Gesetz schon heute «restriktiv ausgelegt»

Der Bund

antirassismusgesetz / 53 bürgerliche Nationalräte sehen die freie Meinungsäusserung in Gefahr und wollen deshalb das Antirassismusgesetz revidieren(siehe Seite 1). Die bisherigen Verfahren zeigen aber, dass die Richter den Gesetzestext restriktiv auslegen. Von einem «Maulkorb fürs Volk» könnekeine Rede sein, sagen Fachleute.

Autor: patrick feuz

Im Abstimmungskampf hatten die Gegner des Antirassismusgesetzes auf die Gefahr des Denunziantentums hingewiesen. Die befürchtete «Prozessflut» istjedoch ausgeblieben. 40 bis 50 Verfahren hat es seit Inkrafttreten der Strafnorm im Januar 1995 gegeben. Davon stammen mehrere von denGesetzesgegnern selber. Diese versuchen, die Antirassismus-Strafnorm zu pervertieren: So hat etwa Gerhard Förster, Verleger des Auschwitz-LeugnersJürgen Graf, Klage gegen den Zürcher Anwalt Sigi Feigel eingereicht. Andere Verfahren haben mit einer Einstellungsverfügung geendet, bei noch anderenist es nicht einmal so weit gekommen, weshalb sie nicht öffentlich wurden. Bei mehreren Verfahren liegen erstinstanzliche Urteile vor.

Diese Bilanz zieht Hans Stutz. Im Auftrag der Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz und der Stiftung gegen Rassismus und Antisemititsmus führt ergenau Buch. Seine aktualisierte Chronologie wird Ende August erscheinen. Für Stutz ist klar: «Die Richter legen den Gesetzestext relativ restriktiv aus.»Geahndet würden in erster Linie «Angriffe auf die Menschenwürde». Dies sei ganz im Sinn Professor Marcel Nigglis, der den Kommentar zum Gesetzverfasst hat.

«Tamil-Tourist» liegt drin
Auch andere Beobachter sagen, von einem «Maulkorb fürs Volk» könne keine Rede sein. Ein Beispiel: Der Berner Untersuchungsrichter Rolf Grädel hatdas Verfahren gegen den emeritierten Geschichtsprofessor Peter Stadler eingestellt. Stadler hatte 1996 an der Generalversammlung der Aktion für eineunabhängige Schweiz vor der Einwanderung von «Fremdvölkern» gewarnt. Der freie Personenverkehr im EWR setze «Unterschichten» in Bewegung wiebeispielsweise «Nordafrikaner französischer Herkunft mit ihrem Konfliktpotential». Für den Untersuchungsrichter sind diese Äusserungen zwarherabsetzend, doch werde den Betroffenen nicht ihr Wert als Menschen abgesprochen. Ein anderes Beispiel: 1996 verurteilte das Bezirksgericht St. Gallenden Parteipräsidenten der kantonalen Auto-Partei sowie einen Kantonsrat zu je 500 Franken Busse. Die im Nationalrats-Wahlprospekt von 1995 enthalteneFormulierung «Ärgern Sie sich auch über die ungebremste Einwanderung von Schein-Asylanten und Tamil-Touristen?» sei rassistisch. Inzwischen ist dienächste Instanz, das St. Galler Kantonsgericht, zum gegenteiligen Schluss gelangt.

Für die Berner SP-Nationalrätin Ruth Gaby-Vermot ist der Entscheid des St. Galler Kantonsgerichts unverständlich. Andere Befürworterinnen undBefürworter des Gesetzes sind allerdings der Meinung, es sei durchaus im Interesse der Sache, dass nicht gleich eine Klage am Hals habe, wer Worte wie«Schein-Asylant» und «Tamil-Touristen» in den Mund nimmt. «Gegen solche Ausfälle muss auf der politischen Ebene argumentiert werden», findet auchMichele Galizia, stellvertretender Leiter der Kommission gegen Rassismus. Parteien und Behörden müssten eine klare Haltung einnehmen, wenn es in derpolitischen Auseinandersetung zu «Ausrutschern» komme und «Zeichen dieses diffusen Rassismus» auftauchten. So sei beispielsweise nichtstillschweigend zu akzeptieren, wenn ein Gemeinderat bei der Diskussion über Probleme mit Fahrenden sich der «Stammtisch-Sprache» bediene, wie diesin Kaiseraugst geschehen sei. Behörden hätten eine Vorbildfunktion.

Grundsätzlich gilt für Galizia: «Die Strafverfolgung darf immer nur äusserste Massnahme sein.» Ein klarer Fall für den Richter seien«Wiederholungstäter», Holocaust-Leugner und zur Gewalt aufstachelnde Skinheads.

Ein Urteil in Sachen Holocaust-Leugner fehlt bisher in der Schweiz. Mit Spannung erwartet wird vor allem der Prozess gegen Jürgen Graf vor demBezirksgericht Baden. Der notorische Auschwitz-Leugner ist inzwischen jedoch «unbekannten Aufenthalts», wie gestern im Zusammenhang mit einemanderen Verfahren bekannt wurde.