Erinnerungen an Zaff-Zeiten

BernerZeitung

Diesmal wars wirklich ein Abendspaziergang: Gegen 3000 Demonstrantinnen und Demonstranten zogen am Samstag zwei Stunden durch die Innenstadt. Zornig und lachend. Ohne Gewalt.

Bernhard Giger

Am Schluss, im strömenden Regen vor der Reitschule, feierten sich die Demonstrierenden selber. Sie hatten den 4. antifaschistischen Abendspaziergang «gewaltfrei durchziehen» können. Die Befürchtungen, es komme wieder zum Krawall, waren im Vorfeld ja gross gewesen. Zu sehr hatte die Randale der Anti-WEF-Nachdemo vom 25. Januar nachgehallt. Ebenso in Erinnerung war noch der Abendspaziergang Mitte März letzten Jahres. Damals war es zu Verwüstungen vor allem durch Sprayereien gekommen. Darauf hatte die Polizei den Demonstrationszug eingekesselt. Von «der Brut aus der Reitschule, die die Stadt terrorisiert», sprach Polizeidirektor Kurt Wasserfallen damals. Nach den Krawallen vom 25. Januar bezeichnete er die Chaoten dann ganz direkt als «Terroristen».

Kreide statt Spray

Daran erinnerte am Samstag ein Transparent an der Spitze der Demonstration: «Laut Kurt W. sind wir Terroristen». Diesmal zeigten sich die «Terroristen» sehr diszipliniert. «Heute Abend sprayen wir nicht», wurde über Lautsprecher erklärt. Die allermeisten der Demonstrierenden hielten sich daran. Die andern wurden noch einmal verwarnt: «Es haben noch immer nicht alle begriffen, dass heute nicht gesprayt wird», sagte die strenge Lautsprecherstimme vor dem Zytglogge. Wer das weiter mache, «fliegt aus der Demo».Die Konfrontation suchte das «Bündnis alle gegen rechts», das zum Abendspaziergang aufgerufen hatte, ganz offensichtlich nicht. Aber ein bisschen Provokation musste trotzdem sein: Statt Spraydosen hatten die Demonstranten Kreidestifte mitgenommen, mit denen sie Laubenpfeiler, Fassaden und Schaufenster vollkritzelten. Von «Nazis raus» über «Fuck Bush» bis zu «Wasserfallen muss weg» war da alles zu lesen. Oder auch: «Links gehen, Gefahr sehen»; «Unser Land ist kein Vergnügen» und «Remember Zaff» als Reminiszenz an das in den Achtzigerjahren von der Polizei geräumte alternative Kulturzentrum.

Entspannte Stimmung

Es hat etwas Unheimliches, wenn Hunderte von Jugendlichen schwarz vermummt durch die nächtliche Stadt ziehen. Doch dies gehört zur bewussten Uniformierung der Autonomen: «Auffällige Klamotten gehören nicht an Demos», stand auf Flugblättern mit den Demo-Verhaltensregeln zu lesen. Ausdrücklich aufgefordert, sich zu vermummen, wurden darauf auch jene, die nicht wollen, dass sie von «Bullen, Faschos, Medienleuten» fotografiert, gefilmt oder identifiziert werden.Trotz aller Abgrenzung gegen aussen: Die Stimmung war entspannt und offen. Nie hatte man das Gefühl, dass sie gleich kippen würde. Da wurde viel gelacht, gekifft, und man wollte es ganz einfach auch gut miteinander haben.

Polizei war diskret

Weil nicht eine drohende Eskalation das Ereignis war, hörte man plötzlich auch die Botschaften viel deutlicher: Politische Analysen zum Beispiel über die andauernde Gefahr des Faschismus oder über Sexismus wurden verlesen. Und die Medien wurden bezichtigt, beim letztjährigen Abendspaziergang auf die Propaganda der Polizei hereingefallen zu sein.Diesmal hielt sich die Polizei zurück, verfolgte «ihre deeskalierende Strategie», wie sie in einer Medienmitteilung festhält. Die durch die Kantonspolizei verstärkte Stadtpolizei stand zwar bereit. Aber sie hielt sich im Hintergrund.

Jetzt etwas Respekt

Bernhard Giger

Es mag durchaus sein, dass die Medien – also auch diese Zeitung – im Nachzug zum letztjährigen Abendspaziergang etwas dramatisiert haben. Aber das gleiche tun die Demonstranten bei jedem polizeilichen Eingriff in noch viel stärkerem Mass. Und natürlich hat es im Vorfeld des diesjährigen Abendspaziergangs, wie das «Bündnis alle gegen rechts» schreibt, auch Hetze gegeben. Aber nicht nur.

Die durch den Abendspaziergang 2002 und vor allem die Anti-WEF-Nachdemo im Januar dieses Jahres gefährlich aufgeladene Stimmung musste dringendst entspannt werden. Was die Demo-Organisatoren Hetze nennen, war weitgehend Ausdruck der Befürchtung, dass noch mehr Gewalt noch mehr kaputt-macht: letztlich auch die jahrelange Aufbauarbeit im Kulturzentrum Reitschule. Es waren keineswegs nur Rechtsbürgerliche, die gefordert hatten, dass es Gewalt so wie im Januar nicht mehr geben darf. Auch jene, die zur Demo aufgerufen haben, waren sich darüber offenbar einig: Sonst hätten sie sich am Samstag kaum so viel Mühe gemacht, darauf zu achten, dass gewisse Verhaltensregeln – zum Beispiel das Sprayverbot – strikt eingehalten werden.

Mit der gewaltfreien, in der Sache unversöhnlichen, im Auftreten aber friedlichen Demonstration hat die antifaschistische Jugendbewegung viel Glaubwürdigkeit zurückgewonnen. Die Ernsthaftigkeit und das Engagement, mit denen sie sich Themen wie Faschismus, Sexismus oder des drohenden Kriegs annimmt, verlangt Respekt. Das müssten nun auch jene einsehen, die tatsächlich lieber hetzen als differenzieren, wenn es um die Reitschule und ihr Umfeld geht.