Nachrichtendienst soll potenziell gewalttätige Extremisten abhören

Der Bund. Der Bundesrat plant schärfere Instrumente für die Überwachung von gewalttätigen  Links- und Rechtsextremisten. Man müsse die Bedrohung besser erkennen können, erklärt Verteidigungsministerin Viola Amherd. 

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) soll künftig schärfere Instrumente erhalten, um gewaltbereite Rechts- und Linksextreme zu überwachen. Der Bundesrat hat die Vernehmlassung für eine entsprechende Revision des Nachrichtendienstgesetzes eröffnet.

Vor drei Jahren hatte der NDB-Lagebericht festgehalten, dass die Entwicklung beim gewalttätigen Extremismus äusserst bedenklich sei. Verteidigungsministerin Viola Amherd zog bereits damals in Betracht, potenziell gewalttätige Extremisten abhören zu lassen. Ursprünglich war eine Vernehmlassungsvorlage für Sommer 2020 geplant.

Nun handelt der Bundesrat zwei Jahre später. Er plant schärfere Instrumente für die Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus. Es geht um zusätzliche Massnahmen zur Früherkennung und Verhinderung. «Wir müssen die Bedrohungen noch besser erkennen können», sagte Amherd am Donnerstag vor den Medien in Bern.

Ausreiseverbote möglich

Konkret sollen die genehmigungspflichtigen Massnahmen neu auch zur Aufklärung von schweren Bedrohungen angewendet werden können, die von gewalttätig-extremistischen Aktivitäten ausgehen. Davon betroffen sein können gemäss dem Vernehmlassungsentwurf «Organisationen und Personen, welche die demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen ablehnen und zum Erreichen ihrer Ziele Gewalttaten befürworten, fördern oder verüben».

Amherd betonte, dass beispielsweise eine Drohung eines Corona-Skeptikers gegen ein Mitglied des Bundesrats nicht für eine Überwachung reichen werde. «Es muss die klare Absicht erkennbar sein, dass grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien verletzt werden sollen.»

In solchen Fällen soll das Bundesamt für Polizei (Fedpol) neu auch ermächtigt sein, Ausreiseverbote zu verfügen. Gemäss dem Vernehmlassungsbericht sind solche nur auf Personen anwendbar, «die sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit an Gewalttätigkeiten beteiligen werden». Der Bundesrat rechnet mit einer tiefen zweistelligen Zahl an Personen, bei denen ein Ausreiseverbot angewendet werden könnte.

Folge des Fichenskandals

Mit den Anpassungen werde auf die seit der Inkraftsetzung des Nachrichtendienstgesetzes gemachten Erfahrungen sowie auf die Entwicklung der Bedrohungslage der vergangenen Jahre reagiert, sagte der neue NDB-Direktor Christian Dussey.

Laut früheren Angaben des Bundesrats ist beim gewalttätigen Linksextremismus eine Verschärfung erkennbar. Beim Rechtsextremismus besteht mittelfristig eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen Anschlag durch einen entsprechend inspirierten Einzeltäter.

Das Abhören von Telefongesprächen und das Eindringen in Computer ist dem Nachrichtendienst erst seit September 2017 erlaubt. Diese genehmigungspflichtigen Massnahmen darf er heute aber nicht im Bereich des gewalttätigen Extremismus anwenden.

Dass die Möglichkeiten des Nachrichtendienstes bei Extremismus heute eingeschränkt sind, ist eine Folge des Fichenskandals, der Ende der 1980er-Jahre die Schweiz erschütterte. Damals wurde bekannt, dass der Nachrichtendienst Hunderttausende aufgrund ihrer politischen Gesinnung überwachte.

Finanzflüsse analysieren

Eine weitere geplante Neuerung betrifft die Abklärungen über finanzielle Transaktionen, zum Beispiel bei der Finanzierung von Terrorismus oder Spionagenetzwerken. Der NDB hat heute keine Möglichkeit, Informationen von Finanzintermediären über die Finanzierung von sicherheitsrelevanten Personen oder Gruppierungen zu erhalten.

Die Gesetzesrevision sieht dies neu vor. Bei schweren Bedrohungen der Sicherheit der Schweiz kann der NDB künftig auch Finanzflüsse aufklären, indem er bei Finanzintermediären Auskünfte zu Transaktionen anfordern kann.

Infrage kommt dies gemäss Mitteilung beispielsweise bei kommerziellen Unternehmen, ideellen Organisationen oder religiösen Einrichtungen. Dabei müssen begründete Anhaltspunkte vorliegen, dass sie an der Finanzierung von terroristischen, nachrichtendienstlichen oder gewalttätig-extremistischen Umtrieben beteiligt sind.

Neue Regeln für Datenbearbeitung

In die geplante Revision des Nachrichtendienstgesetzes flossen auch Forderungen der Aufsichtsbehörden zu den NDB-Datensammlungen ein. Unter anderem die Aufsichtsbehörde über den Nachrichtendienst des Bundes (AB-ND) ortete in ihrem zweiten Tätigkeitsbericht im März 2020 Verbesserungspotenzial. Heute würden gelegentlich zu viele Daten zu lange aufbewahrt oder Berichte unsorgfältig verfasst.

Das will der Bundesrat ändern. Die Vernehmlassungsvorlage sei beim Datenschutz erheblich fortschrittlicher, heisst es im erläuternden Bericht. Das Risiko, dass der NDB über nach Gesetz nicht relevante Personendaten bearbeitet, werde durch die Einführung einer detaillierten Eingangsprüfung entschärft.

Der NDB hat zudem neu die Pflicht, die kantonalen Vollzugsbehörden zu informieren, wenn diese ihm Berichte zukommen lassen, die Daten aufweisen, die gegen die Datenbearbeitungsschranke verstossen. Diese Daten sind sowohl beim NDB als auch bei den kantonalen Vollzugsbehörden zu vernichten oder zu anonymisieren.

Die Vernehmlassung dauert bis am 9. September 2022. Über die Gesetzesänderungen wird später das Parlament und je nachdem das Volk zu befinden haben. Dussey sagte, dass das revidierte Gesetz frühestens 2026 in Kraft treten werde.

SDA/sep