«Ich verurteile diese Rituale klar»

Aargauer Zeitung

Armee Oberauditor Dieter Weber zu RS-Ritualen, zu Rechtsextremen in der Armee und zu geheimen Bunkern

Brigadier Dieter Weber, Oberauditor der Armee, würde die Abschaffung der Gewissensprüfung bei der Zulassung zum Zivildienst begrüssen. Zudem spricht er sich für die Überprüfung der Klassifizierung geheimer Bunker aus.

Daniel Foppa

Herr Weber, ist die Militärjustiz noch zeitgemäss?

Dieter Weber: Ich bin überzeugt, dass die Armee eine eigene Justiz braucht. Sie gewährleistet, dass alle Armeeangehörigen in der ganzen Schweiz derselben Strafprozessordnung unterstehen. Im zivilen Strafrecht haben wir 26 verschiedene Prozessordnungen.

Diese sollen demnächst vereinheitlicht werden. Braucht es trotzdem weiterhin eine Militärjustiz?

Weber: Ja. Militärgerichte sind Fachgerichte. So wie es Arbeits-, Miet- oder Jugendgerichte sind. Hier urteilen Spezialisten mit entsprechendem Fachwissen über spezifische Fälle. Diese Vertrautheit mit der Materie bringt Vorteile für alle. Der Militärrichter kennt die besonderen Verhältnisse im Militär und kann sie berücksichtigen.

Nun könnte man sagen, die Militärjustiz ermöglicht es der Armee, Problemfälle ohne unabhängige Instanz «intern» zu lösen.

Weber: Dem ist nicht so. Die Militärjustiz ist absolut unabhängig – von der Armee wie vom VBS. Das wurde stets anerkannt, auch vom Europäischen Menschenrechtshof. Als Oberauditor unterstehe ich nicht dem Chef der Armee, sondern Bundesrat Samuel Schmid. Und auch er kann nicht anordnen, ob und wie ein Verfahren durchzuführen ist. Die Unabhängigkeit wird auch dadurch garantiert, dass die Richter des höchsten Militärgerichts, des Militärkassationsgerichts, durch das Parlament gewählt werden – wie dies auch bei den Bundesrichtern der Fall ist.

Wie hat sich die Aufgabe der Militärjustiz im Laufe der Zeit gewandelt?

Weber: Es findet heute vermehrt ein Dialog statt zwischen Richtern und Angeklagten. Die Zeiten der abgehoben über dem Angeklagten sitzenden Militärrichter sind vorbei. Das Gericht geht mehr auf den Angeklagten ein. Das Obrigkeitsdenken hat einem gesellschaftlichen Trend folgend zu Recht auch in der Militärjustiz abgenommen.

Hat die Militärjustiz dann nicht mehr zu tun, wenn das Obrigkeitsdenken abnimmt?

Weber: Das ist zum Teil so. Es werden tendenziell mehr Untersuchungen eröffnet. 1996 waren es 1523 Fälle, letztes Jahr 2288. Dabei ist der einst verbreitete Fall von grundsätzlicher Dienstverweigerung heute fast kein Thema mehr. 2005 erfolgten deswegen noch 40 Verurteilungen. Der Rückgang hat mit der Einführung des Zivildienstes, aber auch mit der medizinischen Entlassung von Armeeangehörigen zu tun. Man ist zu Recht sehr grosszügig mit der Zulassung zum Zivildienst. Über 90 Prozent der Personen, die Zivildienst leisten wollen, dürfen das auch. Zu Recht wird diskutiert, ob die Zulassungsprüfung abzuschaffen ist.

Der Oberauditor der Armee würde das begrüssen?

Weber: Wenn jemand bereit ist, den anderthalbmal so langen Zivildienst anstelle des Militärdienstes zu leisten, ist das für mich Tatbeweis genug. Wichtig ist, dass die grundsätzliche Dienstbereitschaft vorhanden ist. Aber dies ist ein Entscheid, den die Politik fällen muss.

Trotz des markanten Rückgangs bei den Dienstverweigerern nehmen aber die von Ihnen behandelten Fälle zu.

Weber: Dies ist vor allem auf die Zunahme der vorsätzlichen Dienstversäumnisse zurückzuführen. Deswegen erfolgten letztes Jahr 655 Schuldsprüche. Die Hemmschwelle, einem Aufgebot nicht Folge zu leisten, ist gesunken. Wenn jemand nicht einrückt, kann das diverse Gründe haben: Der Armeeangehörige hat einfach im Moment keine Lust dazu, er mag Ferien gebucht oder eine neue Freundin kennen gelernt haben. Weit vorne sind allerdings auch berufliche Gründe, und das verstehe ich auch zum Teil. Der Arbeitgeber hat heute weniger Verständnis für militärbedingte Abwesenheiten als früher.

Was tun Sie, wenn ein Armeeangehöriger auf Druck seines Arbeitgebers nicht zum Dienst erscheint?

Weber: Solche Fälle sind sehr schwer abzuklären. Denn auch wenn Druck vorliegt, möchte sich der Arbeitnehmer meist nicht so weit zum Fenster hin auslehnen und den Arbeitgeber beschuldigen. Zweifellos gibt es aber Fälle, in denen Arbeitnehmern mit der Verweigerung einer Lohnerhöhung oder dem Verlust der Stelle gedroht wird, wenn sie in den Dienst gehen. Es wurden in Einzelfällen schon Verfahren wegen Anstiftung oder gar Nötigung gegen Arbeitgeber eröffnet. Diese Fälle gehen dann über an Zivilgerichte. Solche Umstände werden beim Strafmass für den säumigen Armeeangehörigen berücksichtigt.

Sie müssen auch bei Verletzungen des humanitären Völkerrechts aktiv werden. Wieso ist das Sache der Militärjustiz?

Weber: Die Genfer Konventionen verpflichten die Schweiz, einen Kriegsverbrecher, der sich in unserem Land befindet, entweder auszuliefern oder an ein internationales Gericht zu überstellen – oder ihn selber zu beurteilen. In der Schweiz sind seit 1949 die Militärgerichte für solche Fälle zuständig. Der Bundesrat will dies nun aber ändern. Künftig sollen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom Bundesstrafgericht in Bellinzona behandelt werden. Ich erachte das als sinnvoll.

Täuscht der Eindruck, oder greift die Militärjustiz bei In itiationsritualen in Rekrutenschulen härter durch als früher?

Weber: Ich verurteile diese Rituale klar. Ich weiss aber, dass es solche Fälle immer schon gegeben hat. Früher wurden sie zumeist truppenintern geregelt. Heute wird vermehrt die Militärjustiz eingeschaltet; nur schon weil der öffentliche Druck zugenommen hat. Dadurch sind die Truppenkommandanten verunsichert und verlangen häufiger als früher eine vorläufige Beweisaufnahme.

Begrüssen Sie diese Entwicklung?

Weber: Primär muss der Kommandant den Fall beurteilen, mit Disziplinarstrafen hart durchgreifen und weitere Vorfälle unterbinden. Hat er das Gefühl, es liege ein so schwerwiegender Fall vor, dass dieser mit zehn Tagen Arrest nicht genug geahndet werden kann, soll er die Militärjustiz einschalten.

Was ist mit dem Fall von Isone, wo vier Armeeangehörige rassistische Äusserungen gemacht haben sollen?

Weber: Die Militärjustiz riet von einem Verfahren ab. Der Untersuchungsrichter der Militärjustiz hatte die Einstellung des Verfahrens und eine disziplinarische Bestrafung beantragt. Er sah den Tatbestand der Rassendiskriminierung wegen fehlender Öffentlichkeit in diesem speziellen Fall nicht erfüllt. Der Schulkommandant und ich forderten jedoch die Eröffnung eines Strafverfahrens, was unterdessen geschehen ist. Es ist keineswegs so, dass in der Armee grundsätzlich keine Öffentlichkeit besteht, wie das verschiedene Medien falsch vermeldet haben. Dass dem so ist, zeigt der Umstand, dass bereits in mehreren Fällen Armeeangehörige wegen Rassendiskriminierung verurteilt wurden.

Hat es Platz für Rechtsextreme in der Schweizer Armee?

Weber: Nein, das hat es nicht. Diesbezüglich herrscht null Toleranz. Man muss aber unterscheiden, ob eine solche Äusserung bloss einmalig aus jugendlichem Übermut geschieht oder ob tatsächlich eine rechtsextreme Gesinnung dahinter steckt. Wird aber jemand wegen Rassendiskriminierung verurteilt, ist er aus der Armee auszuschliessen.

Ist das schon vorgekommen?

Weber: Solche Fälle gibt es. Wir sind aber machtlos, wenn sich jemand im Militär korrekt aufführt, in Zivil aber rechts extrem auffällt. Wenn sich die Person im Militärdienst nicht strafbar macht, kann die Militärjustiz gegen ihn nicht vor gehen. Die Armee kann ihn jedoch vom Dienst suspendieren.

Weshalb ermitteln Sie in der so genannten Fax-Affäre gegen Journalisten des «SonntagsBlicks»?

Weber: Die Militärjustiz führt zwei Verfahren wegen Verletzung militärischer Geheimnisse: eines gegen Unbekannt, das andere gegen den «SonntagsBlick». Zuständig ist die Militärjustiz, weil bei Geheimnisverletzungen auch Zivilpersonen der militärischen Gerichtsbarkeit unterstehen.

Wenn jemand öffentlich den Standort eines klassifizierten Bunkers nennt, wird gegen ihn eine Untersuchung eingeleitet, auch wenn die Information kein Geheimnis mehr ist. Ist das nicht ein Verhalten wie im Kalten Krieg?

Weber: Ich war und bin nicht glücklich über diese Fälle. Doch die zuständigen Behörden von Bund und Kantonen bestimmen, welche Objekte geheim sind. Werden Geheimhaltungsvorschriften verletzt, muss die Militärjustiz die Gesetzesbestimmungen vollziehen. Ich denke aber, dass gewisse Klassifikationen überprüft werden sollten.

oberster militärjuristBrigadier Dieter Weber ist seit 1998 Oberauditor der Armee. Der 57-jährige Dr. iur. und Berner Fürsprecher ist Chef von 407 Armeeangehörigen, die als Gerichtsschreiber, Untersuchungsrichter, Auditoren oder Gerichtspräsidenten Militärdienst leisten. Die Militärjustiz führt Strafverfahren bei Delikten von Angehörigen der Armee, des Grenzwachtkorps und des uniformierten Personals der Militärbetriebe durch. In leichten Fällen kann der Truppenkommandant einen Armeeangehörigen disziplinarisch bestrafen (mit Ausgangssperre, Arrest bis zehn Tagen oder einer Busse bis 500 Franken), ohne dass die Militärjustiz zum Einsatz kommt. Die Militärjustiz ist auch zuständig für Verfahren gegen Zivilisten, die sich wegen Verletzung militärischer Geheimnisse strafbar machen, sowie gegen Personen, die gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht verstossen. Nächsten Mittwoch ist im Nationalrat eine Parlamentarische Initiative von Joe Lang (Grüne, Zug) zur Abschaffung der Militärjustiz traktandiert. heike grasserWird aber jemand wegen Rassen diskriminierung verurteilt, ist er aus der Armee auszuschliessen