Heil dir, Helvetia

SonntagsBlick

Sie sind jung und verblendet. Ihre Lieder und Parolen sind widerlich und voller Hass. Ihre Schläger sind brutal und ohne Skrupel. Und die wenigen, die sich ihnen entgegenstellen, werden verlacht. Die Mehrheit aber schweigt und schaut einfach weg. Die Neonazis haben in der Schweiz ein leichtes Spiel

Text: Nina Hermann

Zu einem spontanen Interview mit Foto ist er gern bereit, gleich bei einem kameradschaftlichen Du und auf den ersten Blick überhaupt total lieb und nett. Stolz wie ein kleiner Junge stand der kräftige 23-Jährige schon bald eine Stunde am Schlachtfeld bei Sempach LU und streckte mit unermüdlichem rechten Arm eine grosse Fahne in das schwüle Lüftchen. Es ist die Schweizerfahne und auf ihr prangt der Morgenstern, jenes antiquierte Mordinstrument, welches der rechtsextremen Pnos (Partei national orientierter Schweizer) als Logo dient.

Es war im letzten Juli. «Nur die da bitte nicht fotografieren.» Der Nachwuchspolitiker Dominic Lüthard aus Roggwil BE nickte zur Seite, zu seinen gut fünfzig jungen Kollegen, darunter die Kahlrasierten von der Helvetischen Jugend und der Blood-&- Honour-Sektion. Lüthard selbst trägt das Haar unverdächtig, dazu Dreitagebart. Er könnte auch ein Linker sein.

Sittsam hatten sich die Rechtsextremen dem traditionellen Festumzug zum 620. Todestag des heldenhaften Winkelried angeschlossen. Vorne die Trachtengruppen und lokalen Würdenträger, hinten die Braunen im geschlossenen Block mit Pnos-Fahne, so waren sie hinaufgezogen zur Kranzniederlegung am Sempacher Schlachtfeld – wie in den Jahren zuvor. Die Spuckattacke eines Skinheads auf den Sie+Er-Fotografen hat allerdings keiner der Besucher mitbekommen. «Es ist schön, dass wieder junge Leute kommen», findet ein älterer Herr.

«Keine Toleranz den Rechtsextremen -weder in Sempach noch anderswo», stand hingegen auf den Flugblättern, die Linksaktivisten von einer Brücke auf den Umzug flattern liessen. «Darüber kann ich nur schmunzeln», sagte Dominic Lüthard. Wegen Attacken auf Linke und Türken ist er vorbestraft, als «gutmütigen Roggwiler» beschreibt er sich jedoch auf der Internet-Seite der Partei. Den Hass lebt der Rechtspolitiker in seiner Band aus: «Der Teufel soll euch holen, ihr mit euren dummen Parolen. Denn jetzt sind wir bereit, von unseren Ketten für immer befreit», brüllt er in seinem Song «Gegenschlag» über die linken «Zecken». Er ist der Kopf von Indiziert, der bekanntesten Rechtsrockband in der Schweiz.

Die Musik ist ein grosser Verführer. Im «Bericht Innere Sicherheit» des Bundesamts für Polizei heisst es: «Durch die intensiven Rekrutierungsversuche von Rechtsextremen über Musik zeichnet sich ein Anwachsen der Szene ab. Die Gefahr steigt damit, dass während des ganzen Jahres die Vorfälle zunehmen, und dass es häufiger zu Gewalttaten (…) kommt.» Vor knapp einem Jahrzehnt zählte die Polizei noch 300 Mitglieder zum Kern der rechtsextremen Szene, heute sind es 1200.

Dominic Lüthard hat ein turbulentes Jahr 2006 hinter sich. Spektakuläre Bandauftritte, Kandidatur für den Gemeinderat in Roggwil und dann auch noch allerlei Anzeigen am Hals. Im Juni wurden er und seine drei Bandkollegen vom Untersuchungsrichteramt Emmental-Oberaargau wegen Verstosses gegen die Antirassismus-Strafnorm verurteilt. Grund: die Texte der Indiziert-CDs «Eidgenössischer Widerstand» und «Marsch auf Bern». Die jungen Männer kämpfen in ihren Liedern für eine «reine, weisse Schweiz», die sich ihrer «fremden Brut» entledigt: «Da hilft kein Winseln und Um-Gnade-Flehen, denn Erbarmen gibt es nicht, das werdet ihr schon sehen.» Die Band erhob gegen das Urteil Einspruch.

Hilfe von Zeitgeist und SVP

Die umstrittene Antirassismus-Strafnorm: Man könne angesichts dieses Maulkorbes nicht mehr offen über die Probleme mit Ausländern reden, findet besonders die SVP und hat den gescholtenen Artikel 261 des Strafgesetzbuches als Spielball fürs Wahlkampfjahr 2007 freigegeben. Das Gesetz besagt: Es wird bestraft, wer öffentlich gegen eine Person wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass und Diskriminierung aufruft. Auch Leugnung und Verharmlosung von Völkermord ist verboten. «Rassenmischung ist Völkermord», grölt Dominic Lüthard in einem seiner Lieder.

In Deutschland, wo Indiziert bei Partys der nationalsozialistischen NPD aufspielt, steht ihr Liedgut schon seit 2005 wegen «Anreiz zum Rassenhass» auf dem Index. Auch in der Schweiz schien der Fall Indiziert klar, bis letzten November der zuständige Gerichtspräsident von Burgdorf BE verkündete: Verfahren aufgehoben, die Texte verstossen doch nicht gegen das Antirassismus-Gesetz. Selbst die in dunklen Sonntagsanzügen auftretenden Angeklagten zeigten sich von dem vorweihnachtlichen Präsent «positiv überrascht».

Auch als Politiker bekommt Dominic Lüthard derzeit Rückenwind, und zwar vom Nerv der Zeit. Stichwort Islam. Unter dem Motto «Stoppt die kulturfremden Bauten» demonstrierte die Pnos vor einem Monat gegen das in Langenthal BE geplante Minarett. Auch Blood & Honour hatte im Internet zur Kundgebung aufgerufen. Blood & Honour ist ein internationales Neonazi-Netzwerk, welches seine rassistische Ideologie durch die Organisation von Skin-Konzerten und den Vertrieb von Hassmusik verbreitet. Aktivisten der Bewegung gründeten im Jahr 2000 die Pnos.

In Langenthal hielt Lüthard eine flammende Rede vor rund hundert Kameraden, während die Polizei unter Einsatz von Gummischrot eine Gegendemonstration von Linksautonomen sprengte. Der «Berner Zeitung» schauderte es in ihrem Beitrag vor dem «Spuk», womit das plötzliche Auftauchen der «gegen 100 Antifa-Leute» gemeint war. Nur Lobenswertes hingegen über den «friedlichen» Protest der Braunen. «Sogar die Zigarettenstummel haben sie eingesammelt», kommt ein Polizeibeamter zu Wort. «Überraschend neutral», so kommentierte Dominic Lüthard die mediale Begleitung des Langenthaler Kulturkampfes. Hilfreich sicherlich, dass auch die SVP in verschiedenen Kantonen Vorstösse gegen den Bau von Minaretten eingereicht hat.

Der Traum vom Systemsturz

«Das Thema Ausländer brennt den Leuten nach wie vor am stärksten unter den Nägeln», erklärte SVP-Präsident Ueli Maurer zum diesjährigen Wahlkampf. Nur drei Prozent der Schweizer bezeichnen die Ausländer als ihr grösstes Problem, so ist es dem «Sorgenbarometer 2006» der Credit Suisse zu entnehmen. Allerdings besagt die jüngst veröffentlichte Studie auch: 74 Prozent der Eidgenossen sehen die «Schweizer Identität» durch die Einwanderung gefährdet. Hier wird es emotional, hier geht es um Ängste, hier schlummert Wählerpotenzial. «Es ist das Elend der Linken», sagte Kurt Tucholsky, «dass sie den Begriff der Heimat der Rechten überlassen hat.»

Die Pnos, 2001 von der Bundespolizei als rechtsextrem eingestuft, träumt vom Systemsturz und einer «eidgenössisch-sozialistischen Schweiz». In die Schlagzeilen gerieten ihre Exponenten neben dem jährlichen 1.-August-Spektakel auf dem Rütli zunächst nur wegen diverser Straftaten – bis ein 20-jähriger Plattenleger überraschend einen Pnos-Sitz im Stadtparlament von Langenthal ergatterte und ein 19-jähriger Strassenbauer in den Gemeinderat von Günsberg SO einzieht. Der gelernte Kaufmann Lüthard (Slogan: «Jung, aktiv, zielstrebig …») verpasste als dritter Hoffnungsträger den Sprung in den Gemeinderat von Roggwil.

Lüthard bestreitet jeglichen Kontakt zur Neonazi-Szene, so stand es vor dem Wahltag in der Lokalpresse zu lesen. Die Mitteilung dieses Dementis ist in etwa so absurd, wie den Gemeindepfarrer den Kontakt zur Kirche leugnen zu lassen. Der dunkle Verdacht, dass es sich bei dem charmanten jungen Mann selbst um einen Neonazi handeln könnte, fiel im Zusammenhang nicht.

Bier trinken und Kreide fressen

Wenngleich die Pnos auf politischer Ebene komplett unbedeutend bleibt, scheint allein ihr Antreten bei Wahlen das Bild von der äussersten Rechten zu verändern. Die deutschen Freunde von der NPD haben es vorgemacht: Sonntagsanzug und Volksnähe statt Bomberjacke und Baseballkeule.

«Rechtsextreme haben zwei Grundnahrungsmittel, Bier und Kreide, die sie fressen», sagt der Zürcher Rechtsextremismus-Experte Jürg Frischknecht. «An öffentlichen Veranstaltungen stellen sie sich immer als die braven Lämmer dar.» Im Internet veröffentlichen sie hingegen blutige Hinrichtungsszenen von Frischknecht und anderen Kritikern.

Die meisten Opfer rechter Gewalt schweigen. So will ein 18-jähriger Thuner Lehrling nicht einmal anonym zitiert werden. Aus Angst vor Rache. Im Sommer 2005 hatte der einschlägig bekannte Neonazi Thomas R. am Bahnhof von Thun auf eine Gruppe linker Jugendlicher geschossen. Den Lehrling erwischte es am Oberschenkel. Die Waffe versenkte der Täter symbolträchtig an jener Stelle im Thunersee, wo vor einigen Jahren die rechtsextremen Mörder von Marcel von Allmen ihr Opfer ins Wasser warfen.

Im letzten Oktober kam es im Thuner Schloss zum Prozess gegen Thomas R. Das Gericht mochte dem Angeklagten in kaum einem seiner Ausführungpunkte Glauben schenken und verurteilte ihn wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu sechs Jahren Zuchthaus. Was die Richter dem 27-Jährigen, der zwei Hakenkreuze als Tattoos trägt, jedoch gemäss Urteilsverkündung explizit zugestanden, ist die angebliche Distanzierung von Gewalt und der rechten Szene. Obgleich diese Szene ihn bis zuletzt im Gefängnis besuchte, obgleich er kurz zuvor in einem Brief nach draussen damit prahlte, einen Gegner zu «Toilettenpapier» zu verarbeiten, wenn er wieder frei ist. Was unverständlich scheint, ist typisch: Keine Stadt möchte in den Ruf kommen, ein rechtes Problem zu haben.

Auch kein Kanton. Auch nicht der Aargau, der Heimatkanton von Indiziert, in dem die Polizei ein rasantes Anwachsen der rechtsextremen Szene bis auf zuletzt 500 Anhänger verzeichnet. Am letzten Wochenende sorgten gleich vier Massenschlägereien zwischen Rechtsextremen und Ausländern bzw. Linksautonomen für Aufsehen. «Aber der Aargau hat kein latentes Rechtsextremismus-Problem», versuchte Polizeisprecher Jörg Kyburz schnell die Wogen zu glätten.

«Fast allen fehlt ein präsenter Vater»

«Die Gesellschaft muss sich ins Gesicht schauen», verlangt hingegen Samuel Althof von der Aktion Kinder des Holocaust. Klare öffentliche Zeichen gegen Rechtsextremismus sind wichtig, doch: «Man kann den Leuten nicht einfach die Tür zuschlagen, nicht am 1. August auf dem Rütli oder sonst wo, ohne das Angebot, sie zurück in die Gesellschaft zu holen.» Repressionen allein fördern den Opfermythos und stärken die rechte Szene.

Wie aber konkret umgehen mit den Rechtsextremisten? Samuel Althof konfrontiert sie mit dem Feind. Dem Juden. Und der Jude ist er selbst. Durch gemeinsame Gespräche, «in denen Respekt und Humor ganz wichtig sind», hilft Althof Jugendlichen beim Ausstieg. Er weiss um das wirkliche Problem der jungen Rechtsradikalen: «Fast allen fehlt ein präsenter Vater.» Auch Studien zum Thema betonen familiäre Konflikte als Quelle des rechten Hasses. Kürzlich wollte Althof bei einer Veranstaltung im Baselbiet die interessierte Bevölkerung darüber aufklären. Dazu kam es nicht. Denn die Bevölkerung kam nicht. Nicht eine einzige Person war interessiert.

In jüngster Zeit stellt das Bundesamt für Polizei einen «Zuwachs von Aktivisten vor allem des harten Kerns» fest, während die Zahl der Mitläufer sinkt. Als Gründe nennt sie die Wahlerfolge der Pnos, die grössere Internet-Präsenz von Rechtsextremen sowie die vielen Skin-Konzerte im Lande. Die Schweiz gilt der internationalen Nazi-Szene als Konzertparadies, weil die Polizei kaum eingreift. Die übliche Begründung: Es habe sich kein Verstoss gegen den Rassismus-Artikel finden lassen.

«Lasst die Messer flutschen»

Wer nicht suchet, der nicht findet: Diesem Vorwurf musste sich 2005 stellvertretend die Polizei aus dem Wallis stellen, nachdem das Schweizer Fernsehen einen Mitschnitt von einer Blood-&-Honour-Party ausgestrahlt hatte. Vor einer tosenden Menge spielte die Zürcher Band Amok ihr «Blutlied»: «Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig, lasst die Messer flutschen in den Judenleib. Blut muss fliessen knüppelhageldick und wir scheissen auf die Judenrepublik.»

Trotz der damaligen Aufregung bereitet den Schweizern das braune Treiben immer weniger Sorge. Sahen im Jahr 2000 laut «Sorgenbarometer» noch 15 Prozent ein «wichtiges Problem» in der Ausländerfeindlichkeit, sind es aktuell noch neun Prozent. Als der Rassismus-Beauftragte der Uno im letzten Jahr kritisierte, es gebe in der Schweiz eine Tendenz zur Verharmlosung von Fremdenfeindlichkeit, wurde er von gewichtigen Volksvertretern kurzerhand für inkompetent erklärt. Besonders beunruhigt hatte sich der Uno-Experte über den grassierenden Rassismus bei Schweizer Polizeikräften geäussert.

Es ist nicht verboten, gegen Ausländer zu sein – so habe ihn der Vater eines Schülers belehrt, berichtet der ehemalige Rektor des Burgdorfer Gymnasiums Jürg Wegmüller. Schüler Cédric Rohrbach rutschte damals in die rechte Schlägerszene ab, heute ist er vorbestraft und spielt bei Indiziert. Beides gilt auch für seinen Bruder Alexander. Der Vater ist Fahnder bei der Kantonspolizei Bern.

Zwar leiden die Stadtväter von Burgdorf erklärtermassen unter den negativen Schlagzeilen, die ihnen die rechtsextreme Szene immer wieder einbringt, trotzdem gelang Indiziert in dem idyllischen Städtchen ein ganz besonderer Coup: Im letzten Frühjahr genehmigten die Behörden der Band ein Konzert mitten in der historischen Oberstadt. Hinterher wollte keiner der Verantwortlichen gewusst haben, «wer diese Indiziert sind», jene stadtbekannten Lokalmatadore also, von denen so viel zu hören ist.

«Indiziert», so Samuel Althof, «sind in ihrer Ideologie so verfestigt, da helfen Gespräche nicht weiter. Man muss ihre Ideologien kennen und sie sachlich widerlegen.» Das fällt schwer. «Ich habe zu wenig Motivation, mich da richtig reinzuknien», sagt Burgdorfs Stadtpräsident Franz Haldimann (SVP) über die Liedtexte der Band, «das ist zu abscheulich.»

Als Anfang September die Staatsmacht ein unangemeldetes Skin-Konzert im benachbarten Lotzwil nicht auflöste, begründete der Polizeidirektor das Verhalten seiner Leute unter anderem so: Die Konzertbesucher hätten gedroht, bei Abbruch der Veranstaltung in Burgdorf für Randale zu sorgen. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass die Männer von Indiziert den Lotzwiler Anlass organisiert haben.

Ex-Schulrektor Jürg Wegmüller führt das unentschlossene Auftreten gegen rechts in und um Burgdorf auf eine «Zwangsneurose» zurück. «Reflexartig heisst es immer: Vergesst aber nicht die Linksextremisten.» Wegmüller ist Zugpferd der Burgdorfer Initiative «Aktion Courage» und musste feststellen, dass er seit seinem Engagement gegen das braune Treiben von ehrenwerten Bürgern der Stadt geschnitten wird.

Auch Dominic Lüthard beschwert sich über die Verhältnisse. «Das Problem von Burgdorf ist, dass es eine Stadt ist. Da sind die Grünen und die Leute von der SP, da ist eine ganz andere Mentalität als auf dem Land», sagte er an jenem schwülen Julitag auf dem Sempacher Schlachtfeld. Dann erzählte er noch, er könne in Deutschland als Partei nur die NPD ernst nehmen. Warum? Er muss überlegen. «Vielleicht wird es so verständlich: Ich war letztes Jahr bei der NPD auf einem …» – er sucht nach einem passenden Wort – «… Kinderfest. Da gab es Getränke und Essen für alle umsonst – ausser natürlich für Ausländer. Das gibt es nirgendwo sonst. Das ist doch super.»