Hitlergruss in der RS

Blick

Skandal-UrteilE Nur 4 bis 51/2 Jahre für brutale Skin-Schläger

Mutter des Opfers«Die Richter sind schlimmer als die Täter»

Von MARTIN REICHLIN

FELBEN-WELLHAUSEN TG. Es sind skandalöse Urteile des Bezirksgerichtes Frauenfeld. Grundlos wurden Stefan (19) und Dominik (17) von sieben feigen Neonazis verprügelt. Nur mit Glück überlebte Dominik. Aber er bleibt behindert – lebenslänglich. Die Täter aber sind in wenigen Jahren wieder frei.

Rosmarie B.* versteht die Welt nicht mehr. Eigentlich ist Dominiks Mutter eine starke Frau. Öffentlich hat sie dafür gekämpft, dass die brutale Tat an ihrem Sohn nicht vergessen wird. Und gehofft, dass die Gerechtigkeit siegt. Jetzt aber sitzt sie vor dem Gemeindehaus von Felben-Wellhausen. Zusammengesunken, von Weinkrämpfen geschüttelt.

Drinnen, im stickigen, vollbesetzten Gemeindesaal verkündet Gerichtspräsident Rudolf Fuchs immer noch die Skandal-Urteile. Vier bis fünfeinhalb Jahre Knast für die Schläger, die Dominiks und Stefans Leben für immer gezeichnet haben. «Was sind das nur für Menschen?», bricht es aus Rosmarie B. heraus. Und laut ruft sie den Richtern im Gemeindehaus zu: «Die sind ja noch schlimmer als die Täter!»

Zur Erinnerung: Am 26. April 2003 wollen Dominik und Stefan ein Ska-Punk-Konzert im Frauenfelder Eisenwerk besuchen. Doch das Konzert ist ausverkauft und so machen sich die Burschen auf den Heimweg.

Sie kommen nicht weit. Gegen 23.30 Uhr begegnen sie sieben Rechtsextremen: Ivo H.* (25), Adrian J.* (22), Maurice L.* (20), Alex R.* (23), Andreas S.* (20), Urban S.* (22) und Silvan M.* (+). Die Neonazis sind nach Frauenfeld gefahren, um «Linke» bewusstlos zu prügeln. Einfach so.

Die Schläger erkennen Dominik und Stefan sofort als Opfer. «Die nämme mer no» ist das einzige Kommando, das fällt. Dann fächern sie sich auf, bilden eine V-Kampfformation und starten ihre Attacke.

Mit einer leeren Flasche, behandschuhten Fäusten und Füssen in Kampfstiefeln greifen sie an – und lassen ihrer Beute keine Chance. Selbst als Stefan und Dominik kriechend fliehen wollen, treten die Schläger weiter, springen auf den Verletzten herum. Bis diese das Bewusstsein verlieren.

Gegen Mitternacht werden Stefan und Dominik am Bahnhof gefunden. Beide haben schwere Kopfverletzungen, Stefan vor allem im Bereich des linken Auges, Dominik im Gesicht und am Hinterkopf. Er fällt ins Koma und überlebt nur dank einer Notoperation. Dabei muss ein Teil seines Gehirns entfernt werden.

Das alles kümmert die teils vorbestraften Täter wenig. «Scheissegal» ist es «Blood&Honour»-Nazi Ivo H., was mit den Opfern passiert. Er hatte in Frauenfeld sogar ein Wasserleitungsventil dabei. Um es wenn nötig als Schlagring einzusetzen. Andreas S. trug Handschuhe, «weil ich nicht so gerne Blut an den Händen habe».

Nun nehmen die sechs Schläger im Saal mit versteinerten Minen die milden Urteile entgegen. Anführer Ivo H.: 51/2 Jahre Zuchthaus. Adrian J.: 5 Jahre. Maurice L.: 5 Jahre. Alex R.: 4 3/4 Jahre. Andreas S.: 41/2 Jahre. Urban S.: 4 Jahre.

Das Glück der Schläger: Obwohl sie Dominik fast zu Tode geprügelt haben – die Richter erkennen keine Tötungsabsicht.

So werden sie nur für schwere Körperverletzung an Dominik und versuchte schwere Körperverletzung an Stefan verurteilt.

Der letzte Schläger ist schon in 4 Jahren wieder frei. Dominik aber bleibt für immer behindert. Und er weiss es.

*Namen der Redaktion bekannt

Dominiks Mutter wischt sich die Tränen aus dem Gesicht.

Dominik wird für immer geistig behindert sein.

4 Jahre Zuchthaus: Neonazi-Schläger Urban S. Ebenfalls verurteilt: einer der anderen Neonazi-Schläger.

5 Jahre Zuchthaus: Neonazi-Schläger Adrian J.

Auch 15 Jahre Zuchthaus wären möglich

ZÜRICH. Ist das Urteil gegen die Skin-Schläger gerecht? BLICK sprach mit dem Zürcher Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch (40).

BLICK Das Gericht beurteilt die Tat lediglich als schwere Körperverletzung, obwohl das Opfer beinahe gestorben ist.

Daniel Jositsch «Meiner Ansicht nach ist dies eine versuchte eventualvorsätzliche Tötung. So wurde auch kürzlich im „Berner Postgass-Prozess“ entschieden. (Anm. der Redaktion: Zwei Täter wurden wegen Tötungsversuches verurteilt. Sie hatten einen Velofahrer beinahe zu Tode geprügelt.) Wer dermassen brutal auf einen Menschen einschlägt, muss mit dessen Tod rechnen.»

Das Gericht meint, selbst wenn jemand plane, das Opfer regungslos zu schlagen, könne man daraus nicht schliessen, dass auch dessen Tod in Kauf genommen werde.

«Dies kann ich nicht nachvollziehen. Es handelt sich um einen Eventualvorsatz. Insbesondere wenn man auch die Bundesgerichtspraxis im Zusammenhang mit den Raser-Urteilen berücksichtigt.»

Ist das Strafmass nicht selbst bei schwerer Körperverletzung viel zu tief?

«Man muss sich wirklich fragen, weshalb schweizerische Gerichte den Strafrahmen nicht mehr ausschöpfen. Theoretisch wären in diesem Fall 15 Jahre Zuchthaus möglich gewesen. Die meisten Täter zeigten weder Reue noch Einsicht. Für mich ist kaum ein gravierenderer Fall denkbar.»