Die ganze Welt trifft sich auf dem Rütli

Blick

Für die Schweizer ist das Rütli offenbar nur noch eine Kuhwiese. Dafür machen sie Diplomaten aus aller Welt am 1. August zur neuen Pilgerstätte.

Das waren noch Zeiten. Am 1. August 2007 nahmen fast 2200 Menschen den beschwerlichen Weg zur berühmtesten Wiese der Schweiz auf sich. Lauschten dort den Reden von Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey und Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi.

Dieses Jahr bleiben die Eidgenossen lieber zu Hause. Von den 2000 Billetten ist noch nicht mal die Hälfte weg. «Wir rechnen mit 700 bis 900 Personen», sagt Martin Hofer von der Rütli-Delegation. Die Rütlifeier sei dieses Jahr kein grosses Thema in den Medien, und es träten keine polarisierenden Persönlichkeiten auf.

Dafür erobern jetzt Ausländer die Rütliwiese am Nationalfeiertag. Fast 50 Delegierte aus 13 Ländern haben sich angemeldet. Sie kommen aus der ganzen Welt. Kolumbien, Slowakei, Polen, Luxemburg, Malaysia, Libyen, Russland, Elfenbeinküste, Indonesien, Libanon, Türkei und Kroatien. Und weitere Nationen werden erwartet.

Die Schweizer klemmen. Dafür begehen Ausländer unseren Nationalfeiertag auf dem Rütli.

Auf den Geschmack gebracht haben sie Bundespräsident Pascal Couchepin und Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. Bei einem Ausflug mit dem diplomatischen Korps von Bern ging es auch aufs Rütli.

Bei vielen hat es sofort gefunkt. «Der eine oder andere liess uns dann wissen, dass er gerne einmal an einer Rütlifeier dabei wäre. So beschlossen wir, sie offiziell dazu einzuladen», erklärt Martin Hofer,

Sprecher der Rütli-Delegation.

Dabei hält nicht einmal ein Spitzenpolitiker die 1.-August-Rede. Zu den ausländischen Diplomaten wird der Urner Regierungsrat Josef Dittli sprechen.

Die Bundesräte sprechen andernorts zu den Schweizern. Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf reist dafür ins Ausland. Sie spricht in der Schweizer Botschaft in Berlin. Bundespräsident Couchepin hält eine Rede am Pfadi-Bundeslager in der Linthebene. Aussenministerin Calmy-Rey in Anières GE.

Finanzminister Hans-Rudolf Merz meldet sich wie üblich per Video-Botschaft im Internet. Fleissig ist Verteidigungsminister Samuel Schmid: Er spricht am 31. Juli in Wittenbach SG, am 1. August in Lignières NE und Champoz BE.

Noch nicht entschieden hat sich Moritz Leuenberger. Vielleicht lässt er sich zu einem Spontan-Auftritt hinreissen. Doris Leuthard hat schon verlauten lassen, dass sie keine Rede hält.

Eine Gruppierung wird man auf dem Rütli dieses Jahr ganz bestimmt nicht vermissen: die Rechtsextremen. Auf ihrer Homepage lässt die Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) verlauten, dass sie nicht dazu aufrufen werde, das Rütli zu besteigen. «Selbstverständlich hofft die Pnos, dass sich dennoch eine Vielzahl nationaler Aktivisten am 1. August in Brunnen einfinden wird, um den Unmut über die unverhältnismässige Polizeiaktion mit kreativen Aktionen zum Ausdruck zu bringen», schreiben die Braunen.

Aber auch das wird die hohen Gäste aus aller Welt nicht daran hindern, an ihrer neuen Pilgerstätte die Schweiz hochleben zu lassen. Happy birthday, Switzerland! Feliz cumpleaños, Suiza! Sretan roðendan, ?vicarska!

Rütli-Gäste

1 Lucia Helwinda Rustam, Botschafterin Indonesiens

2 Hubert Büchel,Botschafter Liechtensteins

3 Claudia Jiménez, Botschafterin Kolumbiens

4 Igor Bratchikov, Botschafter Russlands

5 Mamadou Emmanuel, Botschafter der Elfenbeinküste

Die Schatten- und Sonnenseiten auf der Rütliwiese

1. August 2000. Die Schande vom Rütli. Schon als Bodyguards Bundesrat Kaspar Villiger zum Rednerpult begleiten, decken ihn Rechtsradikale mit einem Pfeifkonzert ein. Auch während der Rede versuchen sie Villiger immer wieder zu stören.

Auch in den folgenden Jahren wird die Rütliwiese zum Aufmarschgebiet der Braunen. Besonders schlimm ist es im Jahr 2005, als 700 Rechtsradikale Bundesrat Samuel Schmid während seiner 1.-August-Rede immer wieder niedergrölen.

Am 1. August 2007 übernehmen die Frauen das Rütli. Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey spricht und Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi. Es ist eine fröhliche Familienfeier. 2200 Besucher feiern mit – so viele wie noch nie auf dem Rütli.

Die 2200 Besucher haben Glück. Erst nach dem Ende der Feier explodiert ein im Boden vergrabener Sprengkörper. Inzwischen sitzt ein 35-Jähriger in U-Haft. Er soll auch den Briefkasten des diesjährigen Festredners Josef Dittli gesprengt haben.

So viele feierten den 1. August auf dem Rütli

bis 2003 Ca. 400 – 600 Besucher

2004 2000 Aufführung Theater Wilhelm Tell

2005 800 Ca. 700 Rechtsradikale stören Bundesrat Samuel Schmids Rede

2006 1360 Ticketing eingeführt

2007 2200 Rede von Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey und Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi

2008 Rede von Urner Regierungsrat Josef Dittli 700 ? 900 werden erwartet