Geheimdienst warnte Polizei vor Nazis

Tages-Anzeiger: Der Nachrichtendienst hatte die St. Galler Kantonspolizei über das Konzert in Unterwasser im Toggenburg informiert. Diese liess die Rechtsextremen gewähren, obwohl das Gesetz ein Eingreifen ermöglicht hätte.

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Es war der Einmarsch einer unerwünschten Gruppierung: Rund 5000 Rechtsextreme zogen am Samstag nach Unterwasser, um im idyllischen Toggenburg eine Party zu feiern. Was harmlos als «Rocktoberfest» angekündigt war, entpuppte sich bald als Konzertveranstaltung für Rechtsextreme aus ganz Europa. Die Kantonspolizei St. Gallen verzichtete auf einen Abbruch der Veranstaltung. Sie begründete den Entscheid unter anderem damit, dass es sich um einen privaten Anlass gehandelt habe. Tatsächlich wurde etwa der Kartenverkauf im geschlossenen Kreis organisiert.

Marc Forster, Strafrechtsprofessor an der Universität St. Gallen, überzeugt die Argumentation nicht. «Nur weil die Organisatoren die Veranstaltung als privat bezeichnen und einen Türsteherdienst organisieren, bietet dies keinen Schutz vor der Rassismusstrafnorm.» Die Sachlage ändere sich, sobald Beweismittel auftauchten, die gegen den Rassismusartikel verstossen – etwa Videoaufnahmen von hetzerischen Hassreden. «Dann muss die Staatsanwaltschaft von Amtes wegen aktiv werden», sagt Forster.

Er erwähnt ein Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2004, das die Definition eines Privatanlasses veränderte. Die Richter hielten fest, dass Besucher einer Veranstaltung sich gegenseitig kennen müssen und ein Vertrauensverhältnis bestehen müsse – wie dies etwa an einem Stammtisch der Fall ist. Andernfalls fallen rassistische Äusserungen und Handlungen unter die Rassismus-Strafnorm.

So also auch beim Nazikonzert in Unterwasser, wo sich die meisten Teilnehmer nicht kannten. Für Forster ist klar: «Die Gesetzgebung in der Schweiz ist nicht zu lasch. Die Frage ist nur, ob sie konsequent genug angewendet wird.»

Um 15 Uhr herrschte Klarheit

Dass die Organisatoren einen solchen Grossanlass verdeckt durchführen konnten, überrascht. Denn die St. Galler Kantonspolizei sei vom Nachrichtendienst des Bundes über das Konzert informiert worden, sagte NDB-Sprecherin Isabelle Graber. Bezüglich Zeitpunkt und Örtlichkeit hält sich der NDB bedeckt. Laut Gian-Andrea Rezzoli, Sprecher der Kantonspolizei St. Gallen, habe man Hinweise auf ein Rechtsextremenfest gehabt, man sei aber von der Ortswahl überrascht worden. «Wir hatten Hinweise, dass im süddeutschen Raum ein Konzert stattfinden soll.» Man habe aber auch gewusst, dass das Fest kurzfristig in die Schweiz verschoben werden könnte. «Aber erst am Samstag um 15 Uhr haben wir vom Fest in Unterwasser Kenntnis gehabt», sagt Rezzoli.

Auf dem Internetblog «thueringenrechtsaussen – Information zur extrem rechten Szene in Thüringen» wird das Konzert ebenfalls aufgelistet: 15.10.16 – «Süddeutschland» (in Anführungszeichen!) – Neonazi-Konzert mit Stahlgewitter, Confident of Victory, Frontalkraft und Amok. Weiter heisst es: «Busanreise aus Südthüringen». Viele der Konzertbesucher waren offenbar aus der ehemaligen DDR angereist. Die Mobilisierung verlief geheim und über private Kanäle. Auf einem Flyer, der für das Konzert warb, werden die Besucher aufgefordert, sich um 16 Uhr im Raum Ulm zu versammeln. Weitere Infos erhielten Interessierte über eine Telefonnummer.

«Einen Blick hineingeworfen»

Für den Kartenvorverkauf soll gemäss Blog eine IBAN (internationale Bankkontonummer) verwendet worden sein, die zuletzt bei einem Neonazikonzert in Thüringen zum Einsatz kam. Beim Schweizer Konzert seien vermutlich 150 000 Euro durch Eintrittsgelder umgesetzt worden. Das ergibt eine Hochrechnung anhand der geschätzten Zahl der Konzertbesucher und dem angeblichen Eintrittspreis von 30 Euro. Laut Gemeindepräsident Rolf Züllig war eine Billettsteuer nie ein Thema gewesen. Man sei nicht von einem kommerziellen Anlass ausgegangen.

Gemäss Kapo-Sprecher Rezzoli habe der Einsatzleiter «zwei-, dreimal einen Blick hineingeworfen». Akustisch habe er vom lauten Gesang aber nichts verstanden, Nazi-Embleme habe er nicht gesehen. «Es drängt sich die Frage auf, ob die verantwortlichen Behörden bei der Bewilligung dubioser Anlässe nicht oft zu sorglos umgehen», sagt Strafrechtsprofessor Forster.

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Rechtsextreme

Selbst ernannte Patrioten mit Strafregister

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Das sogenannte «Rocktoberfest» in Unterwasser SG begann unverdächtig. «Ein Mann aus dem Zürcher Oberland» habe eine Ausschankbewilligung bei der Gemeinde beantragt, sagt Gemeindepräsident Rolf Züllig. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass dies der Anfang für ein Neonazikonzert mit rund 5000 Teilnehmenden sein würde. Ebenfalls aus dem Zürcher Oberland stammt Kevin G. aus Rüti. Gemäss Züllig handelt es sich beim Gesuchsteller um einen anderen Mann. Allerdings ist der 28-Jährige Gründer und Sänger der Band Amok. Das ist jene Gruppierung, die als einzige Schweizer Band auf dem Veranstaltungsplakat des Anlasses in Unterwasser figurierte – nebst den deutschen Vertretern Stahlgewitter, Confident of Victory, Exzess und Frontalkraft.

Die Zusammensetzung illustriert die grosse Bedeutung des Treffens. Denn sämtliche Bands gehören zu den Grössen der deutschsprachigen Neonaziszene, und alle waren schon im Konflikt mit dem Gesetz. Die Gruppenmitglieder von Amok mussten sich 2008 erstmals vor Gericht verantworten. In einem Liedtext äusserten sie Morddrohungen gegen Hans Stutz – einen Luzerner Journalisten, der sich durch seine Recherchen über Rechtsextreme einen Namen gemacht hatte. Es kam zu einer Verurteilung mit einer Geldstrafe. Rechtsvertreter der Gruppe war der Zürcher Anwalt Valentin Landmann. Er relativierte die Gefährlichkeit seiner Mandanten: Sie seien neokonservative Menschen, die Freude an «soldatischen Liedern» hätten. Diese Sichtweise vertritt Landmann auch heute noch. «Die Meinungsfreiheit in der Schweiz erlaubt es, patriotische Lieder zu singen», sagt er. Wichtig sei, dass der Organisator die Teilnehmenden auf die Schweizer Gesetze hinweise. Ob dies der Fall war, wird derzeit von der Staatsanwaltschaft überprüft. Landmann sagt: «Die Gruppenmitglieder sind nicht gewaltbereit.»

In der Vergangenheit schreckte Kevin G. allerdings nicht vor physischer Gewalt zurück. Im Juli 2015 attackierte ein Mob von rund 20 Männern in Zürich-Wiedikon auf offener Strasse einen orthodoxen Juden. Sie spuckten ihm ins Gesicht, schrien «Heil Hitler» und bezeichneten den Mann als «Scheissjuden». Anführer der Gruppe war Kevin G. Das Verfahren wegen Verstosses gegen die Antirassismusstrafnorm und Tätlichkeit ist noch hängig.

Lothar Janssen traut der Gruppe durchaus Gewaltbereitschaft zu. Der Präsident des Schweizerischen Instituts für Gewalteinschätzung (SIFG) kennt die Rechtsextremenszene im Zürcher Oberland. Die Aussagen von Anwalt Landmann hält er für «stark bagatellisierend, wenn nicht sogar unhaltbar».

Auf ihrer aktuellen CD äussern sich die Mitglieder der Band Amok jedenfalls wieder explizit. «Hier lässt sich keiner den Mund verbieten, daher geht es textlich an die Grenzen des absolut Machbaren!», preist das Label die Aufnahme an. Sie enthält unter anderem einen Aufruf zu einer Kristallnacht.