Opfer von Skinhead-Gewalt erwägen Klage gegen Polizeibeamten

Der Bund

KÖNIZ / In der Nacht auf letzten Samstag sind am Bahnhof Köniz fünf Jugendliche – ihren Aussagen gemäss von Rechtsradikalen – angegriffen worden. Ein Opfer nimmt nun zu den Übergriffen Stellung. Die «Aktion faschofreies Köniz» bekräftigt ihre Vorwürfe gegen die Polizei und prüft eine Klage gegen die Neonazis und einen Polizisten.

nn. Die Vorwürfe, welche die «Aktion faschofreies Köniz» am Montag an die Adresse der Kantonspolizei erhoben hat, erhärten sich: In der Nacht auf Samstag, 9. März, war es gemäss Aussagen von Opfern am Bahnhof Köniz zu einem Übergriff von Rechtsradikalen gekommen. Dabei war ein 26-jähriger Könizer spitalreif geschlagen worden. Ein alarmierter Polizeibeamter hat aber offenbar davon abgesehen, einen Krankenwagen zu alarmieren und dem schwer Verletzten Hilfe zu leisten.

Ein Jugendlicher, der zu seinem eigenen Schutz anonym bleiben will, hat gestern dem «Bund» den Vorfall bestätigt: «10 bis 15 Naziskins sind mit drei Autos beim Bahnhof Köniz aufgefahren und haben mich, den 26-Jährigen und drei weitere Jugendliche mit Eishockeyschlägern, Hämmern und Eisenstangen angegriffen. Dabei haben sie vor allem den 26-Jährigen wiederholt mit Schlägen traktiert. Dem Verletzten gelang es darauf, in ein nahe gelegenes Heim zu flüchten.»

«Deutliche Wunden am Kopf»

Ein Bekannter des Verletzen, der ebenfalls anonym bleiben will, erklärt dem «Bund», er sei kurz nach dem Vorfall kontaktiert worden und zum Heim gefahren. Er sei von Beruf Krankenpfleger und habe den Verletzten untersucht und dabei «klare Wortfindungsstörungen» diagnostiziert. Zudem habe der Verletzte «deutliche Wunden am Kopf» aufgewiesen. Der anwesende Polizeibeamte jedoch, berichtet der Bekannte, habe «die Situation unterschätzt»: «Trotz wiederholter Aufforderungen wollte der Polizist keine Ambulanz rufen.» Der Beamte habe noch beim Heim gewartet, bis die Eltern ihren verletzten Sohn ins Spital gefahren hätten.

Der Bekannte des Opfers ist Mitglied der «Aktion faschofreies Köniz», die als Reaktion auf den Vorfall gegründet wurde. Die «Aktion» erwäge rechtliche Schritte gegen die Neonazis aber auch gegen den Polizeibeamten «wegen unterlassener Hilfeleistung».

Krankenpflegerin bestätigt

Beim nahe gelegenen Heim, in dem die angegriffenen Jugendlichen vor den Neonazis Zuflucht gesucht haben, handelt es sich um das Alters- und Pflegeheim Stapfen. Manfred Gilgen, Direktor des Heimes, sagt auf Anfrage, er habe beim Seiteneingang des Heimes Blutspuren gefunden. Auch die Krankenschwester Margrit Marti, die in der Nacht auf den 9. März mit einer Kollegin Nachtwache hielt, bestätigt dem «Bund» den Vorfall: Gegen ein Uhr in der Nacht habe sie draussen Hilferufe gehört und darauf zwei Jugendliche auf der Brandschutztreppe vorgefunden. Die Jugendlichen hätten erklärt, sie seien zusammengeschlagen worden. «Der verletzte Jugendliche hat sich den Kopf gehalten, doch da er eine Mütze trug, konnte ich keine äusserliche Verletzung feststellen», sagt Marti. Auf der Strasse hätten sie und ihre Kollegin «etwa acht mit Knüppel bewaffnete Männer» gesehen, vor denen die Jugendlichen offenbar geflüchtet seien. Ob es sich bei den Männern aber um Neonazis gehandelt hat, konnte Marti nicht bestätigen. Marti sagt, sie habe sofort die Polizei alarmiert und «mindestens zwei Beamte» seien «nach 20 bis 30 Minuten» mit Taschenlampen beim Heim eingetroffen. Die Polizisten hätten darauf mit den Jugendlichen gesprochen. Marti erklärte weiter, sie habe die Beamten gefragt, ob sie «etwas helfen» könne, was die Polizisten verneint hätten.

Ermittlungen aufgenommen

Die Kantonspolizei Bern liess gestern in einem Communiqué verlauten, dass am 9. März eine Patrouille zum Pflegeheim Stapfen ausgerückt war. Ein Mann habe Verletzungen am Kopf aufgewiesen. «Da es keine Anzeichen einer erheblichen Verletzung gab, wurde dem Verletzten nur empfohlen, sich ärztlich behandeln zu lassen», hiess es weiter. Erst im Verlauf dieser Woche habe die Kantonspolizei erfahren, dass die Verletzungen «ernster Natur» seien und auf einen Angriff von Rechtsextremen zurückgehen.

«Da es sich angesichts der Schwere der Verletzungen um ein Offizialdelikt handeln könnte, sind nun auch ohne Vorliegen einer Strafanzeige Ermittlungen aufgenommen worden», hiess es weiter. Zu den Vorwürfen der «Aktion faschofreies Köniz» nahm die Polizei nicht Stellung.