Kritische Pressestimmen aus Nachbarländern zum Volksentscheid

Neue Zürcher Zeitung 30.11.2010

Weniger Echo als im Fall des Minarettverbots – Applaus vom rechten Rand

Ulrich Schmid (USd)

Deutsche, französische und italienische Medien haben die Annahme der Ausschaffungsinitiative heftig kritisiert. Beifall kam von rechtsextremer Seite. Deutsche Linke hoffen auf europäische Interventionen.
U. Sd. Berlin · Die Reaktion deutscher Medien auf politisch unkorrekte Schweizer Volksentscheide folgt fester Dramaturgie. Zuerst kommt die Indignation, dann die Feststellung, dass solches hierzulande unmöglich wäre, dann, mit etwas Verzögerung und einem Schuss Ernüchterung, die Erkenntnis, dass die Deutschen wohl gleich gestimmt hätten, hätten sie nur gekonnt, und schliesslich die Feststellung, dass Plebiszite eben doch nicht der Weisheit letzter Schluss seien.

Erschaudern in Deutschland

«Unschweizerisch», befindet streng die «Welt». Sie stellt fest, den Schweizern würden ihre Ausländer offenbar «zu viel», und schliesst daraus, Volksabstimmungen seien eben kein einfaches Instrument der Politik. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» konzediert, dass derzeit in Ausländerfragen die Emotionen überall in Europa rasch hochgehen, charakterisiert das Resultat der Abstimmung aber dennoch als «groben Klotz» und lässt erkennen, dass ihr der Gegenvorschlag lieber gewesen wäre. Die «Tageszeitung» sieht «rassistische Brandstifter» am Werk und hofft auf Interventionen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs und der EU, damit den Zündlern das Handwerk gelegt werde.

Auf europäische Kuratel hofft auch die «Süddeutsche Zeitung». Das Signal aus dem Alpenstaat rufe geradezu nach einer Antwort, denn die Schweizer glaubten offenbar, sich über EU-Abkommen und internationale Konventionen hinwegsetzen zu können. Zufrieden sind nur die Rechtsextremen; sie waren es schon bei der Minarettinitiative. Das Vokabular der NPD, die die Schweiz als Vorbild lobt, ist wie üblich unsäglich: Auch in Deutschland müsse endlich «kurzer Prozess» mit kriminellen Ausländern gemacht werden.

Ob die Deutschen auch diesmal gleich gestimmt hätten wie die Schweizer, ist schwer zu sagen. Die Ausschaffungsinitiative wurde in den Medien vermerkt, erreichte aber nicht im Entferntesten das Aufsehen, das die Minarettinitiative erregt hatte. Damit ist sie auch nicht das Material, das sich für Online-Umfragen eignet. Auch liess sich die Rechtsmaterie ohne Hintergrundwissen kaum in eine simple Frage zusammenfassen. Zu beachten ist zudem, dass in Deutschland bereits jetzt recht zügig ausgeschafft wird, zügiger als in den meisten EU-Ländern.

«Front National»

rt. Paris · Das Resultat der Abstimmung zur Ausschaffungsinitiative hat in Frankreich wohl Aufmerksamkeit erregt, aber in der Presse nicht riesige Schlagzeilen nach sich gezogen. Im Gegensatz zum Minarettverbot vor einem Jahr, das hierzulande fast wie ein Blitz aus heiterem Himmel eingeschlagen hatte, ist die angesprochene Thematik weder unbekannt noch tabu, im Gegenteil: Es war Frankreichs Regierung, die in diesem Jahr unbequeme Fragen zur nationalen Identität stellte und ab Sommer die innere Sicherheit ziemlich laut aufs Tapet brachte.

An kritischen Stimmen zum neuerlichen Votum fehlt es dennoch nicht. In der Schweiz, so ist in vielen Blättern zu lesen, würden Anliegen umgesetzt, die aus dem Programm des ultrarechten Front national stammen könnten. Etwas pauschal und undifferenziert wurde in ersten Reaktionen von Online-Ausgaben die Version verbreitet, dass ausländische Delinquenten nun allgemein des Landes verwiesen würden. Bei Leserreaktionen schwingt, mit Ausnahme der «Libération», überwiegend Verständnis mit, ebenso die Ansicht, dass Frankreich dem Vorgehen der Schweiz folgen sollte.

Politiker und Journalisten, die von Wikileaks mehr fasziniert sind, halten sich da eher zurück. Lediglich aus dem rechten Lager der UMP, die als «La Droite populaire» firmiert, kommt offene Zustimmung zur Ausschaffungsinitiative. Wer die Gastfreundschaft eines Landes missbrauche und dessen Gesetze schwer missachte, gehöre des Landes verwiesen, meint die Gruppe.

«Wir möchten Schweizer sein»

Tz. Rom · Die Annahme der Ausschaffungsinitiative war am Montag in Italiens Blätterwald zumeist kein Frontpage-Thema. Die Berichterstattung darüber schien vorab durch den Wirbel um die neusten Wikileaks-Enthüllungen auf die hinteren Seiten verdrängt worden zu sein. Doch alle führenden Zeitungen und Nachrichtensendungen widmeten der Abstimmung im nördlichen Nachbarland ausführlichere Artikel, angereichert mit Bildern, die zumeist den Eindruck einer allgemein fremdenfeindlichen Stimmung hinterliessen. Und schon im Untertitel der Berichte der führenden bürgerlichen Zeitung «Corriere della Sera» wurde das Abstimmungsergebnis als Erfolg der populistischen Rechten eingestuft. Häufig wurde auch ein Bogen zur letztjährigen Minarettinitiative geschlagen.

Vertreter der rechtspopulistischen Regierungspartei Lega Nord bezeichneten den Abstimmungserfolg der SVP hingegen als Ausdruck von «juristischer Zivilisiertheit» und als Zeichen einer auch im EU-Land Italien vorherrschenden Stimmung. Ein Kommentator der von der Familie von Ministerpräsident Berlusconi herausgegebenen Zeitung «Il Giornale» schrieb, dass «wir heute alle Schweizer sein möchten». Die Exponenten der Lega Nord verzichteten indes (zumindest vorläufig) darauf, eine sofortige Nachahmung der Schweiz zu fordern.

EU-Kommission wartet ab

(sda) · Die Kommission der Europäischen Union wartet ab, wie die Ausschaffungsinitiative im Gesetz konkretisiert wird. Man werde dies beobachten, sagte die Sprecherin der EU-Aussenbeauftragten Catherine Ashton am Montag vor den Medien in Brüssel. «Wir bleiben zuversichtlich, dass die Schweizer Regierung ihre internationalen Verpflichtungen respektiert.»