Kein Wort zu Tatmotiv oder Hintergründen

Der Bund

Hans Stutz‘ Studie «Der Judenmord von Payerne»

* HEINZ ROSCHWENSKI

Wer aufmerksam durch den jüdischen Friedhof von Bern geht, entdeckt einen Grabstein aus dem Jahr 1942 mit einer rätselhaften Inschrift: «Gott weiss warum.» Der Name des Begrabenen: Arthur Bloch, geboren 1882. Am 16.April 1942 hatten im Waadtländer Städtchen Payerne vier junge Männer, angestiftet von einem Anführer der «Nationalen Bewegung der Schweiz», der damaligen nazifreundlichen Fröntler-Organisation, den Berner Viehhändler Arthur Bloch in einen Hinterhalt gelockt, erschlagen und erschossen, die Leiche zerstückelt und in Milchkannen im Neuenburgersee versenkt. Eines der schlimmsten antisemitischen Verbrechen in der Schweiz der Neuzeit. Denn Arthur Bloch wurde nur deswegen getötet, weil er Jude war und weil die schweizerischen Naziführer ihre fanatischen, blind gehorchenden Gefolgsleute zu einem Fanal für eine weit reichende «Abrechnung» mit den Juden in der Schweiz missbrauchten. Schon vor mehreren Jahren liess das Fernsehen der welschen Schweiz durch Yvan Dalain einen Film über das Verbrechen von Payerne drehen, und Jaques Pilet, der an der Filmproduktion beteiligt war, hat damals auch ein Buch darüber verfasst. Darauf gestützt und erweitert durch die Auswertung der Gerichtsakten und anderer Archivalien ist nun auch ein Buch in deutscher Sprache darüber erschienen, verfasst vom bekannten Spezialisten für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus Hans Stutz. Die zitierten Zeitungsberichte der damaligen Schweiz und die Aussagen von Zeitzeugen sprechen eine bedrückende Sprache. Ebenso die Gerichtsverhandlungen; 1943 wurden drei der Beteiligten zu lebenslangen Zuchthausstrafen verurteilt, ein minderjähriger Mittäter und ein Helfer erhielten 20 respektive 15 Jahre Freiheitsentzug. Ihr Führer und politisch-psychologischer Hintermann, ein ehemaliger Pfarrer, der damals mit Hilfe des deutschen Konsulats fliehen konnte, wurde 1947 wegen Anstiftung zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach den Akten über die Gerichtsverhandlungen und gemäss der Urteilsbegründung scheint es laut Hans Stutz, als ob die damaligen Richter und Geschworenen wo immer möglich den Antisemitismus, der hinter der Tat steckte, ausblenden wollten. Auch die Gerichtsberichterstatter schrieben in den Zeitungen meistens so, als ob die Tat mit Antisemitismus nichts zu tun habe. Hans Stutz: «Kein Wort zum Tatmotiv, kein Satz zu den politischen Hintergründen, hingegen der Wunsch, die Sache auf sich beruhen zu lassen.» Auch die amtlichen Pressezensoren wiesen die Waadtländer Zeitungsredaktionen an, auf die Erwähnung des politischen Gehaltes der Mordmotive zu verzichten. Einige Männer und Frauen in Payerne können sich noch erinnern, dass die Mörder zwar ihren Antisemitismus schon vor der Tat offen zur Schau getragen hatten, aber deswegen nicht behelligt wurden. Noch an Blochs Todestag bestätigt ein Payerner Polizist die Rechtschaffenheit des örtlichen Naziführers. Nach dem Mord waren die Leute in Payerne natürlich entsetzt. «Selbst einen Juden tötet man nicht so», kommentierte ein Payerner Lokalpolitiker. Die Schrift von Hans Stutz über den Judenmord von Payerne erinnert auf Grund von historischen Fakten daran, wie schonungsvoll auch in der Waadt die Behörden und ein grosser Teil der bürgerlichen Führungsschicht in den Dreissigerjahren und nachher in der Kriegszeit mit den Nazi-Führern und ihren Anliegen umgingen. Den Anstifter des Mordes von Payerne, Philippe Lugrin, behinderte seine offene antidemokratische Gesinnung nicht in seiner Karriere als Pfarrer. Und als 1938 ein antisemitisches Traktat, von Lugrin verfasst, verteilt und versendet, amtlich beschlagnahmt wurde, gab der damalige Bundesanwalt Stampfli die Hetzschrift ohne Begründung wieder frei, nachdem Lugrin an den damaligen Bundespräsidenten Philipp Etter geschrieben hatte. Zur Erinnerung: Bundesrat Etter hatte wenige Jahre zuvor, noch als Redaktor einer katholisch-konservativen Zeitung, die Juden als «zersetzende Kräfte» bezeichnet.