«Keine heile, aber eine gute Welt»

NeueLuzernerZeitung

Jugendgewalt nimmt neue Formen an und erprobt die Toleranz der Erwachsenen. Dies ergab ein Podium der SVP Nidwalden zu Gewalt und Drogen an Schulen.

Von Urs Rüttimann

Die Familie habe sich zunehmend aufgelöst, und die heutige Schule biete ein Bild der Disziplinlosigkeit, sagte die Schwyzer Nationalratskandidatin Judith Uebersax zur Ursache von Jugendgewalt. In ihrem einführenden Gastreferat versuchte die Mutter von drei schulpflichtigen Kindern und Erziehungsrätin klarzustellen, dass die «Kuschelpädagogik und antiautoritäre Erziehung der Linken ein Desaster hinterlassen hat». Erziehung sei heute an die Schule und den Staat delegiert, während die Eltern für ihre Zöglinge kaum noch Zeit für Erziehung und Kontrolle aufbrächten.

Für die nackte Gewalt machte sie vor allem die gesellschaftlich untervertretenen Ausländer verantwortlich. Mit zahlreichen Beispielen von Vergewaltigungen, Messerstechereien und Nötigungen, begangen von Ausländern in der ganzen Schweiz, hinterlegte sie ihre Aussage und drosch mit Begriffen wie «Balkanschläger» und «islamischen Integrationsverweigerern» obendrauf.

Verlotterte Schule und Welt?

Nach diesen scharfen einführenden Worten liess selbst Uebersax‘ SVP-Parteigenosse Peter Wyss im Podiumsgespräch vor gut 200 Zuhöhrern durchblicken, dass Nidwalden eine solche Situation nicht kenne. Doch zunächst spielte Beat Christen, der das Podium moderierte, den Ball der Nidwaldner Erziehungsdirektorin Beatrice Jann zu. Diese stellte nach dem «niederschlagenden Referat» klar: «Die aufgezählten Beispiele geben ein falsches Bild. Gewalt gab es schon immer; nur werden die Informationen darüber heute von den Medien transparenter wiedergegeben.» Um zu Gewalt neigende Jugendliche nicht auszugrenzen, nehme sich der heute stärker pädagogisch ausgebildete Lehrer dieses Problems gezielt an.

Jugendgewalt wird hochgespielt

Jürg Wobmann, Leiter der Kriminalpolizei Nidwalden, erinnerte daran, dass an der Schule Ennetbürgen tendenziell Rechtsextreme , und nicht Ausländer, massgeblich die Gewaltspirale in Gang brachten. Doch selbst gegen solche Leute sei «im Rechtsstaat Schweiz verhältnismässig zu handeln». «Pauschalurteile gegenüber Ausländern» hält er für unangebracht, ebenso wie das politische Hochspielen von Jugendgewalt. Die Delikte von Jugendlichen würden sich in Nidwalden für die Sommermonate statistisch je nach Sparte «sensationell nieder» zwischen 0 bis 3 Promille bewegen. «Wir haben hier nicht ein heile, aber eine gute Welt», betonte Wobmann. Zudem sei die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Schule und sozialen Institutionen ausgesprochen konstruktiv.

Die Persönlichkeit schulen

Das betonte auch der Stanser Gesamtschulleiter Luzi Berthel. Der Schulalltag bringt für ihn aber etwas Weiteres zu Tage: «Eltern, die ihre Kinder schlagen und massiv unter Leistungsdruck setzen, sind für uns das Schlimmste.» Dem SVP-Begriff der Kuschelpädagogik setzt er entsprechend entgegen: «Bei solchen Menschen ist das Selbstvertrauen zerstört. Die Schule indessen verlangt Leistungen, und genau solche Jugendliche können nicht mithalten.»

In seiner Analyse wirft er folglich die Frage nach der Persönlichkeitsentwicklung auf: «Gewalttätige Jugendliche ringen darum, wahrgenommen zu werden.» Mit einer von den Schulen mitgetragenen Bildung will Berthel deshalb diesen eine Chance geben, neue Verhaltensweisen zu lernen, auch aus volkswirtschaftlichen Gründen. «Die Orientierungsschule und die Werkschule kosten pro Schüler 13 600 respektive 16 000 Franken», rechnet er vor. Demgegenüber müssen für einen Jugendlichen, der im Heim erzogen wird, 150 000 Franken bezahlt werden.

Vandalismus und Drogen

Für den Nidwaldner SVP-Präsidenten Peter Wyss ist das Thema Jugendgewalt trotz allem nicht vom Tisch: «Wird der Begriff Gewalt auch auf Vandalismus und Diebstahl ausgedehnt, so haben wir jährlich über hundert Schandtaten.» Ausserdem seien beim Stanser Sportplatz Eichli zahlreiche Spritzen von Drögelern gefunden worden, und das «Kampfsaufen» aus Langeweile nehme überhand. Deshalb will er eine möglichst strenge Auslegung des revidierten Jugendstrafrechts, das der Bund am 1. Juli in Kraft gesetzt hat. Zusätzlich sollten die Eltern ihren Zöglingen wieder Respekt und Angst vor den Konsequenzen bei Zuwiderhandeln anerziehen. Als Rezept empfiehlt Wyss den Eltern: Die Kinder sollen arbeiten lernen, auf anstrengende Wanderungen mitgenommen werden und ins Pfadilager gehen. In Nidwalden sei das Problem der Gewalt aber nicht so frappant wie in urbanen Gebieten, und er habe gut integrierte Ausländer als Freunde.

Mehr Toleranz der Erwachsenen

«98 Prozent der Jungen verhalten sich absolut korrekt», relativierte Kriminalpolizeichef Wobmann. Die Erwachsenen sollten sich teilweise mehr in Toleranz üben und nicht immer gleich die Polizei rufen. «Die Jugendlichen werden überall vertrieben, wenn sie bei 30 Grad Sommertemperatur nicht im Jugendtreff bleiben wollen.» Wird dann aber immer die Polizei gerufen, provoziert das ein Problem: «Dann weiss die Jugend nicht mehr, wohin sie gehört.»