Glockenmarsch Unterseen gegen rechte Gewalt

Der Bund

Rede von Jürg Frischknecht

I. Auf den Mord an Marcel von Allmen haben viele mit «unvorstellbar» reagiert. Unvorstellbar? Leider ist eine solche Tat vorstellbar. Wir wissen zwar nicht, wie die «arischen Ritter» von Unterseen zur tödlichen Ideologie gefunden haben. Die Ideologie hingegen ist kein Buch mit sieben Siegeln. Dutzende von Nazirockbands propagieren mit ihrer Musik Hass und Gewalt gegen Minderheiten, Mord und Totschlag an den Feinden: den Zecken? den Linken? den Kanaken? den Nicht-Ariern?, den Verrätern. Ein Song einer Basler Skinband heisst «Verräter»: «Verlass dich drauf, wir kriegen dich.» Und eine rechtsextreme Homepage aus dem Kanton Solothurn droht Verrätern: «Das Schicksal wird auch euch ereilen.» Gewalt ist bei rechtsextremen Cliquen kein versehentlicher Ausrutscher. Sondern zentrale Botschaft.

In der Schweiz starben 1989 und 1990 – aber wer weiss das schon noch? – sieben Menschen bei rassistischen Gewalttaten: Jorge Gomez in Zürich, Mustafa Yildirim in Fribourg, Santhakumar Sivaguru in Regensdorf, in Chur Balamuganthan Kandian, Balamurali Kandian, Sathivel Thambirajah und Thevarajah Sinnethamby. In Deutschland begingen Rechtsextreme wiederholt Fememorde an Kameraden. Neu ist, dass auch in der Schweiz Rechtsextreme einen Kameraden umbringen. Die Brutalität, die uns hier aufwühlt, ist einmalig, Gewalt als erstbestes «Lösungsmittel» keineswegs. Zur Erinnerung: Vor einem Jahr schossen Ittinger Skinheads Sturmgewehrsalven auf eine linke Wohngemeinschaft. Militante Skins – erstmals auch Frauen?, verübten Anschläge gegen Asylunterkünfte. Berner Naziskins bastelten Bomben für die Szene. Die rechtsextreme Szene in der Schweiz? das sind in erster Linie 1000 Naziskins?, ist gewalttätig und gemeingefährlich.

Wer heute das Wort arisch wählt, bekennt sich zur möderischen Rassenpolitik des Dritten Reiches. Die «arischen Ritter» wollten die Ausländer aus dieser Gegend vertreiben. Der Mord bestätigt, was wir aus der Geschichte wissen: Nationalsozialismus und arischer Rassenwahn enden im Verderben. Damals für -zig Millionen, in dieser Gemeinde für fünf junge Männer. Denn Gewalt zerstört auch das Leben der Täter. Wer zu Gewalt greift, schadet auch sich selbst. Gewalt ist eine Sackgasse. Es ist auch eine Sackgasse, vorhandene Gewalt mit Gewalt zu quittieren.

II. Wie können Jugendliche heute noch provozieren? Mit himmelblauen Haaren? Mit einer Eisenwarenhandlung im Gesicht? Daran haben wir uns gewöhnt. Mehr Erfolg versprechen Hakenkreuz und Hitlergruss, Bomberjacke und Kampfstiefel. Oft stranden Jugendliche zufällig bei den Skinheads und nicht in einer anderen Clique. In der breitgefächerten Jugendszene gibt es einen neuen rechten Rand: Geil-Hitler-Cliquen. Die Pseudoskins? oft sind es noch Babyskins?, wissen zwar nichts über den verbrecherischen Diktator. Aber eines wissen sie: Hitler ist pfui. Also finden wir ihn geil. Geil wie einen Popstar. Aus Pseudoskins werden rasch Naziskins. Im Hintergrund gibt es, auch in der Schweiz, noch immmer eine Heil-Hitler-Szene. Gewalttätige Skins fallen nicht einfach vom Himmel, auch nicht vom Berneroberländer. Statt in den Skins nur das Böse schlechthin zu sehen, sollten wir uns fragen, auf welchem Humus diese Gewaltszene wächst, weiterhin wächst. Wir sollten uns fragen, wie weit die Naziskins etwas zu tun haben mit der Brutalisierung der Wirtschaft, mit dem gnadenlosen Verdrängungskampf zwischen Firmen, dem erbarmungslosen Konkurrenz-Hickhack zwischen Angestellten, mit dem Slogan, den ein Novartis-Manager in der Kaderausbildung verwendete: Kill to win. Töte, um zu gewinnen. Kann Töten jemals Gewinn bringen? Haben die Naziskins etwas zu tun mit der Entsolidarisierung der Gesellschaft, dem neuen Sozialdarwinismus – freie Bahn dem Tüchtigen, dem Rücksichtslosen -, mit der Demontage der sozialen Netze – wer rausfällt ist selber schuld?

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Anwachsen der Naziskins und der Demagogisierung der Politik, der Tatsache, dass eine erfolgreiche Partei Stimmen scheffelt mit der Hetze gegen «kriminelle Asylanten» oder Kosovo-Albaner, mit der Gleichsetzung von EU und Drittem Reich, von Nazis und den irgendwie verwandten Sozis? Also letztlich mit der Verharmlosung des Nationalsozialismus. Was Skinheads als Rückenwind empfinden.

III. Hätte jemand Marcel von Allmens Tod verhindern können? Ich weiss es nicht, ich lebe nicht hier. Ich wüsste es wohl auch nicht, wenn ich hier leben würde. Mein Appell für die Zukunft: Wenn Sie einen rassistischen Witz hören, wenn Skinheads mit Hakenkreuz oder Hitlergruss provozieren, wenn Rechtsextremisten einen Ausländer anmachen oder fertigmachen – schauen Sie nicht weg, schweigen Sie nicht, suchen Sie die Öffentlichkeit, schreiben Sie einen Leserbrief, erstatten Sie Anzeige, kurz: lassen Sie sich nicht einschüchtern. Skins sind schwache Figuren, die sich plustern. Sie wollen Angst einjagen. Spielen Sie in diesem üblen Game den Spielverderber. Wenn Sie das nächste Mal einen rassistischen Witz hören – Strickmuster: auf Kosten von -, sagen Sie doch ganz einfach: Sorry, ich habe den Witz, rein akustisch, nicht verstanden, wie geht er? Dann ist die Luft schon draussen – schlecht für Plusteri. Machen wir klar: Es liegt nicht drin, dass andere Menschen gedemütigt oder fertig gemacht werden. Wir wollen keine Ausgrenzung, keine Diskriminierung. Blasen wir den Rassisten ins Gesicht. Gegenwind statt Rückenwind.

Unser Einspruch gegen Ausgrenzung ist wichtig, so wichtig wie öffentliche Aktionen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt. Es ist gut, dass hier so viele zusammen stehen. Noch besser ist eine gute Politik. Mischen wir uns in die öffentlichen Angelegenheiten ein. Wenn es allen gut geht, braucht es keine Sündenböcke, braucht niemand auf noch Schwächeren herumzuhacken. Wenn es allen gut geht, haben Velofahrer schlechte Zeiten: jene, die nach oben buckeln und nach unten trampeln. Ich schliesse mit zwei Zitaten. Das eine stammt von Erich Fried:

Ein Faschist
der nichts ist als ein Faschist
ist ein Faschist.
Ein Antifaschist
der nichts ist als ein Antifaschist
ist kein Antifaschist.

Das andere Zitat ist gut zwei Jahrhunderte alt. Es war bis vor kurzem die allseits anerkannte politische Kultur auch des schweizerischen Staates, des Liberalismus wie der Arbeiterbewegung:

Liberté! Egalité! Fraternité!

Oder in der Sprache von heute: Demokratie und Selbstbestimmung! Menschenrechte für alle! Solidarität mit Schwächeren!