Dunkle Vergangenheit: Schweizer Nazis ermordeten Juden

Der berühmte Westschweizer Autor Jacques Chessex bringt seine Vaterstadt in Verlegenheit. Sein neustes Buch handelt von der Ermordung eines Juden in Payerne.

Die Stadtoberen von Payerne sind besorgt um den guten Ruf ihres schmucken Landstädtchens und seiner 85 000 Einwohner. Denn in den welschen Medien macht der Waadtländer Ort derzeit nicht wegen der Erweiterung des Militärflugplatzes zu einer Drehscheibe für Businessjets von sich reden, wie dies Stadtpräsident Michel Roulin erhofft hat. In den Schlagzeilen ist Payerne vielmehr wegen einer «alten Geschichte», die ausgerechnet ein berühmter Sohn der Stadt ausgegraben hat.

Jacques Chessex – Träger des Prix Goncourt, der höchsten literarischen Auszeichnung im französischen Sprachraum – hat den Mord am jüdischen Viehhändler Arthur Bloch als Vorlage für seinen neuesten Roman* gewählt. Die Tat geschah am 16. April 1942 in Payerne. Fünf einheimische Verehrer Hitlers und des Nazi-Reiches lockten den Viehhändler aus Bern in einen Hinterhalt. Dort brachten sie den 60-Jährigen kaltblütig um und zerstückelten seine Leiche – «nur 500 Meter von der Abteikirche entfernt», wie Chessex präzise festhält. Die Leichenteile warfen die Täter in Milchkannen, die sie darauf im Neuenburgersee versenkten.

Das Verbrechen hatte den damals achtjährigen Chessex derart aufgewühlt, dass ihn die Tat und vor allem deren Umstände ein Leben lang «nicht mehr in Ruhe liessen». Sein Vater war Schuldirektor in Payerne. Im protestantischen Elternhaus war man mit jüdischen Familien befreundet. Und der Junge kannte sowohl die Täter als auch das Opfer, das regelmässig auf dem Marktplatz Vieh kaufte und verkaufte. Der Anführer der Nazi-Bande, ein Garagist mit grosser Klappe, hatte der Familie Chessex ein Auto verkauft und den Vater fahren gelehrt.

Der Garagist und seine Mörderkumpanen waren nur kleine Fische in der Nationalen Bewegung der Schweiz, dem Sammelbecken der Fröntler, die den Anschluss der Eidgenossenschaft an das Dritte Reich forderten. Aber sie waren gefährlich als willfährige Helfer von Rechtsextremen wie dem Genfer Georges Oltramare und dem Waadtländer Nazi und Judenhasser Philippe Lugrin. Der ehemalige Pfarrer Lugrin stiftete den Garagisten dazu an, mit dem Mord an einem Juden ein Exempel zu statuieren.

«Uno Juif pour l’exemple» heisst denn auch Chessex’ Buch. Auf nur 100 Seiten ruft er in einer dichten Sprache und in messerscharfen Sätzen den Judenmord in Erinnerung und rechnet mit der damaligen Bürgerschaft seiner Heimatstadt ab. Wohl litt Payerne im Krieg unter hoher Arbeitslosigkeit. Aber Chessex erregt noch heute, dass seine Mitbürger damals keinen «Widerstandswillen» gegen die Hitler-Anhänger zeigten und den Mord am Juden nicht verhinderten. Stattdessen überwogen Anpassertum und Selbstzufriedenheit unter den Payernois.

Möglichst schnell verdrängen

Stadtarchivar Michel Vauthey hat alle Bücher von Chessex gelesen und liebt den Stil des 75-jährigen Schriftstellers, der in der Deutschschweiz durch sein saftig und bissig geschriebenes Porträt der Waadtländer bekannt wurde. Aber Sätze, die er im neuen Roman über die Eigenart der Payernois las, taten ihm weh. Gegenüber der Zeitung «24 heures» widersprach der ehemalige Lehrer dem Bild, das Chessex vom Klima im Städtchen zeichnet. «Payerne ist eine offenherzige Stadt, wo es sich gut lebt.»

Als der Stadtarchivar vom Buchprojekt erfuhr, durchforstete er selbst Dokumente aus jener Zeit. Dabei kam Vauthey zum Befund, dass es in Payerne nicht mehr Nazi-Anhänger gab als in vergleichbaren Orten der Schweiz. Allerdings stiess er dabei auf Verdrängungsmechanismen, die damals wie heute spielen. 1942 berichteten die beiden Lokalzeitungen nur auf einer Spaltenlänge über den Mord am jüdischen Viehhändler. Am Ende der Artikel hiess es: «Je weniger man über diese Ungeheuerlichkeit spricht, desto besser ist es.»