«Ich will mit andern Gemeinden zusammenspannen»

Der Bund

MÜNCHENBUCHSEE / Heute findet der traditionelle Buchsi-Märit statt, wo es in den letzten zwei Jahren zu gewalttätigen Übergriffen von Skinheads auf linke Jugendliche gekommen ist. Projektleiter Giorgio Andreoli zieht Bilanz zur Wirksamkeit des Beratungstelefons GGG-Fon, dem einzigen Projekt, das der Gemeinderat bislang zur Bewältigung des Skinhead-Problems angepackt hat.

* INTERVIEW: ISABEL DREWS

«Bund»: Herr Andreoli, heute ist Buchsi-Märit. Wird es auch dieses Jahr wieder zu Schlägereien zwischen so genannt linken und rechten Jugendlichen kommen?

Giorgio Andreoli: Die Polizei ist sicher besser vorbereitet als in den letzten Jahren. Sie hat im Vorfeld sowohl mit den Skinheads wie auch mit den Punks Gespräche geführt.

Sie sind Projektleiter des GemeinsamGegenGewalt-Fons, einem Beratungstelefon für Fragen im Zusammenhang mit Gewalt und Rechtsextremismus. Das Projekt gibt es seit letztem November. Seither ist es etwas ruhiger geworden um die Buchser Skinhead-Szene. Ist das der Erfolg des GGG-Fons?

Anfänglich war seitens der Behörden die Erwartung da, dass alle Probleme, die Münchenbuchsee mit Skinheads hat, mit dem GGG-Fon gelöst werden können. Der Gemeinderat ging davon aus, dass täglich Anrufe sowie Hinweise auf geplante Aktionen eingehen würden. Dies war natürlich nicht der Fall. Tatsächlich gebracht hat das GGG-Fon aber vor allem eine Sensibilisierung der Bevölkerung, die ich sehr wichtig finde. Indem wir das Skinhead-Problem öffentlich gemacht haben, ist es für die Skins in Münchenbuchsee sicher schwieriger geworden.

Gemeinderat Walter Züst hat letzten März gesagt, die Resonanz des GGG-Fons sei geringer als erwartet. Es würden vor allem Eltern anrufen, Jugendliche hingegen kaum – und Skinheads schon gar nicht. Verfehlt das Projekt somit nicht sein Ziel?

In der Tat riefen mehr Erwachsene als Jugendliche an. Die Jugendlichen haben aber mehr gemailt, wobei viele anonym bleiben wollten. Bei den Erwachsenen kamen zahlreiche Anrufe von Leuten aus Buchsi, die verunsichert sind und sich beraten lassen wollten. Oder sie meldeten Beobachtungen, die vor allem dann von Bedeutung waren, wenn sie bereits Vermutetes bestätigten. Beispielsweise gab es am Mattenstutz einen Laden, in dem Kleider und anderes aus US-Army-Beständen verkauft wurden. Die Skins sollen sich dort regelmässig getroffen haben. Nachdem uns mehrere Leute davon berichtet haben, machten wir beim Sicherheitsbeauftragten der Gemeinde eine Meldung. Die Polizei nahm Kontakt mit dem Besitzer des Ladens auf. Am nächsten Tag hat dieser den Laden überraschend geschlossen.

Das Projekt will explizit den Rechtsextremismus unter Jugendlichen bekämpfen. Nun klärt es aber offensichtlich vor allem die Erwachsenenwelt auf. Macht es unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch Sinn, es weiterzuführen?

Es geht darum, dass in der Bevölkerung eine Haltung entwickelt wird, die Rechtsextremismus nicht duldet. Dafür ist die Erwachsenenwelt genauso verantwortlich wie die Jugendlichen.

Hatten Sie als Projektleiter des GGG-Fons Kontakte zur Skinhead-Szene?

Nein, zu niemanden. Wenn man gegen Gewalt und Rassismus ist und sich klar positioniert, wie wir das beim GGG-Fon gemacht haben, sind wir für die Skinheads, zumindest für die hartgesottenen unter ihnen, sicherlich keine Ansprechpartner.

Sie sind also vor allem eine Anlaufstelle für Punks?

Nein, wir sind für alle da. Auch für die vielen Jugendlichen, die sagen, sie fänden dieses Links-Rechts-Schema bemühend. Sie sehen sich nicht als Linke, haben aber auch mit den Skinheads nichts am Hut.

Ein Ziel des Projekts war ja auch, ausstiegswillige Skins zu unterstützen. Gab es solche Fälle?

Nein, keinen einzigen. Doch in diesem Bereich habe ich eine sehr strikte Haltung: Ich mache keine so genannt «akzeptierende Jugendarbeit», wie sie in Deutschland praktiziert wird, indem der Jugendarbeiter in die rechte Gruppe eindringt und mit den Skins zu arbeiten versucht. Die Gefahr, hineingezogen und instrumentalisiert zu werden, erachte ich dabei als zu gross. Natürlich wäre ich bereit, ausstiegswillige Skins zu unterstützen, doch dafür wäre ein klares Bekenntnis – «ich will aus dieser Szene raus» – nötig. Dieser Schritt muss zuerst passieren.

Besteht diese Gefahr auf der Gegenseite nicht genauso?

Nein, weil der GGG-Fon als Beratungsstelle funktioniert, die unabgängig von den einzelnen Gruppierungen ist.

Haben Sie aus der Skinhead-Szene jemals einen Hinweis auf eine geplante Aktion bekommen?

Nein. Informationen dieser Art bekommt – wenn überhaupt – eher die Polizei.

Das GGG-Fon ist auf Juni befristet. Münchenbuchsee ist daran interessiert, das Projekt zu regionalisieren, das heisst, dass sich andere Gemeinden ebenfalls daran beteiligen sollen. Ja, das Interesse ist gross. Ich habe in den letzten Wochen zahlreiche Vorträge gehalten, denn viele Gemeinden haben ähnliche Probleme wie Münchenbuchsee. Am 3. Juli findet zudem ein Treffen mit dem Verein Region Bern statt. Diese Vereinigung, der alle Gemeinden rund um Bern angehören, hat Interesse signalisiert, das Projekt zu regionalisieren und es damit breiter abzustützen. Die Gemeinde Schüpfen, wo es erst vor kurzem zu Zwischenfällen mit Rechtsextremen gekommen ist, hat das GGG-Fon bereits aufgeschaltet und entsprechende Flyers verteilt. Schliesslich macht es keinen Sinn, über längere Zeit ausschliesslich Münchenbuchsee im Fokus zu haben. Ich will mit anderen Gemeinden zusammenspannen, die ähnliche Probleme haben. Wird das GGG-Fon grossräumig angelegt, kann man die Skinhead-Szene, die bekanntlich sehr mobil ist, besser beobachten. Das Projekt ist relativ günstig. Bei einer Regionalisierung könnte es ohne grossen Aufwand erweitert werden.

Hört man den Behörden zu, so entsteht häufig der Eindruck, es herrsche in Münchenbuchsee eine Art Bandenkrieg zwischen linken Punks und Rechtsextremen. Stimmt das?

Indem man das Problem als Bandenkrieg und somit als Jugendproblem darstellt, nimmt man ihm die gesellschaftspolitische Dimension. Dadurch werden die Behörden und die Bevölkerung von ihrer Verantwortung befreit. Teilweise tragen die Auseinandersetzungen aber tatsächlich Züge eines Bandenkrieges: Es gibt zwei rivalisierende Gruppen, die sich gezielt angreifen.

Über die Antifa-nahe Gruppe «Infrarot» werden immer wieder Fälle von Jugendlichen publik, die von Skinheads angegriffen worden seien. Meistens wollen die Betroffenen aber ihren Namen nicht preisgeben und erstatten auch keine Anzeige bei der Polizei. Wie glaubwürdig sind solche Berichte?

Viele Jugendliche haben Angst. Die Angst ist offensichtlich so gross, dass sie nicht bereit sind, den eigenen Namen zu nennen. Immer wieder habe ich von Jugendlichen Aussprüche gehört wie: «Wenn ich den Namen sage, bin ich dran.» Es ist deshalb wichtig, dass sie die Möglichkeit haben, anonym zu bleiben. Zudem haben vor allem die Punks oft Skrupel, zur Polizei zu gehen.

Das Skinhead-Problem ist in Münchenbuchsee seit drei Jahren akut und mittlerweile schweizweit bekannt. Wieso haben die Behörden erst so spät reagiert? Das GGG-Fon blieb bis heute die einzige konkrete Massnahme.

Jede Gemeinde will solange als möglich vermeiden, in Negativschlagzeilen zu geraten, um für Neuzuzüger attraktiv zu bleiben. Insgesamt werte ich es aber als sehr positiv, dass Münchenbuchsee mit dem GGG-Fon endlich etwas unternommen hat.

Polizei ist gewappnet

MÜNCHENBUCHSEE / Die Polizei hat für den heutigen Buchsi-Märit zahlreiche Massnahmen getroffen.

dre. Hans Kuster, Sicherheitsbeauftragter von Münchenbuchsee, sieht dem heutigen Dorfmarkt gelassen entgegen. «Wir sind gewappnet», erklärt er auf Anfrage. Alle Polizisten des Buchser Postens seien vor Ort, verstärkt durch eine Doppelpatrouille der privaten Sicherheitsfirma «Securitas». Ebenfalls in Bereitschaft versetzt sei die Berner Kantonspolizei. Die Bahnpolizei werde zudem insbesondere die späten Züge überwachen. Doch das ist noch nicht alles: «Im Vorfeld haben wir sowohl mit den Skinheads als auch mit den Chaoten Gespräche geführt», sagt Gemeinderat Bruno Mohn (sp), der im Gemeinderat für die öffentliche Sicherheit zuständig ist. Beide Lager hätten Bereitschaft signalisiert, sich ruhig zu verhalten und Konfrontationen zu vermeiden. Vor zwei Jahren kam es am traditionellen Buchsi-Märit mit Ständen, Chilbi und Beizenbetrieb bis um Mitternacht zu Zusammenstössen zwischen Skins und linken Jugendlichen. Vergangenes Jahr konnte die Polizei im letzten Augenblick dazwischen treten und «Ansätze der Gewalt» verhindern, erzählt Mohn.