Fall Schürch: Die «trägen Typen» schiessen zurück

Der Bund

grosser Rat / Der asylpolitische Rundumschlag von FDP-Grossrat Jürg Schürch vonletzter Woche hat Folgen: Der Direktor des Bundesamts für Flüchtlinge, Jean-Daniel Gerber, bezichtigt Schürch in einem offenen Briefder nationalsozialistischen Wortwahl.

Autor: dominik straub

«Sehr geehrter Herr Schürch. Ihre Ansichten über die Asylpolitik vor dem Grossen Rat am 1. Februar will ich nicht kommentieren. IhreWortwahl hingegen schon. Sie erinnert an das Vokabular der Nationalsozialisten und ist eines Grossrats und Ihrer Partei unwürdig. ZuIhren Unterstellungen zur Arbeit des Bundesamts für Flüchtlinge nur so viel: Wir setzen die Gesetze um, die Sie und die übrigenSchweizer Bürger in einem demokratischen Prozess geschaffen haben. Gerne gebe ich Ihnen die Gelegenheit, das BFF zu besuchen,damit Sie sich mit diesen ,trägen Typen‘ unterhalten können. Falls Sie überhaupt an einem objektiven Urteil interessiert sind, werden Siefeststellen, dass bei uns intensiv und seriös gearbeitet wird. Vielleicht hätten Sie nach einem solchen Gespräch sogar den Grossmut, sichzu entschuldigen. Mit freundlichen Grüssen, Jean-Daniel Gerber, Direktor»

Schürch hatte letzte Woche bei der Debatte über ein von ihm mitunterzeichnetes SD-Postulat zum Thema kriminelle Asylbewerber zueinem asylpolitischen Rundumschlag ausgeholt (vgl. Kasten links). Dabei hatte er auch das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) mit Kritikübergossen: Dort arbeiteten die «trägsten Typen», die «nur dr Finger chli usenäh» müssten . . . Auf das Gesprächsangebot vonFDP-Parteikollege Jean-Daniel Gerber hat Schürch umgehend mit einem schroffen Nein reagiert: Das nütze ihm nichts.

«Absolute Frechheit»
Gegenüber dem «Bund» zeigte sich Schürch gestern seinerseits bestürzt und beleidigt über Gerbers offenen Brief: Dass er mit einemNationalsozialisten verglichen werde, sei «eine absolute Frechheit» und «unter der Gürtellinie». Er sei weder ein Rassist noch ein Nazi.So habe er sich Anfang der 90er-Jahre als Gemeindepräsident von Huttwil vehement und erfolgreich bei allen Behörden inklusive BFFgegen die Ausschaffung einer Kurdenmutter und ihrer Tochter gewehrt und dabei sogar Gesetze verletzt. «Mit echten, verfolgtenFlüchtlingen würde ich auch mein Haus teilen», betonte Schürch.

Der Huttwiler Grossrat überlegt sich nun ernsthaft, ob er zur SVP übertreten soll: «Wenn ich von einem freisinnigen Spitzenbeamten miteinem Nazi verglichen werde, muss ich mich schon fragen, ob ich noch in der richtigen Partei bin», sagte Schürch gestern. Er habeohnehin schon lange Mühe mit der «Slalompolitik» der Schweizerischen FDP: «Je nachdem, wie gerade der Wind weht, werden in derAsylpolitik Schwenker gemacht.»

Die SVP dagegen sei die einzige Partei, die bei diesem Thema «das Kind beim Namen nennt» – und dabei beim Volk völlig zu Rechtankomme. Ob Schürch in der SVP willkommen wäre, mochte Fraktionschef Dieter Widmer gestern nicht kommentieren: Schürch habesich noch nicht gemeldet, und er nehme nur Stellung zu konkreten Anfragen. Er, Widmer, hoffe aber, «dass dieser Kelch an mirvorübergeht».

Portmann: Anliegen ist richtig
FDP-Fraktionschef Rolf Portmann hatte sich zwar schon letzte Woche gleich nach Schürchs Votum im Ratsaal von dessen Wortwahldistanziert – und bis auf wenige Ausnahmen fänden auch die übrigen Fraktionsmitglieder Schürchs Ton deplatziert. «Sein Anliegen an sichist aber richtig: Dass kriminelle Asylbewerber frei herumlaufen, lehnt auch die FDP ab.» Wenig Freude hat Portmann an SchürchsGesprächsverweigerung gegenüber dem BFF. Der Fraktionschef will die Angelegenheit auch nicht auf sich beruhen lassen, sondernnochmals mit Schürch reden. «Die Fraktionsleitung wäre bereit, Schürch an ein solches Gespräch zu begleiten, allenfalls auch auf,neutralem‘ Terrain.» Einen Parteiaustritt würde Portmann bedauern: «Er ist in vielen anderen Bereichen ein liberal denkender Mensch -und manchmal etwas emotional.» Gleichzeitig kritisiert Portmann Jean-Daniel Gerber: Ein Beamter habe sich nicht in die Politikeinzumischen.

Bedauert wird Schürchs Absage auch von BFF-Sprecher Roger Schneeberger: «Wir finden es schade, dass unser Gesprächsangebotabgelehnt wurde.» Schneeberger denkt nicht, dass sich Gerber in die Politik eingemischt habe: «Er hat sich lediglich für seine Mitarbeitergegen einen unqualifizierten Angriff gewehrt.»

Nach der BFF-Schelte denkt FDP-Grossrat Jürg Schürch aus Huttwil laut über einen Parteiwechsel zur SVP nach. Max Füri

Schürchs Rede im Wortlaut
«(. . .) Ich glaube, Gemütlichkeit ist gefragt bei unseren Bundesbehörden: Sie schieben die Probleme einfach vor sich her. Frau Andreserwähnte es: Technische Gründe erschwerten oft die Rückschaffung. Da muss ich gerade herauslachen. (. . .) Schon 1976 verbrachte ichFerien in Sri Lanka, weilte sogar in der berühmten Stadt Jaffna. Dort grauste mir schon damals vor diesen eigenartigen Typen. Vielleichtist das nicht richtig, wie ich mich jetzt ausdrücke, aber dort ist es völlig normal, zwischendurch eine Bombe in einer Synagoge zuplatzieren, und die Gegenseite schlägt dann mit entsprechenden Mitteln zurück, das ist wohl menschlich. Wir jedoch sollten dieseProbleme angehen und lösen, nicht dauernd nur reden und lamentieren, sondern unsere Ohnmacht überwinden und endlich handeln.

«Einpferchen»
Zu den Rückschaffungen von Kriminellen: Im Kanton Bern und auch anderswo konnten wir mitverfolgen, wie solche Leute wohlausgeflogen, aber in den entsprechenden Ländern sogleich zurückgewiesen wurden. Welche Selbstachtung haben diese Leute, die ihreeigenen Pässe vernichten? Da gibt es nur eines: Ländern, die solche Leute zurückweisen, sollten einfach die Entwicklungskreditegestrichen, die Entwicklungszusammenarbeit sollte sistiert werden, bis die Leute dort begreifen und ihre Verantwortung wahrnehmen.Doch wir ziehen einfach den Schwanz ein und warten: Diese ,Früchte‘ kehren auf Umwegen wieder in unser Land zurück, und wirunterhalten sie noch. Dabei sollten wir sie einpferchen, zum Beispiel in den Kavernen im Grimselgebiet, die ich von meinem Militärdiensther kenne. Eine einzige Partei hatte letzten Herbst den Mut, dieser Sache ins Auge zu schauen und die Probleme beim Namen zu nennen,bezeichnenderweise wurde diese Politik vom Wahlvolk honoriert, was ich absolut richtig finde.

«Die trägsten Typen»
Die trägsten Typen aber sitzen selbstverständlich im Bundesamt für Flüchtlinge BFF: Sie schieben die Probleme vor sich her wie Schnee.Schliesslich bleiben sie mit dem Schneepflug stecken und beginnen zu lamentieren, sie kämen nicht mehr weiter. Dabei müssten sie nur,dr Finger chli usenäh‘, dann wäre alles viel einfacher. Und sie sollten einfach ihre Arbeit gut machen, dafür sind sie auch bezahlt. (. . .)»