber sie dürfen die rote Linie nicht überschreiten, jenseits welcher Hass und Gewalt gesät werden.

Den «Zombies» ins Gehirn schiessen

Vorgeführt hat dies die ohne Subventionen nicht überlebensfähige Berliner Schaubühne im Oktober 2015 mit «Fear» des Kunstschaffenden Falk Richter. In diesem Stück werden Porträts der AfD-Politikerin und -Abgeordneten im Europäischen Parlament Beatrix von Storch sowie der Koordinatorin einer familienpolitisch konservativen Organisation, Hedwig Freifrau von Beverfoerde gezeigt, mit Wohnadresse sowie der Aufforderung, den «Zombies» ins Gehirn zu schiessen. Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry wird in einem Atemzug mit dem norwegischen Massenmörder Anders Breivik und der Extremistin Beate Zschäpe vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) genannt.

Das Stück war insofern erfolgreich, als am Tag nach der Uraufführung ein Brandanschlag auf von Storchs Auto verübt wurde, zwei Wochen später die Scheiben ihres Büros zertrümmert wurden und die Fassade mit nicht entfernbarer Teerfarbe schwer beschädigt wurde. Nicht viel besser erging es von Beverfoerde, deren Fahrzeug ebenfalls in Flammen aufging.

Dafür, dass die im erwähnten Theaterstück als «geistige Brandstifter» bezeichneten Politikerinnen zu Opfern realer Brandstifter geworden waren, mochten sich die Theaterleute nicht verantwortlich fühlen. Man kann es als scheinheilig empfinden, dass sich die Berliner Schaubühne gegen einen Zusammenhang zwischen dem Bühnenstück und den Anschlägen verwahrte. Ein solcher werde bewusst konstruiert, «um die Schaubühne als Theater und Falk Richter als Autor zu verleumden». Die Inszenierung stelle sich der «Wiederkehr des rechten Gedankenguts allein mit Mitteln der Kunst entgegen». Es gehe gegen «rechtsnationale und religiös-fundamentalistische Strömungen».

Die Angegriffenen riefen das Berliner Landgericht an. Dieses bewertete die Kunstfreiheit höher als die Persönlichkeitsrechte der zu Zielscheiben gemachten Frauen. Jeder Besucher könne erkennen, dass es sich nur um ein Theaterstück handle. Ob ein Zusammenhang zwischen den Anschlägen und dem Theaterstück bestand, konnte das Landgericht schon deshalb nicht beurteilen, weil die Täter und damit die Ursachen ihres Handelns unbekannt blieben.

Was alles vom Grundrecht der Meinungsäusserungsfreiheit gedeckt ist, was künstlerische Darstellung und was Anstiftung zu Straftaten unter dem Deckmantel der Kunst ist, muss im Einzelfall der Richter entscheiden. Andreas Kley, Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht, Verfassungsgeschichte sowie Staats- und Rechtsphilosophie an der Universität Zürich, hat in der neusten Ausgabe des Schweizer Monats zu Recht gefordert, es müsse in der Demokratie zulässig sein, irrige, dumme, einfältige, verletzende und auch wissenschaftlich nicht anerkannte Auffassungen zu verbreiten. (Die Frage strafbarer Äusserungen bleibt hier ausgeklammert.) Das Schweizerische Bundesgericht hält fest, die schweizerische Demokratie traue dem Bürger zu, «zwischen den verschiedenen gegensätzlichen Auffassungen zu unterscheiden, unter den Meinungen auszuwählen, Übertreibungen als solche zu erkennen und vernunftgemäss zu entscheiden» (BGE 98 Ia 80).

Nachdenklich stimmt allerdings, um in Zürich zu bleiben, dass ein Theater noch so niveaulos sein kann, wenn es nur üppig genug subventioniert (und von einer unbekümmerten Kantonalbank gesponsert) wird, dass selbst ein galoppierender Zuschauerschwund es nicht anficht. Dank dieser komfortablen Stallfütterung – um Wilhelm Röpke zu paraphrasieren – kann es nicht nur kulturfrei, sondern auch zuschauerfrei agieren. Hauptsache, die Voodoo-Pöbler können sich selbst verwirklichen.