GESPRÄCHSRUNDE ZUM THEMA «NEBENEINANDER VON SCHWEIZERN

Landbote

UND AUSLÄNDERN IN JUGENDTREFFS»

Chancengleichheit als Rezept

Unter Jugendlichen sind teilweise fremdenfeindliche Tendenzenfestzustellen. Jugendarbeiter bemühen sich, diesen entgegenzuwirken.In einem Gespräch erklären die Leiter der Jugendtreffs Wülflingen,Oberwinterthur und Altstadt sowie ein Leiter des Jugendhauses, wie siedies anstellen wollen.

Gespräch: MIRJAM FONTI-BRUDERER

Landbote: Können Sie kurz schildern, wie sich die Situation in IhremTreff in Bezug auf Ausländer präsentiert?

Peter Marti:Bei uns in Oberwinterthur sind etwa 60 Prozent der Treffbesucher Schweizer. Runddie Hälfte der Ausländer stammt aus Ex-Jugoslawien, die übrigen aus anderen Staaten.

Aaron Steinmann: In meinen Jugendtreff an der Liebestrasse kommen gegenwärtig fast nur nochAusländer. Die meisten stammen aus dem Kosovo. Die Schweizer haben sichzurückgezogen.

Nik Gugger:In Wülflingen sind etwa 60 Prozent der Treffbesucher Ausländer. Ich führe sie inmeiner Denkart jedoch nicht als Ausländer, denn die meisten sind schon in der zweitenoder dritten Generation da. Nur etwa 20 Prozent der Besucher sind Ausländer, die erstseit kurzem in der Schweiz sind. Einen grossen Anteil machen Leute aus Bosnien,Serbien und der Türkei aus. Die restlichen 40 Prozent sind Schweizer.

Matthias Tobler:Im Jugendhaus verkehren nur sehr wenige Schweizer, die auch hier aufgewachsensind. Die meisten Besucher haben einen anderen kulturellem Hintergrund.

Wieso nutzen nicht mehr junge Schweizerinnen und Schweizer dasAngebot der Jugendtreffs?

Tobler:Ich vermute, dass Leute, die gut integriert sind, andere, verbindlichere Angebotenutzen. Zu uns kommen vor allem jene Jugendlichen, die nicht gebunden sind.

Steinmann: Bis vor etwa drei Monaten hatte ich im Treff vor allem Schweizer und Secondos. Dochdie Schweizer kommen nicht mehr, seit eine Gruppe Ausländer regelmässig bei miranzutreffen ist. In Gesprächen versuche ich nun, Gründe für ihre Ablehnung zufinden. Ein junger Schweizer hat gesagt, er hätte in der Schule schon genug Ärger mitden «Jugos», das brauche er in der Freizeit nicht auch noch. Dann wolle er unterSchweizern sein. Es herrschen leider auch viele Vorurteile.

Gugger: Schweizer haben Jugendtreff vielleicht weniger nötig, weil sie finanziell mehrMöglichkeiten haben. Ich habe kürzlich einen Ausflug in den Europapark angeboten.Zu meiner Freude haben viele Secondos dieses günstige Angebot genützt. Mir ist eswichtig, dass der Jugendtreff finanziell weniger gut gestellten JugendlichenZugangsmöglichkeiten bietet, die andere bereits haben.

Marti: In Oberwinterthur stelle ich eine Art Wellenbewegungen fest. Wir habengegenwärtig mehr Schweizer als Ausländer. Eine Durchmischung ist uns im Team sehrwichtig. Wenn es Anzeichen gibt, dass sich eine Gruppe nicht wohl fühlt, diskutierenwir das und suchen eine Lösung. Unser Vorteil ist, dass wir zwei Räume zurVerfügung haben, so dass sich die Jugendlichen ein bisschen verteilen können. KeineGruppe dominiert dann völlig.

Ist es nicht so, dass Schweizer Jugendliche sich auch verdrängenlassen, wie dies im Jugendtreff an der Liebestrasse passiert ist?

Steinmann:Man muss sich auch die Frage stellen: Hat die Ausländergruppe die Schweizer aktivverdrängt? Ich glaube nein. Die Schweizer scheuen die Konfrontation und haben sichdeshalb zurückgezogen. Die Gruppe aus dem Kosovo, die jetzt im Treff verkehrt, istnämlich sehr anständig.

Tobler: Es besteht ein wichtiger Unterschied zwischen dem Jugendtreff Altstadt und demJugendhaus. Wir haben mehrere Räume zur Verfügung. Das ist klar ein Vorteil. Wennnötig kann sich eine Gruppe zurückziehen. Ich habe festgestellt, dass sich dann mit derZeit eine Durchmischung trotzdem ergibt.

Herr Steinmann, haben Sie gar kein Verständnis dafür, dass sich dieSchweizer zurückgezogen haben?

Steinmann:Doch. Ein Stück weit schon. Die Schweizer haben den Treff umgebaut undeingerichtet. Aber es war von Beginn weg klar, dass der Treff allen offen steht. DieSchweizer haben keinen Besitzanspruch.

Sind die Vorurteile der jungen Schweizer gegenüber Ausländern völligunberechtigt? Es ist schliesslich aktenkundig, dass es immer wiederAusländergruppen gibt, die sich nicht an die Regeln halten.

Tobler:Es gibt schon Gründe, wieso Schweizer sich in Gegenwart von Ausländergruppennicht so wohl fühlen könnten. Wir Schweizer unterhalten uns beispielsweise kaum jelaut. Menschen aus anderen Kulturen diskutieren dagegen oft sehr laut und in einer unsfremden Sprache. Da kann Unsicherheit aufkommen. Ist das Streit? Oder wird nurdiskutiert? Wenn man dann nachfragt, heisst es: Wir haben einander eben erzählt, waswir gestern gemacht haben. In solchen Fällen weisen wir die Betroffenen darauf hin,dass ihr Verhalten andere verunsichert und bitten um Rücksichtnahme.

Gugger: Es gibt sicher Situationen, die Schweizern Mühe machen – beispielsweise, wenn siesich bedroht fühlen. Wir sind Bedrohungen nicht gewohnt, in anderen Kulturenhingegen sind sie gang und gäbe. Als Bedrohung empfinden viele auch, dassJugendliche aus Ex-Jugoslawien häufig in Gruppen auftreten. Doch das gehört zu ihrerKultur und ist nicht als Angriff gemeint.

Marti: Die Vorurteile der Schweizer sind meiner Meinung nach nur teils berechtigt.Ich stelle komische Tendenzen fest. Schweizer bezeichnen mit dem Wort «Jugos» alleJugendlichen, mit denen sie Probleme haben. Bei uns hat kürzlich eine Gruppeeingebrochen, zwei Jugendliche der Tätergruppe waren aus Ex-Jugoslawien, zweiwaren Schwei- zer. Aber für die Treffbesucher waren es einfach die «Jugos». Es istdaher heikel, Vorurteile auf eine ganze Volksgruppe zu übertragen.

Steinmann: Genau, das Generalisieren ist das Problem. Wenn drei Jungs einer Nationalität etwasanstellen, werden nachher alle verteufelt. Viele wollen nicht einsehen, dass man nichtalle in einen Topf werfen kann. Kürzlich hat zum Beispiel ein Jugendlicher steif undfest behauptet, Jugoslawen hätten ein kriminelles Gen. Ich möchte wissen, woher dieJugendlichen solche Ideen haben.

Gugger:Ich habe Ähnliches erlebt. Ein Treffbesucher hat mir erzählt, er wolle einenAusländerjungen umbringen. Die Mutter habe ihm gesagt, diese Ausländer seien einLumpenpack, und deshalb gehe es ihm so schlecht. Ich habe mit dem Jungen dasGespräch gesucht und ihn gefragt, was er denn für Freunde habe. Er zählte Albaner,Türken und Italiener auf. Ich fragte: Sind denn das alles «Soucheiben»? Er mussteverneinen.

Steinmann:Genau dort muss man einhängen …

Gugger:Klar. Aber genau dort hängen die Eltern oftmals nicht ein.

Was können Sie als Jugendarbeiter denn unternehmen, um Schwellenund Vorurteile abzubauen?

Tobler:Wir müsen einen Raum schaffen, in dem sich alle wohl fühlen. Alle ha- ben bei unsdie gleichen Rechte und den Anspruch, tolerante Gegenüber anzutref- fen. Dazubraucht es bestimmte Regeln.

Marti:Wir arbeiten genau gleich. Ich will einfach Chancengleichheit bieten. Damit mache ichgute Erfahrungen. Die Schweizer Jugendlichen sehen, dass sich Ausländer andieselben Regeln halten müssen. Und bei den ausländischen Jugendlichen kann manviele Aggressionen abbauen, wenn man ihnen dieselben Rechte, aber auch Pflichtenwie den Schweizern gewährt. Ich kann ein Beispiel nennen. Bei uns gilt die Regel,dass die verschiedenen Gruppen ihre Musik in einem festgelegten Turnus laufen lassendürfen. So wird niemand benachteiligt. Auf solche Details kommt es an.

Gugger:Mit solchen Regeln haben Schweizer oft mehr Mühe als Ausländern. Sie wollen dieseChancengleichheit teils gar nicht. Manche haben noch immer das Gefühl, sie seienetwas Besseres. Wenn ich ausländerfeindliche Tendenzen bei den Jugendlichenfeststelle, thematisiere ich das. Die Schweizer Jugend ist nicht rechtsextrem, doch sieorientiert sich vermehrt rechts, weil sie glaubt, dies sei ein Mittel, sich gegen Verlustund Verletzung zu wehren.

Regeln aufzustellen ist das eine, doch wie reagieren Sie, wenn sie nichteingehalten werden?

Tobler:Die extremste Strafe ist ein Hausverbot. Es macht aber einen grossen Unterschied, obein Ausschluss definitiv oder ob er als Denkpause gilt. Zudem bieten wir dieMöglichkeit, anstelle eines monatigen Hausverbots eine Wiedergutmachungauszuhandeln. Definitiv ausgeschlossen wird kaum jemand.

Gugger:Ich sehe das ähnlich, bei mir erhält jeder eine zweite Chance. Dennoch ist es mir einAnliegen, dass klare Spielregeln herrschen, deren Missachtung Konsequenzen zurFolge hat. Wir hatten einen Jungen im Treff, der sich rechtsextrem verhalten hat. Ichhabe ihm klar gesagt, dass ich dies nicht akzeptieren kann. Er wollte sich jedoch nichtändern, und deshalb musste ich ihn nach einer Verwarnung wegweisen. Sobald er abermeine Bedingungen akzeptiert, ist er wieder willkommen.

Marti:Wir haben noch nie ein Hausverbot erteilt. Wir versuchen, Probleme im Gespräch zulösen. Die Jugendlichen sind meist für eine einvernehmliche Lösung zu gewinnen. EinVorteil dieser Methode ist, dass Gewalt verhindert werden kann. Wenn wir Machtausspielen, ruft das Gegengewalt hervor. Ein Gespräch dagegen entschärft.

Tobler:Interessanterweise wünschen sich viele Jugendhausbesucher, wir würden beiRegelverstössen härter durchgreifen. Doch Ausschlüsse sind meines Erachtens nichtdas richtige Mittel. Das Ziel ist schliesslich die Integration.

Steinmann: ch habe festgestellt, dass es Junge gibt, die extra Blödsinn anstellen, damit ich sie inmein Büro zitiere. Dann kümmert sich endlich jemand um sie.

Gugger: Das kann ich bestätigen. Jugendarbeiter übernehmen zunehmend die Aufgaben einerFamilie. Viele Jugendlichen erhalten zuhause zu wenig Zuwendung und Zeit.

Was wünschen Sie sich?

Tobler:Ich wünsche mir, dass Jugendliche in guten Lebenszusammenhängen aufwachsenkönnen, das heisst ohne Krieg, dafür mit guten Ausbildungsmöglichkeiten für alle.Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, gibt es viel weniger Konflikte undKonkurrenzkämpfe.

Marti:Mein Wunsch wäre, dass die Öffentlichkeit den Wert von Experimentierfeldern wieJugendtreffs erkennt. Prävention muss wichtiger werden. Wenn es schon brennt, istein Einschreiten zu spät.

Steinmann:Es wäre schön, wenn wir Raum und Platz schaffen könnten für die Jugendlichen, undzwar nicht nur in Jugendtreffs. Junge Leute sollten ihren festen Gesellschaftsplatzerhalten, der ihnen auch gerecht wird.

Gugger:Ich wünsche mir für den jungen Menschen, dass er Zufluchtsorte wie Jugendtreffsoder das Daheim findet. Zudem wäre es an der Zeit, dass derIndividualisierungsprozess, der im Gang ist, einmal zum Stillstand kommt. Wirmüssen wieder lernen, etwas miteinander zu erleben, zu geniessen und zu teilen.Erfüllt sich dieser Wunsch, sind wir Jugendarbeiter wohl bald arbeitslos.