Die Fahrenden halten ihn auf Trab

Berner Zeitung. Einst war er der Neuzuzüger, heute verkörpert er Wileroltigen schlechthin. Das Hickhack um den Transitplatz für ausländische Fahrende hat Christian Grossenbacher ins Rampenlicht gestellt – doch ewig, sagt der Gemeindepräsident, könne er so nicht arbeiten.

Eigentlich hatte er gedacht, das Gröbste überstanden zu haben. Doch dann verschickte gestern Mittag das Bleiberecht-Kollektiv aus Bern ein Communiqué und rief linke Kreise zu einer Demo ins 380-Seelen-Dorf Wileroltigen (Kasten rechts). Weil dieses mit seinem lauten Widerstand gegen den Transitplatz für ausländische Fahrende «die Roma, Sinti, Jenischen und alle fahrenden Minderheiten» verleumdet, ja herabgesetzt habe.

Doch Christian Grossenbacher blieb ruhig. Nach der grossen Hektik der zurückliegenden Tage gehöre dieser Abend ganz seiner Familie, betonte er.

Auf die Stunde genau vier Wochen nach dem Termin, der Wileroltigen in den Ausnahmezustand versetzte, sass der Gemeindepräsident erneut am Sitzungstisch im Gemeindehaus. Doch anders als am 14. Juli, als ihn Regierungsrat Christoph Neuhaus in die Pläne für den Platz an der Autobahn A 1 einweihte, stand er diesmal den Medien Rede und Antwort. Sie wollten wissen: Wer ist dieser Mann, der so plötzlich im Rampenlicht stand, der buchstäblich von null auf hundert durchstarten musste?

Nun, Christian Grossenbacher, 47-jährig und als Dozent und Fachbereichsleiter an der Höheren Technischen Fachschule in Grenchen tätig, ist ein Zuzüger. 1999 liess er sich mit seiner Frau in Wileroltigen nieder, und der Grund dafür war einfach. Die beiden hatten ein Haus gefunden, das ihnen gefiel. Den ehemaligen Bären von 1605, das älteste Gebäude im Dorf.

Im Dorf Fuss gefasst

Die folgenden zehn Jahre investierten die beiden buchstäblich in die Liegenschaft, die beim Kauf nicht sonderlich gut im Schuss war. Mit seiner Grundausbildung als Elektromonteur konnte Grossenbacher vieles selber machen. Gleichzeitig baute er ein eigenes kleines Elektrounternehmen auf, das er später zugunsten seiner heutigen Stelle weitergab.

Wie er als Neuling im Dorf Fuss fasste? Sicher über die Feuerwehr, der er zügig beitrat, «sie hat mir viele Kontakte eingebracht». Dazu über die drei Kinder, die heute bereits junge Erwachsene sind. Sie wurden in Wileroltigen gross, gingen auch im Dorf zur Schule, «das schafft von selber ein gutes Netzwerk».

So wurde es Herbst 2013, und plötzlich klopften die Behörden an. Ob er sich die Mitarbeit im Gemeinderat vorstellen könne? Und kurz darauf: Ob er allenfalls gar das Präsidium übernehme?

Die Rolle des Vermittlers

Dass das Interesse an seiner Person dereinst so gross sein würde, hätte er sich damals nie träumen lassen. Am Sitzungstisch im Gemeindehaus blickte Grossenbacher nun auf die Zeit seit dem Termin mit Regierungsrat Neuhaus zurück, sprach von etlichen schwierigen Momenten, die er erlebt habe. Den schwierigsten musste er gleich am 14. Juli bewältigen: «Als wir nach der Sitzung nach draussen kamen, hatten sich vor dem Gemeindehaus bereits die Medienschaffenden aufgestellt, und ich sollte in die Mikrofone reden, vor laufender Kamera Stellung beziehen.» Wo er doch selber nicht gewusst habe, wo ihm der Kopf stehe.

Später ging es darum, den Widerstand zu organisieren. Grossenbacher sagte offen, dass er nicht der Typ des grossen Auftritts sei. Diese Rolle überlasse er gerne jenen, die das Zeug dafür hätten. «Ich sehe mich vielmehr als Vermittler.» Gleichzeitig wollte er nicht missverstanden werden. «Ich bin und bleibe strikter Gegner eines festen Platzes, wie ihn der Kanton plant.»

Wenigstens einen kleinen Gefallen hatte Regierungsrat Neuhaus der Gemeinde gemacht. Er liess die Bombe just zu einer Zeit platzen, in der der Schulbetrieb in Grenchen ruhte. Das verschaffte Grossenbacher die Flexibilität, die er fortan so bitter nötig hatte: Einen Monat lang sei er quasi vollberuflich für die Gemeinde unterwegs gewesen. Berufliche Verpflichtungen habe er, so weit möglich, auf später verschoben.

Nun der Rücktritt?

In den nächsten Tagen muss er nun nacharbeiten, auch am Wochenende. Dazu sei er nicht unbegrenzt bereit, fügte er noch an. Deshalb habe er auf Ende Jahr seinen Rücktritt in Aussicht gestellt. Er lasse allenfalls mit sich reden, wenn das Präsidium künftig als Pensum von 20 Prozent entschädigt sei.

Nun eine Demo?

Am 24. September wird in Wileroltigen demonstriert. Dann jedenfalls, wenn das Bleiberecht-Kollektiv aus Bern seine Pläne umsetzen kann: Gestern rief die Gruppierung, die in der Vergangenheit mit ihren Einsätzen zugunsten der Asylbewerber und gegen den Rassismus auf sich aufmerksam gemacht hat, linke Kreise zur Kundgebung im 380-Seelen-Dorf auf.

Der Grund: Die Art und Weise, wie Wileroltigen gegen den Transitplatz für ausländische Fahrende mobilisiert, ist für das Kollektiv rassistisch. Besonders problematisch sieht es dabei die Rolle des Gemeinderats: Dass sich dieser am Widerstand beteilige, zeige nur, wie sehr sich heute auch «politische Exekutivmitglieder am rassistischen Bashing» beteiligten. Der offene Hass dem fahrenden Volk gegenüber sei «fest in der Mitte der Gesellschaft und ihrer Institutionen verankert».

Weil Bleiberecht für den 24. September eine Bewilligung einholen will, stehen, so die Mitteilung weiter, «Datum und Demo noch nicht definitiv fest. Wie der Gemeinderat auf dieses Begehren reagieren wird, ist zurzeit noch offen.

Fahrende an der A 12

Die Polizei schaut zum Rechten, die Gemeinde lobt

Was Bern plant, ist in Freiburg in Betrieb: Seit Juli machen die ausländischen Fahrenden offiziell an der A 12 halt – zur Freude der Behörden vor Ort.

Der Platz liegt ähnlich wie jenes Areal bei Wileroltigen, auf dem der Kanton Bern die ausländischen Fahrenden unterbringen will (siehe Haupttext). In Reih und Glied stehen die Wohnwagen leicht erhöht über der Autobahn A 12 bei Bulle. Das rundum eingezäunte Gelände ist nur über den angrenzenden Rastplatz erreichbar, von der nächsten Auffahrt her sind es 10 Kilometer. Wer aus der falschen Richtung anreist, fährt 20 Kilometer Umweg.

Die Fahrenden sind trotzdem da – völlig legal. Denn hier, in La Joux-des-Ponts ganz am Rand der 1500-Seelen-Gemeinde Sâles, hat der Kanton Freiburg im Juli seinen Transitplatz für 40 Gespanne eröffnet.

Die Polizei kontrolliert

Beim Augenschein vor Ort ist es zuerst ruhig auf dem Gelände. Doch plötzlich taucht eine Streife auf, und zwei Polizisten steigen aus. Ein paar Minuten später ist der Grund für den Einsatz klar. Einer der Beamten tritt zur Barrierenanlage, betätigt den Schliessmechanismus und dreht eines der beiden Joche zur Seite. Drei, vier Gespanne fahren von dannen – richtig, ein Teil der Reisenden zieht weiter.
Genaueres lässt sich an diesem frühen Abend nicht in Erfahrung bringen. Lust auf ein Gespräch mit den Medien hat hier nach all den Schlagzeilen der vergangenen Tage ganz offensichtlich keiner.

Toiletten ohne Türen

Die Präsenz der Polizei ist kein Zufall. Sie hat die Aufgabe, den Platz zu verwalten. Dazu gehört, bei der Ankunft für den geplanten Aufenthalt 20 Franken pro Tag und Gespann einzuziehen und bei der Abreise definitiv abzurechnen.

Nach dem ersten Betriebsmonat sind die Behörden in Sâles des Lobes voll. Der Platz laufe in geordneten Bahnen und mache «gar keine Probleme», gibt Nicolas Hassler zu Protokoll, der als Vizepräsident auch für die öffentliche Ordnung und das Abfallwesen in seiner Gemeinde verantwortlich ist. Just diese Themen geben im Zusammenhang mit ausländischen Fahrenden immer zu reden, und Hassler sagt nun auch: Die Fahrenden hätten in der Vergangenheit zwei-, dreimal im Dorf haltgemacht, und jedes Mal sei es zu Unstimmigkeiten gekommen.

Vor diesem Hintergrund hat Sâles den Platz nie fundamental bekämpft, wie Hassler noch beifügt. Als das Projekt 2008 erstmals diskutiert wurde, gab es zwar Fragen, doch die Kritik blieb insgesamt leise.
Umso klarer werden bereits die Fahrenden. Ihnen missfällt am Platz nicht nur der hohe Zaun, der zuoberst nach innen gebogen und so unüberwindbar ist. Für Unmut sorgen auch die Toiletten, die weder Türen noch ein Dach haben.

Der Zaun entspricht einer Forderung der Gemeinde. Für die offene Bauart der Toilette haben die Freiburger Behörden eine andere Erklärung parat: Man habe bei der Planung die Fahrenden zwar nicht offiziell kontaktiert. Ihre Lebensart und ihre Wünsche, die sie während ihrer vorherigen Aufenthalte im Kanton formuliert hätten, seien aber in die Überlegungen eingeflossen.