Neonazi-Angriff auf Journalisten: Kein Verfahren in Sicht

Infosperber.

Nach einem Angriff auf Journalisten zog ein prominenter deutscher Neonazi in die Schweiz. Der Prozess lässt weiter auf sich warten.

Was im April 2018 im thüringischen Fretterode geschah, bezeichnen deutsche Medien als «vielleicht einer der schwersten Angriffe auf Journalisten in den letzten Jahren».

Zwei Fotografen dokumentieren ein Treffen von Rechtsextremisten, als plötzlich zwei Neonazis aus einem Anwesen stürmen. Die Angreifer verfolgen die Journalisten zuerst zu Fuss, dann mit einem Fahrzeug. Es kommt zu einer Verfolgungsjagd, schliesslich landet der Wagen der Journalisten in einem Graben. Die mit Baseballschläger, Messer, einem 40 bis 50 Zentimeter langen Schraubenschlüssel und Reizgas bewaffneten Männer gehen sofort zum Angriff über: Sie zerstören das Fahrzeug, brechen dem einen Journalisten mit dem Schraubenschlüssel das Stirnbein und verletzen den anderen mit einem Messer am Oberschenkel. Ausserdem rauben sie die Fotokamera (Infosperber berichtete).

Angeklagter lebt in der Schweiz
Einer der beiden Männer, die in ihrer Heimat wegen schwerem Raub und gefährlicher Körperverletzung angeklagt wurden, ist in der Neonazi-Szene bestens bekannt. Beim mutmasslichen Täter handelt es sich um N. H.*, den Sohn von Thorsten Heise, der wiederum als zentrale Figur der europäischen militanten Neonazi-Szene gilt.

Heise Senior ist nicht nur NPD-Funktionär, sondern auch Kristallisationsfigur und Spiritus Rector des internationalen Netzwerks «Combat 18» (C18) – des bewaffneten Arms des in Deutschland verbotenen Neonazinetzwerks «Blood & Honour» (B&H). Sein Name fiel auch im Zusammenhang mit der Terrorgruppe «Nationalsozialistischer Untergrund» (NSU): Er steht auf einer Liste mit nachgewiesenen Kontakten zu Tätern oder Beschuldigten im NSU-Prozess. Er ist mehrfach vorbestraft und sass bereits im Gefängnis.

Heute lebt und arbeitet Thorsten Heises Sohn im Wallis. Er fand Unterschlupf bei Gleichgesinnten, die wiederholt mit ihren Verbindungen ins internationale Neonazi-Milieu – unter anderem zu Thorsten Heise und zu B&H – auffielen und in der Vergangenheit mehrere neonazistische Grossveranstaltungen in der Schweiz (mit)organisierten (Infosperber berichtete mehrmals, Links am Ende des Textes).

Eineinhalb Jahre Leerlauf – «wegen Pensionierung»
Dass N. H. weiter ungestört in der Schweiz leben, bei einem Walliser Unternehmen eine Lehre als Heizungsinstallateur beginnen und zusammen mit Gleichgesinnten aus dem Wallis zwischenzeitlich ein neonazistisches Festival in seiner Heimat besuchen konnte, liegt auch an den zuständigen Justizbehörden in Deutschland. Zwar hatte die Staatsanwaltschaft Mühlhausen im Februar 2019 Anklage beim Landgericht erhoben. Fast eineinhalb Jahre später hat das Landgericht Mühlhausen aber noch nicht einmal über die Zulassung der Anklage entschieden.

Gegenüber dem NDR-Medienmagazin «ZAPP» begründete die Sprecherin des Landgerichts Mühlhausen die Verzögerung mit der Abwesenheit des vorsitzenden Richters, der zuerst für über zwei Monate «urlaubsbedingt abwesend» gewesen und dann im Dezember 2019 in Pension gegangen sei. Das Verfahren zur Neubesetzung des Postens laufe. Aus diesem Grund bearbeite die Strafkammer nur bereits laufende Verfahren und Haftsachen, eine Übernahme der Strafsache durch eine andere Kammer sei nicht möglich. Das Verfahren gegen die beiden tatverdächtigen Rechtsextremisten werde voraussichtlich im Spätsommer bearbeitet.

«Falsches Signal an mutmassliche Täter»
Rasmus Kahlen, der Anwalt eines der Opfer, kritisiert die lange Wartezeit gegenüber «ZAPP». Es sei nicht nachvollziehbar, wieso durch eine Pensionierung ein Verfahren eineinhalb Jahre nicht bearbeitet werde. Weiter unterlägen Jugendstrafsachen einem besonderen Beschleunigungsgebot, da das Jugendstrafrecht auch erzieherisch auf Angeklagte einwirken solle. «Die Verhandlung über die Vorwürfe soll zügig stattfinden, damit für den Täter noch eine Beziehung zwischen Tat und Sanktion besteht», sagt Kahlen gegenüber «ZAPP».

Das langsame Handeln der Justiz sende ein falsches Signal an die mutmasslichen Täter. «Bei rechtsextremen Tätern, bei denen anzunehmen ist, dass die Tat Ausfluss ihrer Gesinnung ist, besteht die Gefahr, dass diese aus der Verzögerung den Schluss ziehen, dass derartige Übergriffe für sie folgenlos bleiben», sagt Kahlen. Der Rechtsanwalt befürchtet dadurch «erhebliche Auswirkungen auf das zukünftige Gewaltpotenzial dieser Täter». Für die Geschädigten bleibe zudem die Erkenntnis, dass derartige Taten von der Justiz nicht mit dem gebotenen Nachdruck verfolgt würden.

Es drohen langjährige Haftstrafen
Gemäss deutschen Medien drohen den beiden Angeklagten langjährige Haftstrafen, da es sich beim Übergriff in Fretterode um einen schweren Raub gehandelt habe, bei dem auch Waffen zum Einsatz gekommen seien. Einer der beiden Beschuldigten, der zum Tatzeitpunkt noch nicht volljährig war, müsse mit einer empfindlichen Jugendstrafe rechnen, schreibt «ZAPP».

Wird die Strafsache gegen N. H endlich bearbeitet, könnte dies Auswirkungen auf das Leben des Tatverdächtigen in der Schweiz haben. So erklärte sein Walliser Arbeitgeber, dass N. H. seine Ausbildung weiterführen könne, weil es im aktuellen Fall bis jetzt noch zu keiner definitiven Anklage oder gar Verurteilung gekommen sei. Ändere sich das, müsse die Situation neu beurteilt werden.

*Name bekannt